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Zur 172. RWA-Versammlung in Bonn

„Augenheilkunde und Lebensqualität“

Trotz Sturmtief Keziban und Schneechaos kamen Ende Januar rund 500 Augenärzte zur 172. Versammlung des Vereins Rheinisch-Westfälischer Augenärzte (RWA) nach Bonn. Zu der zweitägigen Fortbildung, die in diesem Jahr unter dem Motto „Augenheilkunde und Lebensqualität“ stand, hatte Tagungspräsident Priv.-Doz. Dr. Ulrich Fries (Bonn) eingeladen. Neben wissenschaftlichen Vorträgen zum gesamten Themenspektrum der Augenheilkunde standen vor dem Hintergrund wirtschaftlich angespannter Zeiten auch Aspekte wie Kosten-Nutzen-Bewertung und Prozessoptimierung auf dem Programm. Von Katica Djakovic.

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Links: Verschneite Straßen erschwerten die Anreise nach Bonn. Mitte: Tagungspräsident Priv.-Doz. Dr. Ulrich Fries eröffnete die 172. RWA-Versammlung. Rechts: Etwa 500 Augenärzte nutzten die Gelegenheit zu Austausch und Fortbildung.

In seiner Eröffnungsrede verwies Tagungspräsident Priv.-Doz. Dr. Ulrich Fries darauf, dass gerade in der Augenheilkunde die Patienten in erheblichem Maße vom medizinisch-technischen Fortschritt profitieren würden. So sei es „in weiten Bereichen unseres Faches schon fast selbstverständlich geworden, nicht nur zu heilen, sondern die Lebensqualität deutlich zu verbessern“. Auch RWA-Vereinspräsident Prof. Dr. Andreas Scheider (Essen) zeigte in seiner Begrüßungsrede auf, dass Augenärzte „Menschen überdurchschnittlich glücklich machen können“, denn es gebe nur wenige medizinische Bereiche, die die Lebensqualität so beeinflussen wie das Sehen.

Lebensqualität in der Augenheilkunde

Folgerichtig standen nicht nur das Motto der diesjährigen RWA-Tagung und die Eröffnungsreden im Zeichen von „Lebensqualität“. Dem Thema waren auch am Samstagvormittag sieben Vorträge aus unterschiedlichsten Perspektiven gewidmet. Prof. Dr. Dr. Thomas Lengauer vom Max-Planck-Institut für Informatik (Saarbrücken) stellte seine Arbeit auf dem Gebiet der Krebs-Epigenetik vor: Diese beschäftigt sich mit molekularbiologischen Veränderungen, die zu einer dauerhaften Störung der Gen-Regulation – bei gleichzeitig intakter DNA-Sequenz – führen. Lengauer stellte in Aussicht, dass ein besseres Verständnis epigenetischer Modifikationen eine Vielzahl neuer Möglichkeiten in der Krebstherapie eröffnen könnte.

Prof. Dr. Bernd Bertram (Aachen) erläuterte den hohen Stellenwert, den Sehen für die Lebensqualität in der Bevölkerung hat, sowie das Time-Trade-Off-Verfahren. Mit dieser Methode, die zur Quantifizierung der visuellen Lebensqualität herangezogen wird, wird ein Maß (Qualy, quality adjusted life year) für den Nutzwert des Sehens geliefert. Das Problem bei der Nutzwertberechnung sei jedoch, so Bertram, dass es keine objektiven Nutzwerte liefere. Zudem gäbe es bei der Kostenfrage eine volkswirtschaftliche Schwelle zu berücksichtigen. Auch der Arzt in der Praxis könne sich der Kosten-Nutzen-Berechnung nicht vollständig entziehen.

Am Beispiel der Amblyopiefrüherkennung zeigte Priv.-Doz. Dr. Stefan Lange vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) die Entscheidungsstrategien des Institutes auf. Beim Amblyopiescreening gehe es (da es sich um Kinder handle) nicht um Kosten, sondern um nachweislichen Nutzen, und der hätte sich anhand der vorliegenden Studien nicht belegen lassen können. Kritische Anmerkungen zum IQWiG-Bericht gab Prof. Dr. Joachim Esser (Essen), der die vom IQWiG ausgewählten Daten als nicht akzeptabel bezeichnete und monierte, dass „80 Jahre augenärztlicher Erfahrung aus „formalistischen Gründen völlig ausgeblendet“ würden.

Die Rolle des IQWiG als Bewertungsmonopolist kritisierte der Gesundheitsökonom Prof. Dr. Dieter Cassel, Mercator School of Management (Duisburg), bevor er anschließend zum Thema „Wettbewerb und Kosten-Nutzen-Bewertung in der GKV-Arzneimittelversorgung“ referierte. Er plädierte unter anderem für den Abbau von Überregulierung und „Steuerungswirrwarr“ sowie das Handlungsprinzip Rationalisierung vor Rationierung.

