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„Die versprochene Planungssicherheit fehlt weiterhin“

Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Die ersten Ergebnisse der Honorarreform stehen fest. Und die Verhandlungen zwischen Ärzten und Krankenkassen über das Honorar und seine Verteilung im Jahr 2010 haben bereits begonnen. Drei gute Gründe für den AUGENSPIEGEL, den Vorsitzenden des Berufsverbands der Augenärzte (BVA) Prof. Dr. Bernd Bertram um ein Interview zu bitten. Der BVA-Chef spricht über eine dürftige Datengrundlage, dringende Not­wendig­­keiten in der Selbstverwaltung und vage politische Aussichten für die zukünftige Entwicklung der Augenheilkunde.

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DER AUGENSPIEGEL:
Herr Professor Bertram, die KBV hat die Ergebnisse für das erste Quartal nach der neuen Honorarsystematik vorgelegt. Welche Konsequenzen lassen sich daraus für die Augenärzte ziehen?

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Aus diesen Zahlen lassen sich vorerst nur wenig Konsequenzen ziehen. Ein Wissen­schaftler würde eine solche Daten­grundlage nicht für Auswertungen verwenden. 40.000 Praxen sind überhaupt nicht berücksichtigt, viele Meldungen aus den KVen sind vorläufige Hochrechnungen und ganz klar ist, dass diese Zahlen für das erste Quartal mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl teilweise besser ausfallen als die Honorare in den Folgequartalen.

DER AUGENSPIEGEL:
Der Auswertung zufolge haben die meisten Augenärzte gewonnen: 59 Prozent der Augenärzte haben Honorarzuwächse, 41 Prozent müssen Verluste hinnehmen…

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Diese Gewinner-Verlierer-Statistik ist unerträglich. Wenn der Hartz-IV-Empfänger zwei Prozent mehr hat und gleichzeitig der Gutverdiener zwei Prozent abgeben muss, dann ist das doch ein unsinniger Vergleich. Entscheidend ist nicht, ob einer etwas gewinnt oder verliert, sondern dass wir endlich eine adäquate Vergütung für unsere ärztliche Leistung bekommen, die uns ein adäquates Honorar aus GKV-Einnahmen ermöglicht. Das wurde durch die Honorarreform für die nichtoperative Augenheilkunde nicht erreicht. Auch die KBV-Analyse kommt nicht an der absurden Entwicklung vorbei: Es wird immer mehr Geld für Prävention und Psychotherapie ausgegeben und die Regelleistungsvolumen (RLV) bleiben auf der Strecke. Langer Rede kurzer Sinn: Entscheidend ist eine vernünftige Honorierung der Augenheilkunde.

DER AUGENSPIEGEL:
Gibt es denn erste Anhaltspunkte dafür, wie sich die Honorare innerhalb der Augenheilkunde entwickelt haben – gibt es Unterschiede zwischen Operateuren und Basisversorgern?

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Es liegen bisher für das erste Quar­tal 2009 noch keine Zahlen vor, die Aufschluss geben über die Entwicklung der Honorare bei den operativen und den nichtoperativen Augenarztleistungen. Die Zahlen für die Grundversorgung in der Augenheilkunde ergeben sich aus den RLVs und dem Restpunktwert für Leistungen, die das RLV übersteigen. Das Problem ist doch, dass die RLVs am Ende der Nahrungskette stehen. Bevor die Fallwerte festgelegt werden, gehen alle Vorwegabzüge ab. Das muss sich ändern. Es kann nicht sein, dass die konservative Augenheilkunde weniger Honorar erhält, weil die Dialysesachkosten steigen oder vermehrt Patienten im Schlaflabor untersucht werden. Was ist das für eine Logik?! Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Honorarreform im kommenden Jahr ist es deshalb dringend nötig, einen Extratopf für die RLV-Leistungen zu schaffen.

DER AUGENSPIEGEL:
Wie bewerten Sie denn die Forderung, dass die fachärztliche Grundversorgung gestärkt werden muss, die die KBV mit Blick auf die Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl unter explizitem Verweis auf die Augenärzte aufgestellt hat? Kann hier eine Umverteilung aus den OP-Honoraren erfolgen?

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Die KBV-Forderung kann ich nur unterstreichen. Dass die wohnortnahe augenärztliche Grundversorgung gestärkt werden muss, ist völlig richtig. Das kann jedoch nicht durch eine Umverteilung von Honoraren für OP-Leistungen zur Basisversorgung geschehen. Erstens ist das Finanzvolumen nicht groß genug. Damit kommt man nicht weit. Zweitens ist es in der jetzigen Systematik unmöglich, denn die Operationen werden nicht aus der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung bezahlt. Eine Verminderung von OP-Honoraren würde – wenn überhaupt – auf alle Fachgruppen verteilt werden.

DER AUGENSPIEGEL:
Wie kann das Problem dann gelöst werden? Dass die augenärztliche Grundversorgung in manchen Regionen, zum Beispiel Brandenburgs, bereits kurz vor dem Zusammenbruch steht, steht ja wohl fest, oder?

