Kein Geld für ambulante Augenoperationen?
Ambulant vor stationär – dieser Grundsatz des deutschen Gesundheitswesens erscheint Ärzten in manchen Teilen Deutschlands derzeit in Frage gestellt. In Berlin und Niedersachsen protestieren niedergelassene Ärzte, weil die Vergütung für ambulante Operationen nach ihren Angaben nicht mehr kostendeckend ist. Auch in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz suchen die niedergelassenen Operateure nach Rettung vor dem Punktwertverfall. Angela Mißlbeck hat Meinungen gesammelt.
Viele Eingriffe in der Ophthalmologie können ambulant vorgenommen werden. Doch für die ambulanten Augenärzte in etlichen Regionen Deutschlands lohnt es sich kaum noch, zum OP-Besteck zu greifen. Deshalb fordern sie eine ausreichende Bezahlung – sei es mit einem festgelegten Punktwert von 5,11 Cent oder mit festen Euro-Preisen. Manche haben gar den Eindruck, die Politik wolle keine ambulanten Operationen von niedergelassenen Ärzten mehr.
In der Tat sind die Ausgaben für ambulante Operationen an Krankenhäusern nach Angaben des Bunds Deutscher Ophthalmochirurgen (BDOC) von 2003 bis 2004 um 70 Prozent auf 357 Millionen Euro gestiegen. Das Ausgabevolumen der niedergelassenen Ärzte für ambulante Operationen lag den Angaben zufolge konstant bei knapp einer Milliarde Euro. Doch die Krankenhäuser erschließen sich den ambulanten Bereich zunehmend, da er ihnen Zusatzeinnahmen verspricht.
Bei aller Konkurrenz legen Augenärzte aus Klinik und Praxis Wert darauf, dass sie eine geschlossene Fachgruppe bleiben. Stattdessen müsse der Protest der Politik gelten und nicht der Selbstverwaltung, so BDOC-Chef Dr. Armin Scharrer. Für die Honorareinbußen der Niedergelassenen sind seiner Ansicht nach Maßnahmen des Gesetzgebers verantwortlich, zum Beispiel die Einnahmenrückgänge bei den Krankenkassen durch die Umwandlung vieler Kassenmitglieder in Familienmitversicherte im Zuge der Hartz-IV-Reformen.
Die Protestwelle der Ärzte rollt derweil weiter. Für den 24. März hat die Freie Ärzteschaft erneut zu einem bundesweiten Protest-tag in Berlin aufgerufen. Genug Anlass besteht weiterhin. Auch im Zusammenhang mit ambulanten Operationen beklagen niedergelassene Augenärzte enorme Bürokratie. Zudem sind sich über Sektorengrenzen hinweg auch die Augenärzte einig, dass nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Qualität stimmen muss.
DER AUGENSPIEGEL befragte fünf Vertreter der Ophthal-mologie zu Problemen und Perspektiven bei ambulanten Opertionen:
Dr. Armin Scharrer, Vorsitzender des Bundes Deutscher Ophthalmochirurgen (BDOC):
„Nachdem die Umstellung in großen Teilen der Augenchirurgie aus dem stationären in den ambulanten Bereich erfolgt ist, müssen die Augenärzte mit Verbitterung feststellen, dass plötzlich kein Geld mehr da ist, um die ambulante Augenchirurgie auch kostendeckend zu bezahlen. Desolate Punktwerte von etwas über zwei Cent im zweiten Quartal 2005, zum Beispiel in Niedersachsen und Berlin, haben für die ambulanten Augenchirurgen zu einem existenzbedrohenden Umsatzrückgang geführt, der die Weiterführung des OP-Betriebes wirtschaftlich unmöglich macht. Der BDOC hat für die Verhandlungen mit den Krankenkassen die wesentlichen Eckpunkte mit festgelegt. Diese sind: Extrabudgetäre Vergütung der operativen Leistungen mit dem kalkulierten Punktwert von 5,11 Cent und Honorare für Voruntersuchungen und Nachkontrollen in ebenfalls angemessener Höhe, gegebenenfalls auf dem Wege einer Punktwertstützung. Bei unseren Protesten sollten wir peinlichst darauf achten, dass wir sie an die richtige Adresse richten, nämlich an die Politik. Wenn die Politik nicht bald aufwacht und unserer Selbstverwaltung befriedigende Regelungsmöglichkeiten einräumt, wird die ambulante Augenchirurgie, durch niedergelassene Augenärzte erbracht, bald der Vergangenheit angehören.“
Dr. Holger Bull, Mitbetreiber einer ambulanten Augenklinik in Groß Pankow, Brandenburg:
