Genetische Faktoren und degenerative Netzhauterkrankungen

AMD: Variationen in zwei Genen erklären mehr als die Hälfte aller Fälle
Die hereditären Makuladegenerationen stellen eine heterogene Gruppe von Erkrankungen des zentralen Netzhautbereiches dar. Die molekulare Basis der degenerativen Veränderungen der zentralen Netzhaut sind jedoch weitgehend unbekannt. Prof. Dr. rer. nat. Bernhard Weber vom Institut für Humangenetik der Universität Regensburg, forscht seit Jahren zu den genetischen Ursachen hereditärer Netzhauterkrankungen. Barabra Ritzert sprach mit ihm über neue Erkenntnisse zu genetischen Faktoren im Bereich der degenerativen Netzhauterkrankungen.

Frage:
Was versprechen Sie sich von den derzeit laufenden genetischen Untersuchungen bei der AMD?

Bild Prof. Dr. B. Weber:
Heute ist es ein übergeordnetes Ziel, die zugrunde liegende Pathophysiologie dieser Erkrankung zu verstehen. Sobald die genetischen Faktoren bekannt sind, die einen Einfluss auf die Entstehung der AMD haben, besteht natürlich die Möglichkeit, auch die Funktion dieser Proteine oder Gene näher zu untersuchen. Damit eröffnet sich wiederum die Chance innovative Therapieoptionen gezielt auszurichten. Das ist ein vergleichbarer Ansatz, wie er auch bei den erblichen Retinopathien verfolgt wird.

Frage:
Welche Bedeutung haben bei der AMD die genetischen Faktoren grundsätzlich?

Prof. Dr. B. Weber:
Die AMD ist eine komplexe Erkrankung, das heißt sowohl genetische als auch individuelle/umweltabhängige Faktoren spielen für die Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle. Im Bereich der genetischen Faktoren haben wir im Jahr 2005 einen ersten Durchbruch erlebt als man Variationen auf Chromosom 1 im CFH-Gen gefunden hat, die das Risiko für eine AMD signifikant beeinflussen. Dieses Gen kodiert für den Komplementfaktor H, einem essentiellen Regulator der angeborenen Immunität. Nur kurze Zeit später konnte eine weitere entscheidende Entdeckung für die AMD gemacht werden. Variationen in einer Region auf Chromosom 10, welches zwei Gene ARMS2 und HTRA1 umfasst, konnten ebenfalls mit einem hohen Risiko für die AMD-Erkrankung assoziiert werden. Überraschend ist, dass Variationen in den beiden bisher bekannten Genorten, also auf Chromosom 1 und Chromosom 10, zusammen über die Hälfte aller AMD-Fälle erklären können. Auf dieser Grundlage lässt sich somit ein Risiko für die Entstehung einer AMD abschätzen. Zu bedenken ist jedoch, ob eine solche Diagnostik für den Einzelnen Sinn macht, denn die entscheidende Frage lautet: Gibt es bei bestehendem hohen Risiko eine entsprechende Behandlungsoption?

Frage:
Was wissen Sie über diese Gene?

Prof. Dr. B. Weber:
Die Region auf Chromosom 1 in der das mit der AMD assoziierte CFH Gen liegt, ist genetisch gesehen eine komplexe Region. Das sehen wir gerade auch an neueren Befunden, die zeigen, dass zwei CFH-benachbarte Gene, CFHR 1 und 3, bei manchen Personen deletiert sein können. Die Auswirkungen solcher Deletionen, auch auf das Risiko einer AMD, verstehen wir noch nicht. Hier werden wir sicher noch einige Zeit benötigen, und da wird es eventuell noch die eine oder andere Überraschung geben. Ähnlich ist das in der Region der ARMS2 und HTRA1 Gene auf Chromosom 10. Hier wird die entscheidende Frage sein, welches der beiden Gene tatsächlich das Risiko für eine AMD vermittelt.

Frage:
Erhöhen die Gene auf Chromosom 10 ebenfalls das Risiko für die AMD?

Prof. Dr. B. Weber:
Ja, und zwar in ähnlich hohem Maße wie Varianten auf Chromosom 1. Wir wissen auch, dass Träger von Risikovarianten in beiden Genorten, also Chromosom 1 und 10, ein additives Risiko besitzen und damit ein Risiko das 50 bis 60-fach erhöht sein könnte.

