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„Wir leben in turbulenten Zeiten“

Auch im Mai haben Augenärzte erneut gegen die Honorarreform protestiert, zuletzt bei der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Vorfeld des Deutschen Ärztetags in Mainz. Derweil wird die Honorarreform stetig weiterentwickelt. Ab Juli kommen wieder Neuerungen. Und wie es im nächsten Jahr weitergeht, weiß derzeit noch keiner so genau. DER AUGENSPIEGEL sprach mit dem Augenarzt Dr. Uwe Kraffel, der als KV-Vertreter an den Verhandlungen des Bewertungsausschusses beteiligt ist, über die Neuordnung der Honorarverteilung, ihre Fallstricke und Chancen für die Augenärzte.

BildDER AUGENSPIEGEL:
Herr Dr. Kraffel, die Bekanntgabe der Regelleistungsvolumina (RLV) hat zu massiven Protesten der Augenärzte in einigen Regionen geführt. Halten Sie diese Proteste für gerechtfertigt?

Dr. Uwe Kraffel:
Ich halte es immer für gerechtfertigt, wenn man darauf hinweist, dass man ein Problem kommen sieht. Die Kritik muss aber auf die lokalen Gegebenheiten abgestimmt sein. Pauschale Kritik von der Bundesebene ist da wenig hilfreich. Außerdem muss immer in Betracht gezogen werden, wie die Gegebenheiten vorher waren. Wenn Augenärzte zuletzt einen Fallwert von 17 Euro hatten und jetzt über einen Fallwert von 19 Euro klagen, stimmt etwas nicht. Grundsätzlich habe ich aber volles Verständnis für die Aufregung, die die Honorarreform verursacht hat.

DER AUGENSPIEGEL:
Die Regelleistungsvolumina sind nicht das Ein und Alles. Augen­ärzte realisieren auch darüber hinaus Einkünfte aus der Gesetzlichen Krankenversicherung. Insofern wird erst die Endabrechnung des ersten Quartals zeigen, was unterm Strich herauskommt. Werden sich die Proteste dann legen?

Dr. Uwe Kraffel:
Ich denke schon, dass es dann deutlich ruhiger wird. Erste Einblicke wird man bald haben. Ich gehe davon aus, dass das noch im Juni der Fall sein wird. Im bundesweiten Schnitt machen Augenärzte 15 Prozent ihres GKV-Honorars außerhalb der RLV. Das ist aber sehr unterschiedlich verteilt. Vor allem die Operateure haben meist mehr. Der normale Augenarzt hat weniger. Dennoch denke ich, dass bei den Protesten am Jahresbeginn auch viel Alarmstimmung mitgespielt hat, um Aktivität zu zeigen.

DER AUGENSPIEGEL:
In Reaktion auf die Proteste wurde schnell eine Konvergenzregelung beschlossen. Die KV Berlin hat sie nicht umgesetzt, weil Sie erhebliche Bedenken an der Rechtssicherheit geäußert haben. Was bringt diese Regelung aus Ihrer Sicht?

Dr. Uwe Kraffel:
Meines Erachtens bringt sie, so wie sie für das zweite Quartal beschlossen wurde, sehr wenig bis gar nichts. Mir ist auch nicht bekannt, ob sie überhaupt irgendwo wirklich umgesetzt wird, da hört man viel Widersprüchliches. Deutlich interessanter ist für mich, wie es ab 1. Juli weitergeht.

DER AUGENSPIEGEL:
Der Reststreifen für Leistungen über das RLV hinaus wird dann von drei auf zwei Prozent gesenkt. Das soll zu einem Anstieg der RLV führen – in welcher Höhe?

Dr. Uwe Kraffel:
Wenn ein Prozent mehr Honorar zur Verfügung steht, steigen die RLV ungefähr um 1,5 Prozent. Das ist bei einem Fallwert von 20 Euro ein Anstieg um 30 Cent – also nicht gerade die Welt. Mehr verspreche ich mir von der Neuregelung der Fallzählung. Sie wissen: In MVZ und Gemeinschaftspraxen werden künftig Behandlungsfälle statt Arztfälle gezählt. Wie sich das in den einzelnen KVen auswirkt, ist derzeit noch nicht klar. Aber für die Augenärzte in Berlin rechnen wir damit, dass der Fallwert im Regelleistungsvolumen ab Juli wieder fast den Wert von 27,50 Euro im ersten Quartal erreicht, nachdem er im zweiten Quartal eingebrochen war.

DER AUGENSPIEGEL:
Wie stehen Sie denn generell dazu, dass für die Augenärzte ein einheitliches RLV gilt? Die Leistungspektren der Praxen sind doch recht unterschiedlich, oder?

