ARVO-Meeting 2006 setzte Superlative (Teil 1)

Wissenschaftlicher Austausch mit Besucherrekord
Die diesjährige ARVO (Association for Research in Vision and Optics) in Ft. Lauderdale, Florida, war wieder einmal eine Börse des wissenschaftlichen Gedankenaustauschs, die Superlative setzte. Mit erstmals 10.200 teilnehmenden Augenärzten aus aller Welt wurde im Juni ein bisher nicht erreichter Rekord an Teilnehmern erzielt. Auch in wissenschaftlicher Hinsicht hatte die ARVO in diesem Jahr wieder in angenehmer und ungezwungener kollegialer Atmosphäre, umrahmt von maritimem Flair und zu sommerlichen Temperaturen, Sehens- und Hörenswertes zu bieten. Ein zusammenfassender Bericht von Dr. Sabine H. Baumert..

An viereinhalb Tagen wurde eine so große Vielzahl an nahe- zu unüberschaubaren Vorträgen und Posterbeiträgen präsentiert, dass der Autorin dieses Beitrags die zwangsläufige Beschränkung der Auswahl interessanter Beiträge für ein Update entsprechend schwer fällt. In diesem Sinne seien hiermit exem-plarisch einzelne Themata zu entsprechenden Schwerpunkten herausgegriffen, wie:

  • Antiangiogenetische Therapiemöglichkeiten in der Behandlung vorwiegend der Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD)
  • Die Beeinflussbarkeit okulärer Erkrankungen durch Genforschung
  • Netzhaut- und glaukomchirurgische Aspekte

So berichteten Cronemberger und Kollegen von der Universität Minas Gerais, Brasilien, über die Diagnostik und Therapie überfiltrierender Filterkissen. Sie stellen die Resektion eines Teils des Filterkissens als mögliche therapeutische Option bei sonstiger therapieresistenter Hyperfiltration vor. Hierbei müssen folgende Kriterien vorliegen beziehungsweise beachtet werden: persistierende Druckwerte < 6 mmHg, fehlende Entzündungszeichen im Bereich der vorderen Augenabschnitte, das Vorliegen eines prominenten und avaskulären Filterkissens mit/ohne Mikrozysten, ein negativer Seidel-Test und eine in allen vier Quadranten fehlende Aderhaut-Amotio. R. Guthoff und Kollegen von der Universität Würzburg präsentierten die konfokale In-vivo-Mikroskopie zur Beurteilung früher oder später funktionierender oder versagender Filterkissen. Mit Hilfe der konfokalen Mikroskopie konnten in Epithel und Stroma zystische Zwischenräume festgestellt werden, deren Verteilungsmuster in frühen wie späten Filterkissen differenziert ausgeprägt ist und so eine Prognose über den biomikroskopisch nicht beurteilbaren postoperativen Erfolg liefern kann. Wellik und Kollegen vom Bascom Palmer Eye Institute, Miami, wiesen in einer Korrelation zwischen der Dicke der zentralen Hornhaut und verschiedenen postoperativen Komplikationen nach, dass die zentrale Hornhautdicke keinen Risikofaktor für hypotoniebezogene Komplikationen wie chorioideale Effusion oder hypotone Makulopathie darstellt. Singh und Friedman, Universitätskliniken Singapur und Moorfield, London, untersuchten postoperativ Filterkissen mit Hilfe des OCT (Optical Coherence Tomography) nach erfolgter Trabekulektomie mit Mitomycin C oder 5-Fluoruracil. Es gelang mit Hilfe des OCT die Ausmessung spezifischer Filterkissencharakteristika wie Blasenhöhe, Flap-Fibrose, episklerale Fibrose, Bestimmung der Randdicke, Ausmessung der tangentialen wie radiären Ausdehnung, Dicke des Skleralappens sowie der Weite des inneren Ostiums. Konservative Glaukomforschung In der konservativen Glaukomforschung wurden interessante Beiträge hinsichtlich Neuroprotektion und Apoptose vorgestellt. Laut Cordeiro und Mitarbeitern, St. Mary’s Hospital London, geht der retinale Ganglienzelltod verstärkt einher mit der Bildung des Alzheimer-Proteins Beta-Amyloid (Abeta). In einer tierexperimentellen Studie wurde an Ratten die Beziehung zwischen Abeta und einem erhöhten intraokularen Druck untersucht. Im Resümee konnte eine direkte Korrelation zwischen der Höhe des