Frage:
Sie sagten, man komme bei den Retina-Erkrankungen mit konventioneller Diagnostik häufig nicht sehr weit, da die Erkrankungen klinisch kaum zu unterscheiden sind und dass daher eigentlich nur die Genetik weiter hilft. Haben genetische Untersuchungen schon jetzt eine Bedeutung?

Prof. Dr. B. Weber:
Bei den erblichen Netzhauterkrankungen sind wir ja in der glücklichen Situation, dass wir heute schon ein großes Wissen um die Mechanismen der Erkrankungen angesammelt haben. Wir haben in einigen Fällen bereits ganze Netzwerke aufgeschlüsselt und verstehen die molekularen beziehungsweise zellulären Veränderungen sehr gut. Das ist auch das Ziel, das wir vor zehn bis fünfzehn Jahren angepeilt hatten. Wir sehen heute auch eine erste Umsetzung dieser Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung in die praktische Medizin. Der viel strapazierte Begriff der „translationalen Medizin“ wird also zumindest in seinen Anfängen Realität. Bei allen Fortschritten stehen wir aber sicherlich noch großen Problemen gegenüber. Beispielsweise sind bestimmte neuere Therapieformen wie die Gentherapie, die sich für das Krankheitsbild einer frühen und schweren Form der Retinitis Pigmentosa bereits in der klinischen Phase befindet, lediglich für Störungen in ganz bestimmten Erbfaktoren einsetzbar. Die Zukunft wird aber wohl eher darin liegen, allgemeine Krankheitsmechanismen ins Visier zu nehmen. Dann sollte es Therapien geben, die Patienten mit unterschiedlichen molekularen Ursachen hilft und die nicht für jeden einzelnen Patienten individuell maßgeschneidert sein muss. Diese letzte Option wäre zu aufwändig und zu teuer, um realisiert werden zu können. Wir befinden uns gegenwärtig noch in einer Phase, in der mit ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen versucht wird, neue Therapieformen zu entwerfen und auf ihre Tauglichkeit zu testen.

Frage:
Helfen die neuen genetischen Erkenntnisse auch heute schon?

Prof. Dr. B. Weber:
Weil wir die genetischen Ursachen ganz gut kennen, können wir beispielsweise Therapieerfolge viel besser einschätzen als wie wir es noch vor ein paar Jahren konnten. Früher hatte man eine große Gruppe beispielsweise von RP-Patienten und hat sich gewundert, dass einzelne Therapieformen besser bei dem einen ansprechen als beim anderen. Jetzt können wir die Patienten sehr genau genetisch diagnostizieren und verstehen, warum dies so ist. Wir können nachvollziehen, dass beispielsweise Patienten mit einer ganz bestimmten Mutation besser ansprechen als andere.

Frage:
Wie viel Genetik braucht der Augenarzt demnächst?

Prof. Dr. B. Weber:
Genetik ist heute sehr wichtig geworden, nicht nur im Bereich der erblichen Augenerkrankungen. Es gibt hier Entwicklungen, die es vor fünfzehn Jahren noch nicht denkbar waren und die Diagnostik und Behandlungsoptionen ganz wesentlich beeinflussen.

Herr Professor Weber, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Barbara Ritzert.
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Gendefekt auf 2. Chromosom nachgewisen
Einer Arbeitsgruppe um Dr. Claudia von Strachwitz, Würzburger Universitäts-Augenklinik, sowie Genetikern um Prof. Dr. B. Weber aus Regensburg und London ist der Nachweis eines Gendefekts auf dem zweiten Chromosom gelungen. In dem ARMS2-Gen entdeckten sie einen stark mit AMD assoziierten Deletions-Insertions-Polymorphismus. Diese Genvariante führt zu einem raschen Abbau der ARMS2-mRNA und damit zum Ausfall des Mitochondrienproteins, das sich nach Einschätzung der Forscher in der Ellipsoid-Region der Photorezeptoren befindet. Dieser Befund lege deshalb den Schluss nahe, dass ein mitochondrialer Funktionsdefekt in der Netzhaut eine Schlüsselrolle in der Entstehung der AMD zu spielen scheint. (Nat. Genetics, 30.5.).

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