Dr. Uwe Kraffel:
Haben die Augenärzte wirklich so unterschiedliche Leistungspektren? Sie sind im Gegenteil eine sehr homogene Gruppe im Vergleich zu Hausärzten, unter denen es Allergologen, Akupunkteure, Diabetologen, HIV-Praxen etc. gibt, um nur einige zu nennen. Wir Augenärzte machen letztlich alle dasselbe. Es gibt nur drei wesentliche Spezialleistungen. Das sind Ultraschall, Elektrophysiologie und Fluoreszenzangiografie. Wenn man die gesondert honorieren will, ist die spannende Frage: Wie viel davon soll es denn sein? Wir dürfen hier nicht die vielen anderen Augenärzte vergessen, die dann weniger hätten. Daher stellt sich die Frage, ob die Spezialleistungen vor diesem Hintergrund wirklich maßgeblich sind? Sollen wir den Fallwert der meisten Augen­ärzte senken, für Fluos, die zur Vorbereitung einer intravitrealen Injektion dienen, die keine Kassenleistung ist? Das Problem ist doch eher, dass Augenärzte kaum Leistungen außerhalb der RLV haben, wenn sie nicht lasern. Da aber von 5.000 Augenärzten 3.500 lasern, ist auch das für die meisten kein Problem.

DER AUGENSPIEGEL:
Schwenken wir mal von den Spezialleistungen zu den neuen Leistungen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat etliche neue Leistungen für die GKV vorgesehen. Im Bewertungsausschuss liegt dieses Thema aber seit einem Jahr auf Eis. Das betrifft auch die Augenärzte.

Dr. Uwe Kraffel:
Ja, hier geht es um die Intravitreale Injektion. Für sie gilt dasselbe, wie für alle neuen Leistungen: Sie sind derzeit nicht verhandelbar, wegen der offenen Frage, mit welchem Punktwert sie bewertet werden sollen. Der EBM ist mit 5,11 Cent kalkuliert, die Regelleistungsvolumina aber mit 3,5 Cent. Bei der Intravitrealen Injektion hieße das konkret: Wenn ich Sachkosten von 200 Euro und ein Arzthonorar von 60 Euro auf der Basis von 5,11 Cent kalkuliere und mit 3,5 Cent vergüte, hat der Arzt kein Honorar mehr. Mit 3,5 Cent kann ich aber nicht kalkulieren, weil die Krankenkassen damit diesen Kalkulationspunktwert akzeptiert hätten. Das ist eine Pattsituation, aus der wir nicht herauskommen, solange die Frage des Punktwerts nicht prinzipiell geklärt ist. Ich gehe davon aus, dass das und dann auch die neuen Leistungen in der zweiten Jahreshälfte Thema im Bewertungsausschuss sein wird.

DER AUGENSPIEGEL:
Was ist denn aktuell Thema im Bewertungsausschuss? Er tritt ja auch nach den letzten Beschlüssen zu den Änderungen ab Juli regelmäßig weiterhin zusammen.

Dr. Uwe Kraffel:
Inzwischen tagt der Ausschuss quasi alle zwei Wochen. Wir leben in turbulenten Zeiten. Wir sprechen über den Preis und müssen darüber sprechen, wie wir die Morbidität für die Weiterentwicklung der morbiditiätsorientierten Gesamtvergütung messen. Dazu wird es noch massiven Streit geben, denn die Krankenkassen haben wenig Lust, jetzt noch mal zwei Prozent mehr in die Hand zu nehmen. Wir benötigen dieses Geld aber wegen der steigenden Morbidität. Die Grundlohnsumme wird nächstes Jahr negativ sein, hätten wir noch die Kopfpauschalen, würden wir nächstes Jahr erhebliche Probleme bekommen.

DER AUGENSPIEGEL:
Wie bewerten Sie denn die Honorarreform insgesamt: Was war insgesamt gut, was war schlecht und was haben die Augenärzte davon?

Dr. Uwe Kraffel:
Insgesamt gut ist, dass wir weg sind vom Kopfpauschalensystem. Insgesamt gut ist auch, dass wir über Kostenpauschalen weg kommen von der Grundlohnsummenanbindung. Das gilt auch für die Augenärzte als Teil der Ärzteschaft. Aber es ist nicht das Alleinseligmachende. Weitere Schritte sind nötig. Der nächste Schritt muss sein, dahin zu kommen, dass die Grund- und Basisversorger gestärkt werden. Sie tragen die größte Versorgungsverantwortung und das muss die Honorarverteilung angemessen widerspiegeln. In letzter Konsequenz heißt das auch, dass wir die freien Leistungen außerhalb der Grundleistungen im RLV in der Menge begrenzen müssen.

DER AUGENSPIEGEL:
Was tut sich denn jenseits des Bewertungsausschusses und der Kassenleistungen in Sachen augenärztlicher Honorare, sprich bei GOÄ und IGeL?

Dr. Uwe Kraffel:
Da tut sich derzeit wenig. Die GOÄ-Reform kommt nicht gerade flink voran. Ich sage: Gott sei Dank! Und was IGeL betrifft: Da sollten die Augenärzte einfach mehr machen. Wir müssen auf eigenen Beinen stehen.

DER AUGENSPIEGEL:
Und wie sehen Sie die augenärztlichen Positionen in der KBV vertreten?

Dr. Uwe Kraffel:
Diese Frage dürfen Sie mir nicht stellen. Ich bin relativ breit dort vertreten, schon allein aufgrund meiner Statur…

DER AUGENSPIEGEL:
Herr Dr. Kraffel, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Angela Mißlbeck.
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