Abeta-Vorkommens und der Höhe des IOD festgestellt werden, so dass die Autoren hier von einer kausalen Ursache des Abeta ausgehen. Die Arbeitsgruppe um Di Polo von der Universität Montreal präsentierte mit der Substanz Galantamin eine neue neuroprotektive Strategie gegen den Ganglienzelltod beim Glaukom. Galantamin wird in der Alzheimer-Behandlung bereits eingesetzt. Es handelt sich hierbei um einen Acetylcholinesterase-Inhibitor und allosterischen Verstärker der Nikotinrezeptoren, der mit wenig Nebenwirkungen einhergeht, oral appliziert werden kann und zu einer höheren neuronalen Dichte sowie besseren zellulären Integrität führt. Ein IOD-senkender Effekt selbst konnte nicht nachgewiesen werden. Eine Arbeit von Barros und Kollegen, New York, beschäftigte sich mit Unterschieden der okulären Pulsamplitude bei hoher Myopie, Glaukom und Normalbefunden. Ein höherer Myopiegrad gilt allgemein als Risikofaktor für die Entstehung eines Glaukoms. Die okuläre Pulsamplitude, das heißt die Differenz zwischen minimalen und maximalen pulsatilen intraokularen Druckwerten, gilt bei Patienten mit hohen intraokularen Drucken als erhöht und reduziert bei Normalpersonen sowie bei hoher Myopie. In dieser prospektiven Studie wurden 95 Patienten untersucht und der IOD sowie die okuläre pulsatile Amplitude (OPA) mit dem dynamischen Konturtonometer nach Pascal (Fa. Swiss Microtechnology) gemessen. Dabei zeigte sich, dass myope Augen niedrigere okuläre Pulsamplituden aufweisen als emmetrope Augen mit gleichem IOD-Niveau. Lag eine hohe Myopie vor, war die OPA stets reduziert unabhängig vom IOD-Niveau. Bei emmetropen Augen war die OPA bei Normaldruckglaukomen niedriger als bei hohen Augeninnendrucken oder Normalpersonen. Es wird angenommen, dass die reduzierte okuläre Perfusion bei höherer Myopie auf Veränderungen des Blutflusses oder auf unterschiedliche Skleradicken oder -steifigkeiten zurückzuführen ist. Genforschung und Glaukomdiagnostik In einer Vielzahl von Arbeiten aus dem Bereich der Grundlagenforschung wurde Bezug genommen auf den wachsenden Einfluss der Gendiagnostik und Gentherapie. Insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Genforschung auch auf dem Gebiet der Glaukomdiagnostik, zum Beispiel hinsichtlich des Genmappings, wurden Arbeiten vorgestellt. Knepper und Kollegen von der Universität Chicago demonstrierten eine Arbeit über die Identifikation spezieller chromosomaler Glaukomloki, die wiederum spezifisch auf den Stoffwechsel von Glaukompatienten einwirken. So konnte bei vierzehn ABC „multidrug“-Transportsystemen eine Zuordnung zu acht Glaukomloki durchgeführt werden. ABC-Transportdefekte sind auch bekannt bei der Alzheimer-Erkrankung. Sarfarazi und Kollegen von der St.George’s University, London, gelang zum Beispiel die molekulare Identifikation von WDR36, einem neu identifizierten, für das adulte primär chronische Offenwinkelglaukom verantwortlichen Gen auf Abschnitt 5q22.1. Mutationen dieses Gens sind für das Zustandekommen von fünf bis zehn Prozent aller primär chronischen Offenwinkelglaukome ursächlich. Grus und Kollegen von der Universität Mainz präsentierten eine Arbeit über den Nachweis von Proteinchip-Biomarkern in der Kammerwasserflüssigkeit von Glaukompatienten. Sie untersuchten zwei annähernd gleich große Gruppen von Glaukompatienten und Normalpersonen. Bei den Normalpersonen wurde Kammerwasser im Rahmen einer Kataraktoperation gewonnen, bei Glaukompatienten im Rahmen einer Trabekulektomie. Die Kammerwasserproben wurden mit Hilfe eines SELDI-TOF-MS-Chip-Arrays mit zwei verschiedenen chromatografischen Oberflächen untersucht. Es fanden sich unterschiedlich ausgeprägte Biomarker bei beiden Gruppen, die mit einer Sensitivität von 90 Prozent und einer Spezifität von 87 Prozent eine Unterscheidung zwischen Glaukompatienten und Normalpersonen ermöglichen. Nanotechnologien