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Fest steht, dass die nichtoperative Augenheilkunde auch nach der Honorarreform nicht ausreichend bezahlt ist. Das Vorurteil, dass der Augenärztemangel in Brandenburg und anderen neuen Bundesländern am schlimmsten ist, hat der BVA mit einer Analyse widerlegt. Dabei hat sich gezeigt, dass Hessen und Schleswig-Holstein am stärksten von Unterversorgung betroffen sind. Das Problem muss man aber weniger auf Landesebene als regional betrachten und – zumindest strukturell – oft auch regional lösen. So finden sich zum Beispiel immer mehr Augenärzte zu Gemeinschaftspraxen, Praxisgemeinschaften und anderen kooperativen Versorgungsformen zusammen, so dass es zu einer Ausdünnung in ländlichen Bereichen kommt. Die jungen Kollegen wollen fast alle in größere Praxen. Solche Großpraxen, die sich vornehmlich in Ballungszentren bilden, können Zweigsprechstunden in ländlichen Räumen anbieten. Solche Modelle werden zunehmen. Diesen Strukturwandel sollte die Selbstverwaltung durch finanzielle Anreize für augenärztliche Basisversorger in eine sinnvolle Richtung unterstützen. Hierbei hilft letztlich nur eines: Feste Preise mit einer Geltungsdauer von mindestens einem Jahr statt einem Quartal. Und diese Honorare müssen für jeden Patienten bezahlt werden, der behandelt wird, und nicht nur für eine bestimmte Zahl von Patienten aus dem vorigen Jahr. Wenn die RLV-Fallwerte für mindestens ein Jahr feststehen, wäre mehr Planungssicherheit gewonnen, denn auch dieses Versprechen hat die Honorarreform bisher nicht eingelöst. Wenn alle Fälle mit adäquatem Honorar bezahlt würden, würden manche Kollegen mehr Sprechzeiten anbieten und viele Klagen über Augenarzttermine wären beseitigt. Aber leider wollen Politik und Kassen anscheinend diesen Mangel.

DER AUGENSPIEGEL:
Aber mit den vorab mitgeteilten RLVs wissen die Ärzte doch nun wenigstens, was sie im nächsten Quartal mindestens verdienen.

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Das ist zwar weitgehend richtig, doch viele KVen versenden die RLV-Bescheide unter Vorbehalt und auch das oft erst zwei Wochen vor Quartalsbeginn. Zudem schwanken die RLVs jedes Quartal. In Thüringen wurden die RLV des ersten Quartals sogar deutlich nach Quartalsende noch drastisch reduziert. Ende August vereinbaren Kassen und KBV die Eckdaten für die Gesamtvergütung im nächsten Jahr, aber auch diese Vereinbarung hat nur begrenzte Aussagekraft, weil nachträglich wieder an zahlreichen Stellschrauben gedreht wird. Wo soll da die versprochene Planungssicherheit sein?!

DER AUGENSPIEGEL:
Apropos Planungssicherheit — was erwarten Sie von der Bundes­tagswahl?

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Fest steht, dass der Wahlausgang eine gewisse Weichenstellung für die wohnortnahe Facharztversorgung bedeuten wird. Ich persönlich sehe schwarz für die wohnortnahe Augenarztversorgung mit Freiberuflern, wenn das Bundesgesundheitsministerium in gleicher Besetzung wie bisher weitermacht. Doch egal wie die Wahl ausgeht: Eine Lösung all unserer Probleme erwarte ich nicht. Auch wenn Schwarz-Gelb eher Verständnis für unsere Anliegen hat, wird auch eine derartige Koalition wohl eine Gesundheitsreform auf den Weg bringen, die Ausgaben begrenzt.

DER AUGENSPIEGEL:
Und welche Forderungen haben Sie an die Gesundheitspolitik nach der Wahl?

Prof. Dr. Bernd Bertram:
Zentral ist, dass gleich lange Spieße zwischen Krankenhäusern, kapitalstarken Medizinischen Versorgungszentren und niedergelassenen Ärzten herrschen. Unbedingt erhalten bleiben muss dabei die Selbstbestimmung des Arztes als Freiberufler. Das gilt nicht nur mit Blick auf MVZ, sondern auch bei der Privatisierung von Krankenhäusern. Es darf nicht sein, dass die Medizin wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird und es nur noch um Umsätze geht, aber nicht mehr um Patientenversorgung. Außerdem bin ich ein Gegner des Gesund­heitsverwaltungssystems. Meines Erachtens sollte man nicht jeden Handgriff in der Medizin gesetzlich regeln. Und last but not least muss genug Geld für eine qualitativ hochwertige Augenheilkunde zur Verfügung stehen. Dafür muss die Debatte um die Priorisierung von Leistungen geführt werden. Ein Beispiel: Optiker setzen 3,8 Milliarden Euro um und verkaufen 10,2 Milliarden Brillen im Jahr. In der nichtoperativen Augenheilkunde stehen für 30 Millionen GKV-Patienten pro Quartal 700 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist lächerlich im Vergleich zum Umsatz der Optiker und daran sieht man, wo es hinführen kann, wenn etwas aus der GKV ausgegliedert wird.

DER AUGENSPIEGEL:
Herr Professor Bertram, vielen Dank für das Gespräch.

Protest vor der Bundestagswahl
Verschiedene Ärzteverbände haben im Vorfeld der Bundestagswahl zu Protesten aufgerufen und halten weiterhin daran fest. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt forderte jedoch ein sofortiges Ende der Proteste, nachdem die KBV die Zahlen aus dem ersten Quartal bekannt gegeben hat. Die Ministerin wertete die Ergebnisse als Zeichen für eine deutliche Verbesserung der Honorarsituation der niedergelassenen Ärzte. Diesen Zahlen zufolge gehören auch die Augenärzte mit einem Durchschnitts-Plus von sieben Prozent deutschlandweit zu den „Gewinner“-Fachgruppen. Dennoch sieht der BVA keine wesentliche Verbesserung. Er weist darauf hin, dass in das Plus auch die gestiegenen Sachkosten und Kosten für eine wachsende Anzahl von Operationen eingehen. Ein effektives Minus von 13 Prozent verbuchten die Augenärzte in Baden-Württemberg. Der BVA-Landesverband rief daher seine Mitglieder zur Teilnahme an einer Demonstration gegen die Gesundheitspolitik am 5. September im Münchner Olympiastadion auf.

Das Interview führte Angela Mißlbeck.

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