„Viele Probleme beim ambulanten Operieren betreffen letztendlich die gesamte ambulante Medizin und damit die konservativ tätigen Augenärzte ebenso wie die Operateure. Wir wissen am Monatsende nicht, was wir verdient haben. Deshalb gehört es sich, dass der Punktwert von 5,11 Cent, der betriebswirtschaftlich kalkuliert wurde – und zwar auf dem Niveau eines Krankenhausarztes und nicht eines Millionärs, wie Ulla Schmidt meint – auch ausgezahlt wird. Von Jojo-Punktwerten müssen wir weg. Wenn wir 150 Prozent Arbeitsleistung bringen und nur 50 Prozent bezahlt bekommen, braucht sich die Politik nicht wundern, dass wir Ärzte protestieren. Sie hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Mit immer weniger Geld kann man nicht immer mehr Kranke versorgen. Und wenn die Politik nun versucht, die Konkurrenz zwischen niedergelassenen und Klinikärzten zu schüren, sollten wir das nicht mit uns machen lassen. Wir Ärzte brauchen uns gegenseitig, ambulant und stationär. Kritik verdient aber auch der neue EBM, weil er neue Bürokratie geschaffen hat, die nicht im Sinne der Patienten ist. Die Frist von drei Tagen zwischen zwei Eingriffen an paarigen Organen gehört dazu, ebenso die Nachbetreuungspauschale für 21 Tage.“
Prof. Dr. Christian Ohrloff, Direktor der Universitäts-Augenklinik Frankfurt/Main und Pressesprecher der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft:
„Die Zahl der ambulanten Operateure hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Dabei sehe ich das Problem, dass nicht immer gewährleistet ist, ob ausreichende fachliche Voraussetzungen bestehen. Ich halte es für erforderlich, dass ambulante Operateure eine bestimmte Zahl an Operationen nachweisen, die sie bereits erbracht haben und zudem ein Minimum an Eingriffen, das sie kontinuierlich erbringen. Es ist davon auszugehen, dass das ambulante Operieren in allen Bereichen der Medizin zunimmt. Dennoch ist es wichtig für alle Beteiligten, dass die Zahl der Operationen nicht unnötig steigt und Indikationen eingehalten werden. Es hat keinen Sinn zusätzlichen Bedarf zu schaffen, denn dieser verursacht Kosten und hinterlässt Kosten. Und es kann nicht in unserem Interesse sein, zusätzliche Ausgaben zu produzieren. Abrechnungstechnisch sehr sinnvoll waren die Strukturverträge. Dabei ist es jedoch extrem wichtig, dass für niedergelassene Ärzte und Kliniken einheitliche Abrech-nungsmodalitäten gelten, so wie es in Hessen über Jahre gehandhabt wurde. Alles andere führt zu unsäglichen Diskussionen zwischen den Leistungserbringern.“
Dr. Regine Poetzsch-Heffter, Bayreuth, Vorsitzende der augenärztlichen Genossenschaft Bayern:
„Ambulante Operationen und Behandlun-gen, bei denen durch das Honorar nicht einmal die Kosten gedeckt sind, sollte kein Operateur mehr durchführen. Ich begrüße die Aktionen der Kollegen beispielsweise in Berlin und in Niedersachsen. In Bayern sind ambulante Operationen zum größten Teil von Strukturverträgen geregelt und somit außerbudgetär honoriert. Mich stört an diesen eigentlich guten Verträgen, dass keine Erfolgsqualität geprüft wird und jeder die Indikation nach seinen Vorstellungen und Zielen stellen kann. Alle Operationen in nicht akut lebensbedrohlichen Fällen sollten deshalb von einem zweiten Facharzt mit indiziert werden. In den Kliniken ist diese Voraussetzung durch die Teambesprechungen fast immer erfüllt. Auch im ambulanten Bereich muss diese Indikationssicherheit für den Patienten geschaffen werden. Ärgerlich ist auch, dass sich der Aufwand für die Ab-rechnung einer Operation mit dem neuen EBM 2000+ vervielfacht hat. Der OPS-Katalog ist viel zu umfangreich und unübersichtlich. Zudem ändert er sich dauernd. Deshalb benötige ich für das Auffinden der richtigen OPS-Ziffer und der zugehörigen Abrechnungsziffer nicht selten länger als für die OP selbst.“
Prof. Dr. Thomas Neuhann, München, beim Berufsverband der Augenärzte zuständig für das Ressort Ophthalmochirurgie:
„Beim ambulanten Operieren zeigt sich möglicherweise ein Problem des gesamten Gesundheitswesens besonders ausgeprägt. Wir müssen weg von der absurden Finan-zierung über Punkte und schwankende Punktwerte. Stattdessen muss es einen festen Europreis für eine definierte Leistung geben. Im Honorar sind die Kosten drin und die können nicht floaten wie die Punktwerte. Bei einem Punktwert von 2,x Cent muss ich meine Mitarbeiter nach Hause schicken. In Bayern sind wir relativ gut dran. Unser Honorarverteilungsmaßstab verschafft uns zwar auch keine festen Preise, aber die Punktwerte sind nah am kalkulierten Punktwert von 5,11 Cent. Aufhören müssen zudem die endlosen Anfragen der Krankenkassen. Deshalb wäre es am gescheitesten, wenn es im Gesundheitswesen so laufen würde, wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen. Der Patient bekommt seine Leistung auf Basis einer Preisliste. Er erhält eine Rechnung und seine Versicherung erstattet ihm den Betrag. Die Kostenerstattungs-Regelung wäre auch ein Beitrag zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Denn der Patient kann kontrollieren, ob die Rechnung stimmt, weil er auch die Leistungen empfangen hat.“