So viel Protest war nie

Mit solch einem Ansturm hatte keiner gerechnet: Mehr als 20.000 niedergelassene Ärzte und Arzthelferinnen aus allen Teilen Deutschlands kamen am 18. Januar zum „Tag der Ärzte“ nach Berlin. Stark vertreten waren die Augenärzte. Ein Bericht von Angela Mißlbeck.

Protest Der Saal im Maritim Hotel ist bereits vor Beginn der Eröffnungsversammlung überfüllt. Mit frenetischem Jubel, Triller-pfeifen, Tröten und Rasseln quittieren die versammelten Ärzte jede neue Meldung über die Teilnehmerzahl. Schnell ist von 10.000 die Rede. Mehrere Tausend müssen von draussen bei klirrender Kälte die Eröffnungsreden von Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe sowie der Verbandssprecher verfolgen. „Überwältigt“ von der Teilnehmerzahl sei er, sagt der Kammerpräsident. Das sei erst der Anfang. „Wenn es wirklich ernst wird, stehen wir Ärzte zusammen. Und es ist wirklich ernst“, so Hoppe. Er wandte sich gegen „staatliche Rationierung“ und „Regressmedizin“, „Regulierungsideen“ und „Bürokratie“.

Was die Ärzte mindestens so sehr umtreibt wie Budgetsorgen und Bürokratie ist die mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit -seitens der Politik. In in ihrer Resolution nehmen sie Bezug auf die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Wir müssen stärker anerkennen, wenn sich Menschen engagieren, wenn sie etwas leisten und wenn sie etwas aufbauen. Diese Menschen verdienen nicht unseren Neid, sondern unsere Dankbarkeit“, hatte Merkel am 30. November 2005 gesagt. „Das muss auch für die Leistungsträger im deutschen Gesundheitswesen gelten“, fügen die Ärzte an diesem Tag hinzu. Mit der Resolution wenden sie sich gegen „katastrophale Arbeitsbedingungen“, das „Aushungern des Gesundheitssystems“, „Versorgungsnotstand und Praxissterben“ und setzen sich für eine „qualitativ hochwertige Medizin“ ein. Ihr Demonstrationszug unter dem Motto „Gesundheit erhalten statt Mangel verwalten“ führte die Mediziner durch die verschneite Hauptstadt zum Gesundheitsministerium von Ulla Schmidt.

Lautstark und zahlreich haben sich die Augenärzte an dem Protesttag gegen die anhaltende Unterfinanzierung des Gesund-heitswesens beteiligt. Seit nachts um drei Uhr waren manche unterwegs, angereist aus Schleswig-Holstein und Bayern, aus Nordhessen und Westfalen, aus dem Südschwarzwald und von der Ostseeküste. „Das geht ins Auge“, warnten die niedergelassenen Ophthalmologen auf ihren Plakaten vor aktuellen Entwicklungen in der Gesundheitspolitik. Sie forderten „Weitsicht statt Kurzsicht“ und mahnten: „Augen auf! Die Politik setzt nur noch auf Blindgänger“.

Nach anhaltenden Protesten der Klinikärzte und einzelnen regionalen Protestaktionen der ambulanten Mediziner im vergangenen Jahr gingen zum „Tag der Ärzte“ nun erstmals bundesweit die Niedergelassenen auf die Straße. Mit 20.000 Teilnehmern hatte keiner gerechnet. Als „größte Ärztedemonstration in der Geschichte der Bundesrepublik“ wurde der Protesttag in den Medien bezeichnet. Parallel zur Großdemonstration in der Hauptstadt protestierten in Saarbrücken und in Freiburg jeweils rund 3.500 Ärzte und Helferinnern. Auch auf dem Münchner Marienplatz hatten sich 1.500 Ärzte versammelt. Rund die Hälfte der Arztpraxen in Deutschland blieb an diesem Tag geschlossen. In Berlin waren es die Patienten der Augenärzte, denen zuerst auffiel, dass viele Praxen geschlossen sind. Bereits um 8.30 Uhr hatte die Kassenärztliche Vereinigung Berlin entsprechende Mitteilungen erhalten.

„Die Augenärzte wurden als erste Fachgruppe von den Patienten vermisst“, sagte der Vorsitzende des Berliner Berufsverbands der Augenärzte (BVA) Dr. Heinrich Kruse dem AUGENSPIEGEL. Ein Defizit bei der Operationsnachsorge habe es aber dennoch nicht gegeben. „Die akute Versorgung war sichergestellt“, so Kruse. Äußerst erfreut über die große Präsenz der Fachkollegen zeigte sich auch der 1. BVA-Vorsitzende Dr. Uwe Kraffel. „Mich hat beeindruckt, wie viele Ärzte aus unserer Fachgruppe teilgenommen haben und von woher sie überall angereist sind“, so Kraffel. Zur Teilnahme aufgerufen hatten unter mehr als 40 Ärzteverbänden nicht nur der BVA, sondern auch der Bund Deutscher Ophthalmochirurgen (BDOC).

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