Einblicke in die Prozessoptimierung gab Dirk Pfitzer (Bietigheim-Bissingen), Porsche Consulting GmbH, der erläuterte, dass im Krankhaus durch Optimierung von Prozessen Potenziale von mehr als 30 Prozent möglich seien. Alles, was nicht der Genesung des Patienten diene (wie zum Beispiel Wartezeiten, Suche von Patientendaten, Schnittstellen), sei Verschwendung, so Pfitzer, und verglich auf unterhaltsame Weise mittels Filmen einen Boxenstopp beim Autorennen mit dem Wechsel im OP-Saal.
Welches „Gut“ die Gesundheit ist, hinterfragte der Ethik-Professor Prof. Dr. Ludger Honnefelder (Bonn) in seinem Vortrag und zitierte den deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer: „Gesundheit ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Gesundheit.“ Honnefelder zeigte das Recht auf Gesundheit(-sfürsorge) auf sowie das Problem, Gerechtigkeit zwischen Dringlichkeit und Effizienz zu erzielen.

Vorträge und Kurse

Über zwei Tage lang konnten die rund 500 Augenärzte aus 85 Vorträgen und zwei Kursen Inhalte aus dem gesamten Themenspektrum der Augenheilkunde wählen. Aufgrund der Fülle der Beiträge seinen hier exemplarisch nur einige genannt:
Prof. Dr. Günter K. Krieglstein (Köln) erörterte die Kanaloplastik als neue Dimension der nicht-penetrierenden Glaukomchirurgie und zeigte Kriterien auf, die eine neue Methode erfüllen müsse, um sich als Standard-OP zu etablieren: Sie sollte auf möglichst viele Krankheitsformen anwendbar, leicht erlernbar sowie kostengünstig sein.

Einer kritischen Betrachtung unterzog Dr. Jörg-Michael Koch (Münster) die Kanaloplastie beim primären Offenwinkelglaukom und ging unter anderem auf postoperative Besonderheiten ein. So würden Patienten (durch die Verkrümmung der Hornhaut) erstmal einen schlechten Visus haben, dieser Astigmatismus bilde sich aber nach drei bis vier Wochen zurück. Ferner sei am ersten postoperativen Tag fast regelmäßig eine Vorderkammerblutung festzustellen. Als Nachteile der Kanaloplastie nannte er, dass diese Methode auf Offenwinkelglaukome beschränkt und der Preis für den Katheder mit 800 Euro hoch sei. Dennoch stelle die Kanaloplastie eine Alternative zur fistulierenden Trabekulotomie dar.

Dr. Inga Kersten-Gomez berichtete über erste Erfahrungen an der Univ.-Augenklinik Bochum mit dem Mikro-Bypass-Stent, einem kammerwinkelgestützten Glaukomdrainagesystem: Nach Minimalschnitt werden hierbei mit einem Injektorsystem zwei Stents aus Titan in den Schlemmschen Kanal eingeführt. Die Rekrutierungsphase dauere bis Ende des Jahres an und man erhoffe sich Behandlung von therapierefraktären Patienten und möglicherweise die Aussicht auf kombinierte Katarakt- und Glaukomoperationen.

Ein Pilotprojekt namens BOON (Bonn Ophthalmology Online Network), das die Behandlung choriodaler Neovaskularisationen bei AMD mit intravitrealen Injektionen erleichtern soll, stellte Prof. Dr. Nicole Eter vor: Jeder zweite Patient käme leider nur maximal dreimal pro Jahr zur Behandlung, weil sich zum Beispiel Patienten nicht an Kontrolltermine halten oder es Probleme mit Zuweisern an den Schnittstellen gebe. Als Lösungsansatz hat die Univ.-Augenklinik Bonn im September 2009 eine gemeinsame Datenbank mit zehn niedergelassenen Augenarztpraxen freigeschaltet: Derzeit seien 53 Patienten erfasst und mithilfe der Datenbank sollen Injektions- und Kontrolltermine besser überwacht werden.

Dr. Ilka Veltrup stellte die Ergebnisse einer retrospektiven Studie am St. Franziskus-Hospital in Münster vor, die die Wirksamkeit von Adalimumab (ADA) bei Erwachsenen mit chronischer Uveitis untersuchen sollte. Die Ergebnisse zeigten bei rund 80 Prozent der Patienten mit therapierefraktärer nicht-infektiöser Uveitis eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit.

Auszeichnungen

Zum dritten Mal wurde im Rahmen einer RWA-Versammlung der Dr. Georg-Preis verliehen, der nach dem Gründer und Leiter der Augenklinik in Bad Rothenfelde sowie Gründer der Stiftung „Dr. Georg-Blindenstiftung” benannt ist. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung, die Verdienste im Bereich der Operationen würdigt, wurde in diesem Jahr an Dr. Harun Akgül von der Univ.-Augenklinik Essen für seine intraokulare Biopsiepinzette zur histologischen Untersuchung intraokularer Tumore vergeben.

Der mit ebenfalls 10.000 Euro dotierte RWA-Wissenschaftspreis wurde auf der letztjährigen Versammlung an Dr. Julia Biermann von der Univ.-Augenklinik Freiburg vergeben, die in Bonn über Zwischenergebnisse ihrer Forschungsarbeit berichtete. Die Breisgauer Ärztin, die den Preis im Vorjahr noch unter ihrem Mädchennamen Laßeck angenommen hatte, zeigte sich hoffnungsvoll, dass Histondeacetylase (HDAC)-Inhibitoren eine neuroprotektive Wirkung auf geschädigte retinale Ganglienzellen haben könnten.

Zur 173. RWA-Versammlung laden die Augenärzte am St. Franziskus-Hospital am 4. und 5. Februar 2011 nach Münster ein.

 

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