Genetische Faktoren der AMD
Neue Erkenntnisse zum Verständnis der Pathogenese
Obwohl die Identifikation von krankheitsrelevanten Varianten im menschlichen Genom bei genetisch komplexen Erkrankungen wie der Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleicht, ist es gelungen gleich drei Gene zu identifizieren, in denen Gen-Varianten signifikant zur Krankheitsanfälligkeit beitragen. Priv.-Doz. Dr. Hendrik Scholl und Prof. Dr. Frank Holz fassen den gegenwärtigen Stand zur Genetik der AMD zusammen.
Die Altersabhängige Makuladegeneration als genetisch komplexe, multifaktorielle Erkrankung des zentralen Netzhaut/RPE/Bruchsche Membran/Choriokapillaris-Komplex stellt unverändert eine große Herausforderung in der Augenheilkunde dar. Zahlreiche Hinweise dafür, dass genetische Faktoren eine bedeutende Rolle spielen, existierten schon länger. So haben Verwandte ersten Grades von AMD-Patienten einen erhöhtes Risiko (Faktor 2,4) einer frühen AMD, werden durchschnittlich in einem jüngeren Lebensalter durch die Erkrankung betroffen und haben ein erhöhtes Lebenszeitrisiko (Faktor 4,2), die Erkrankung jemals zu bekommen. In einem groß angelegten Versuch an Zwillingspaaren, den jeweiligen Anteil der Genetik und der Umweltfaktoren zu bestimmen, haben Seddon und Mitarbeiter den relativen Anteil genetischer Faktoren auf bis zu 71 Prozent beziffert.
In genomweiten Kopplungs- und Assoziationsstudien konnten mehrere chromosomale Orte identifiziert werden, die mit einem erhöhten AMD-Risiko einhergehen. In einer Metaanalyse von insgesamt sechs großen Studien konnte Sheila Fisher zusammen mit der Arbeitsgruppe von Prof. Bernhard Weber (Regensburg) zeigen, dass die chromosomalen Orte mit größter Signifikanz im Bereich 10q26 und 1q31 liegen.
Durch eine systematische Untersuchung der chromosomalen Region 1q31 konnten im Frühjahr 2005 vier voneinander unabhängige Untersuchungen zeigen, dass eine Veränderung eines Bausteins im Gen, welches für den Komplementfaktor H (CFH) kodiert, eine entscheidende Rolle bei der genetische Prädisposition für AMD spielt (Science 308: 385-389; 419-424; PNAS 102: 7227-7232). Gefunden wurde zunächst ein Austausch von Thymin (T) durch ein Cytosin (C) an Nukleotidposition 1277 im CFH-Gen, welcher an Aminosäureposition 402 einen Austausch von Tyrosin durch Histidin bewirkt (Y402H-Polymorphismus). Individuen, die eine einzige Kopie des Histidin-Allels tragen, besitzen ein 2- bis 4-fach erhöhtes Risiko einer AMD. Menschen mit zwei Kopien des Allels, das heißt Homozygote, besitzen sogar ein 5- bis 7-fach erhöhtes Risiko. Der Befund wurde seither mehrfach unabhängig bestätigt. Gleichzeitig wurde gezeigt, dass das CFH-Gen noch weitere Varianten (so genannte single nucleotide polymorphisms, SNPs) besitzt, die zum Teil von ähnlicher Bedeutung sein dürften wir der Y402-Polymorphismus. Offensichtlich modulieren verschiedene genetische Variationen im Bereich des CFH-Genortes das Risiko für AMD.
Tatsächlich kann nun eine Beteiligung des Immunsystems an der Pathogenese der AMD als gesichert gelten. Das Komplementsystem besteht aus einem komplexen System von Plasmaproteinen und bietet dem menschlichen Organismus Schutz vor vielfältigen pathogenen Einflüssen. Der Komplementfaktor H hemmt die Komplement-Kaskade, indem er Teilkomplementen inaktiviert und initiierende Faktoren wie C-reaktives Protein „lahmlegt“. Insofern ist Faktor H vereinfacht als „Komplementbremse“ zu verstehen. Der CFH-Polymorphismus, der jetzt mit der AMD in Verbindung gebracht wurde, führt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum völligen Ausfall der Faktor H-Funktion. Er befindet sich in einem Molekülbereich, der zum Beispiel für die Bindung an Heparin zuständig ist. Die genauen Konsequenzen dieser Veränderung sind derzeit noch unklar.
In Zusammenarbeit der Bonner Universitäts-Augenklinik mit der Arbeitsgruppe Zelluläre und Molekulare Immunologie der Universität Göttingen von Prof. Martin Oppermann wird derzeit in einem in vitro-Ansatz geklärt, ob der genetische Polymorphismus im CFH-Gen auf Proteinebene auch tatsächlich funktionell ist. Die Arbeitsgruppe von Gregory Hageman konnte nicht nur eine spezifische CFH-Immunreaktivität in Drusen nachweisen sondern auch, dass eine solche Immunreaktivität in AMD-Augen signifikant verstärkt ist gegenüber normalen Spenderaugen. Außerdem wurde nachgewiesen, dass CFH zusammen mit dem die eigentliche Wirkung des Komplementsystems vermittelnden Molekülkomplex, dem so genannten „C5b-9 membrane attack complex“, in Drusen vorkommt.
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