In einem Minisymposium über neue pharmakologische Therapiemöglichkeiten referierte V. Lee, Silver Spring, über die Nanotechnologie in der Behandlung okulärer Erkrankungen. Nanosysteme wie Peptide und Liposomen stellen attraktive Medikamentenplattformen für okuläre Erkrankungen dar, nicht nur aufgrund ihrer geringen Größe, mit der sie in kleinste Räume einzudringen vermögen, sondern auch weil sie hinsichtlich innovativer Behandlungsmethoden mehrere Aufgaben übernehmen können. Ihre Verwendbarkeit hängt jedoch vor allem von der Entwicklung neuer Biomaterialien ab. Prow und Kollegen vom John Hopkins Wilmer Eye Institute, Baltimore, untersuchten die In-vivo-Toxizität von im Rahmen der Nanotechnologie angewandten Gentechniken. Mehrere genetische Nanopartikel waren zuvor in vitro erfolgreich getestet worden. Zwei Monate alten Kaninchen wurden entsprechende Nanopartikel intravitreal oder subretinal injiziert. Nach sieben Tagen wurden die Augen enukleiert und hinsichtlich Glaskörperklarheit, retinaler Anomalien, Fibrose, RPE-Abnormalitäten oder Entzündungszeichen bewertet. Alle verwendeten Substanzen wie Chitosan, Polyphosphoester und magnetische Nanopartikel zeigten unterschiedliche Toxizitätsreaktionen in vivo. Chitosan war zwar das effektivste Medikament, verursachte aber in bis zu 92 Prozent Entzündungsreaktionen. In bis zu 38 Prozent wurden Glaskörpertrübungen gefunden. Magnetische Nanopartikel erwiesen sich demgegenüber als am wenigsten toxisch. Behandlung von Neovaskularisationen Die Arbeitsgruppe von Bardak und Kollegen, Demirel-Universität Isparta, Türkei, untersuchten den Effekt der photodynamischen Therapie (PDT) auf die okuläre Perfusion. Bei 18 Patienten mit einer klassischen subfovealen CNV (chorioidaler Neovaskularisation) wurde nach Durchführung einer PDT die okuläre Perfusion mit dem farbcodierten Doppler untersucht, ferner die Sehschärfe und die Kontrastwahrnehmung bis zu drei Monate nach der PDT. In der Auswertung zeigten sich keine negativen Einflüsse auf die übrige okuläre Perfusion. Auch die funktionellen Ergebnisse hatten sich nicht verschlechtert. Jounda et al. vom Quinze-Vingt National Hospital Paris berichteten über die kombinierte intravitreale Triamcinolon-Gabe plus PDT bei CNV assoziiert mit Pigmentepithelabhebung bei AMD. Sie untersuchten Patienten mit klassischen wie okkulten CNV, mit subretinalen Hämorrhagien und typischem Ödem. Unter intravitrealer Triamcinolon-Gabe kam es in allen Fällen zu einer Regression der serösen neuroretinalen Abhebung. Es wird empfohlen, bei ausgeprägter Pigmentepithelabhebung das Triamcinolon bereits vor der PDT zu applizieren, um das hohe Risiko von Pigmentepitheleinrissen zu reduzieren. Die Tübinger Arbeitsgruppe um Süsskind und Kollegen stellte eine Arbeit über das funktionelle wie morphologische Outcome nach vollständiger Makulatranslokation und PDT vor, in der 24 Augen mit vorwiegend klassischer und okkulter chorioidealer Neovaskularisation retrospektiv beurteilt wurden nach vorangegangener Makulatranslokation und PDT. Ein Teil der Patienten erhielt die PDT vor der Rotation, ein Teil postoperativ aufgrund einer rezidivierenden CNV. Alle drei Monate wurde der ophthalmologische Status kontrolliert mit Visusbestimmung, Fundusfotografie und Fluoreszenzangiografie. Im Ergebnis zeigte sich nach einem Follow-up von 1,5 Jahren ein stabilisierter oder gebesserter Visus bei Patienten mit Rotation nach PDT, während die Patienten mit PDT nach Rotation tendentiell eine Visusverschlechterung in den Kontrollen aufwiesen. Trese und Kollegen, Associated Retinal Consultants, Royal Oak, Minnesota, berichteten über einen erfolgreichen Einsatz von Macugen in der Behandlung der Retinopathia praematurorum bei mehreren Kindern mit schwerer bilateraler ROP. Es wurde jeweils ein Auge mit Macugen behandelt, während das zweite