|

Zum V. Marburger Treffen zur Altägyptischen Medizin

Augenheilkunde im alten Ägypten
Die Augenheilkunde war das letztjährige Schwerpunktthema beim V. Marburger Treffen zur Altägyptischen Medizin, das vom Institut für Ägyptologie der Philipps Universität Marburg unter der Leitung des Direktors Prof. Dr. Rainer Hannig und seines Mitarbeiters Orrel Witthuhn veranstaltet wurde. Dr. Hannsjürgen Trojan fasst Inhalte des Symposiums, an dem Mediziner und Ägyptologen teilnahmen, zusammen.

Die wissenschaftlichen Kenntnisse über die Augenheilkunde im Alten Ägypten sind sehr lückenhaft. Man muss sich auf wenige Inschriften und Papyri beschränken, die auch nur vereinzelte Hinweise liefern und viele Fragen aufwerfen. In wieweit decken sich überhaupt die Angaben der altägyptischen mit der Nomenklatur der unsrigen Ärzte? Gab es schon spezialisierte Augenärzte? In der Tat kannte man schon damals Ärzte für den Darm, für Frauenleiden, für die Haut und auch für die Augen. Mehr sogar, man unterschied zwischen Ärzten für die vorderen und für die hinteren Augenabschnitte. Offensichtlich wurde die Katarakt den hinteren Augenabschnitten zugeordnet, denn die Untersuchungsmöglichkeiten für die tieferen Abschnitte endeten seinerzeit an der Linse.

In der Medizin spielte das Auge eine wichtige Rolle wegen seiner Vielzahl von Erkrankungen, die damals schon ein großes Problem in Ägypten darstellten. Leider brachten die Untersuchungen der Mumien, selbst bei der Verwendung modernster Untersuchungsmethoden wie Elektronenmikroskopie und Polymerase-Kettenreaktion zur Multiplikation von DNS-Fragmenten, nur wenig verwertbare Ergebnisse, da durch die Austrocknung die Struktur verloren ging. Auch wurden die Augen zumeist schon vor der Mumifizierung entfernt und durch Glaskugeln oder gar durch Zwiebeln ersetzt.

Nach Auswertung der schriftlichen Quellen muss man annehmen, dass die Rolle der Augenärzte in den Anfangsstadien der Medizin im Nil-Tal eher die als Magier denn als Handwerker war. Grundsätzlich gilt, dass große Teile der ägyptischen Medizin zugleich magischer Natur waren, ohne dass dies auf den ersten Blick erkennbar ist. Eine der wichtigsten Entdeckungen in der Medizingeschichte geht auf die altägyptische Medizin zurück: die Entdeckung des Gefäßsystems. Sehr ausführlich wird dabei das Auge behandelt, das zugleich in der Mythologie mit der Sonne gleichgesetzt und als Auge der Himmelsgottheit Re angesehen wird: „Ich bin der, der seine Augen öffnet – und es wird Licht; der, der seine Augen schließt – und es wird Finsternis“.

Papyrus EBERS

Da nur wenige schriftliche Quellen Aufschluss über die verbreiteten Krankeiten geben können, erfolgt die Exploration der Krankheitslehre zunächst von Ägyptologen und, soweit sie von Ärzten geleistet wird, in deutlichem Abstand. Im alten Ägypten muss es eine Vielzahl von schriftlichen Hinweisen für die Ursache und Behandlung von Krankheiten gegeben haben, aber nur ein Prozent dieser Schriften ist erhalten. Wir stützen also unser Wissen auf ein Prozent des Wissens der Alten Ägypter.

Bild
Abb.: Papyrus EBERS (Fotos: Orrel Witthuhn, Institut für Ägyptologie, Marburg)

Die zwei bekanntesten, umfangreichsten und somit wichtigsten Papyri stammen aus der Zeit des Neuen Reiches (18. Dynastie, ca. 1550 – 1295 v. Ch.) Während der Papyrus SMITH eine sehr exakte, in vielerlei Beziehung noch heute gültige chirurgisch-traumatologische Abhandlung darstellt, ist der vom Leipziger Ägyptologen Georg EBERS im Jahre 1872 erworbene und nach ihm benannte Papyrus die umfangreichste Quelle zur Erforschung der altägyptischen Medizin überhaupt. Der Papyrus EBERS hat eine Länge von 20 Metern mit fast 2.300 Zeilen und ist wohl im zweiten Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends verfasst worden. Dabei handelt es sich um Kopien, deren Originale offensichtlich schon Jahrhunderte früher angefertigt waren. Der Papyrus ist vollständig erhalten und besteht aus Einzelblättern, die mit einem Maß von 43 cm Breite und 30 cm Höhe äußerst sorgfältig zusammengeklebt sind.