unbehandelte Auge der Kontrolle diente. Von den behandelten Kindern musste sich nur ein Kind einer Laserbehandlung unterziehen, so dass die Autoren von einem viel versprechenden therapeutischen Ansatz ausgehen. In der Behandlung der ROP stellten Chen und Kollegen von der Harvard Medical School, Boston, den frühen Einsatz von Erythropoietin zur Verhinderung eines sauerstoffinduzierten retinalen Schadens vor. Der systemische Wachstumsfaktor EPO, der die Erythrozytenkonzentration reguliert, wird auch in der Anämiebehandlung unreifer Neugeborener eingesetzt. In einer tierexperimentellen Studie an Mäusen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach ihrer Geburt EPO systemisch injiziert bekamen, konnte gezeigt werden, dass mit einer frühen EPO-Behandlung die Entwicklung von Neovaskularisationen gehemmt und möglicherweise das letzte Stadium der ROP verhindert werden kann. Einsatz antiangiogenetischer Substanzen Eine Vielzahl von Arbeiten beschäftigte sich schwerpunktmäßig in diesem Jahr mit der Wirkung und dem Einsatz verschiedener antiangiogenetischer Substanzen, von denen mit Pegabtanib (Handelsname Macugen) zunächst nur eine genannt sein soll. Gonzalez und Kollegen, Valley Retina Institute McAllen, Texas, untersuchten die Verwendung von Pegabtanib zur Regression der proliferativen diabetischen Retinopathie. Bei zehn Patienten mit diabetischen Neovaskularisationen wurden alle sechs Wochen 0,3 mg Pegabtanib intravitreal appliziert und der therapeutische Erfolg mit regelmäßigen Funduskontrollen, Fluoreszenzangiografien und OCT-Kontrollen ermittelt. Ausschlaggebend für einen Behandlungserfolg war ein Rückgang der Neovaskularisationen, ein Visusanstieg und eine Abnahme der zentralen Netzhautdicke im OCT. In allen zehn Augen ließ sich nach Abschluss der Behandlung innerhalb eines Monats der gewünschte Effekt nachweisen. Pegabtanib als selektive VEGF-Blockade kann daher als sinnvolle Option in der Behandlung der proliferativen diabetischen Retinopathie gewertet werden und so die Indikation und Frequenz notwendiger Laserbehandlungen deutlich senken. Die Wiederkehr einer CNV bei AMD nach Beendigung einer 24-monatigen Behandlung mit Ranibizumab (Handelsname Lucentis) beschrieben Korotkin und Kollegen von der Universität San Diego, Kalifornien. Ranibizumab ist ein Fab-Fragment eines humanen monoklonalen Antikörpers gegen VEGF. Nach anfänglicher CNV-Regression, Resorption der subretinalen Flüssigkeit und Leckageabnahme kam es in der vorliegenden Studie nach Ende einer 24-monatigen Behandlungsphase bei drei von sieben Patienten zu einem CNV-Rezidiv. Daraus kann abgeleitet werden, dass es sich bei einer CNV um einen chronischen Prozess handelt, bei dem VEGF den zugrundeliegenden Stimulus sequestriert und den Erkrankungsprozess in einem signifikanten Anteil der Patienten persistieren lässt, so dass eine Nachbehandlung mit Ranibizumab notwendig ist. Spaide und Kollegen, Vitreous Retina Macula Consultants, New York, berichteten über therapeutische Erfolge bei AMD-bedingter CNV durch intravitreales Bevacizumab (Handelsname Avastin). 165 Patienten wurden in dieser retrospektiven Studie mit wenigstens einer intravitrealen Injektion mit 1,25 mg Bevacizumab behandelt und wenigstens einen Monat mit Visus-, Fundus- und OCT-Kontrollen nachbeobachtet. Bereits nach einem Monat ließen sich signifikante Behandlungserfolge hinsichtlich einer Visusverbesserung und Reduktion des Makulaödems nachweisen. Lediglich bei einem Patienten traten Anzeichen einer milden intraokularen Entzündung auf. Um weitere Aussagen machen zu können, war das derzeitige Follow-up-Zeitfenster noch zu gering. Teil 2 des Kongressberichtes (Themen: Vitreoretinale Chirurgie und innovative Therapieansätze in der Behandlung der anterioren Uveitis) in der nächsten Ausgabe.

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