Handbuchartig wird in einzelnen Kapiteln das damalige Wissen über die Medizin abgehandelt. Weiterhin enthält der Papyrus eine Vielzahl von Rezepten, so auch eine Reihe von solchen zur Behandlung von Augenkrankheiten. Bei der Diskussion und dem Versuch, die augenrelevanten Papyrus EBERS-Passagen in einen reproduzierbaren Zusammenhang mit der heutigen Medizin zu bringen, zeigte sich, dass sich die Papyri nach unseren gegenwärtigen Symptomen nicht gliedern lassen. Es muss folglich damals noch andere Kriterien gegeben haben. Auch bei vielen Rezepten tappt man nach wie vor im Dunklen und es lassen sich nur schwer Beziehungen zwischen den Rezepten und unseren heutigen Erkrankungen herstellen. So liest man immer wieder vom Wasser im und am Auge. Was bedeutet das aber? Muss man darunter eine Epiphora oder eine Katarakt verstehen? Ein Glaukom wird es kaum gewesen sein, da man den Zusammenhang mit dem Augendruck nicht kannte. Alle drei heutigen Kriterien des Glaukoms waren zur Zeit der Pharaonen unbekannt.

Hinsichtlich der Anatomie waren Iris und Pupille bekannt, zwischen ihnen wurde aber nicht unterschieden. In dem EBERS-Papyrus kann man auch lesen, dass das Auge von zwei Gefäßen versorgt wird und ihm somit Organcharakter zukommt. Das lässt an die Arteria und Vena centralis retinae denken. Dies ist nur erkennbar, wenn Sektionen, zumindest in lokalem Ausmaß durchgeführt worden sind.

Rotes Auge

Ein immer wiederkehrender Diskussionspunkt während des Symposiums galt der Frage, wie das pharaonische Wort „Blutung“ oder „Rotes Auge“ zu interpretieren sei. „Rotes“ und „blutiges“ Auge werden offensichtlich gleichgesetzt. Kann man unter diesem Begriff nun tatsächlich eine Haemorrhagie oder nur eine Erweiterung der Gefäße im Sinne einer entzündlichen Rötung sehen? Eine Frage, die bei der Bewertung verschiedener Rezepte häufig auftaucht.

Trachom

In sieben Papyri wird über die Behandlung der Rauhigkeit der Lider berichtet, offensichtlich dem Trachom. Die Trichiasis war offensichtlich bekannt und gefürchtet.
In den Papyri EBERS 421, 424 und 425 kann man lesen: „Ein besonderes Heilmittel für das Verhindern von Einwachsen einer Wimper, indem es ausgerissen wird“.

Malachit

Immer wieder wird Malachit (und Lapislazuli) empfohlen, zerrieben und in Wasser oder Öl gelöst. Offensichtlich kannte man bei diesen Mineralien die bakterizide Wirkung. Heute wissen wir, dass die Wirkung des Malachits auf frei werdenden Kupferionen beruht. Malachit wird aber auch bei vielen anderen Erkrankungen empfohlen, wobei der magische Anteil der Indikationsstellung mehr oder weniger deutlich wird. So steht im Papyrus 385 eine lange Aufzählung von Symptomen, die quasi die gesamte Palette der Augenkrankheiten präsentiert, angefangen vom Ausfluss des Auges über Blindheit und Verschleierung, den Einwirkungen eines Toten und eines Gottes oder gar Schmerzdämonen
Hier begegnet man der magischen Aufforderung: „Es kommt der Malachit, es kommt der Malachit. Zerstoßen und in Honig in Gärung gegeben. Das werde ins Auge gegeben. Wirklich vorzüglich.“

Als Applikationsform der zerriebenen Medikamente wird immer wieder die Johannisbrotfrucht empfohlen. Diese Frucht weist, klein zerrieben und in Wasser gelöst, breiige Eigenschaften auf. Heute verwendet man Salben.

Magie

Die magischen Aspekte werden in einigen anderen Rezepturen noch deutlicher angesprochen. Die Anwendung von „Milch einer Mutter, die im Jahr zuvor einen Knaben geboren“ hat, hat starken magischen Charakter. Das Einträufeln von dieser speziellen Milch klingt zunächst sehr fremd, wird aber nachvollziehbar, wenn man sich in Erinnerung bringt, dass Muttermilch Endomorphine enthält, die eine beruhigende Wirkung ausüben. An anderer Stelle wird heftig übertrieben, offensichtlich um zu dramatisieren und den Wert oder die (gefühlten) Symptome der Verletzung zu unterstreichen. So beispielsweise im Papyrus 337, wo von einem Obelisk im Auge berichtet wird. Es wird sich wohl um einen Dorn gehandelt haben.

Ähnliche Beiträge