Zum XXI. Internationalen Treffen der Ophthalmohistoriker in Halle
Kontakt-Brillen, Farbensinn und Ptosis-Chirurgie
Zum Jahrestreffen der Julius-Hirschberg-Gesellschaft, der Vereinigung für Geschichte der Augenheilkunde, wurde in diesem Jahr vom 5. bis 7. Oktober 2007 nach Halle geladen. Hochkarätige internationale Referenten bestritten das umfangreiche und vielfältige Programm der 21. Jahrestagung unter Leitung der diesjährigen Tagungspräsidentin Prof. Dr. Jutta Herde. Dr. Sibylle Scholtz berichtet über einige der referierten Themen.
Die diesjährige Tagung in der Händel-Stadt Halle wurde stilvoll durch Darbietung eines Musikstücks von Händel durch das Akademische Kammermusik-Orchesters der Universität Halle eröffnet. Nach den einführenden Worten der diesjährigen Tagungspräsidentin Prof. Dr. Jutta Herde, die besonders die Teilnahme des Urenkels von Albrecht von Graefe, Hanns-Albrecht von Graefe, würdigte, begrüßte auch der Hausherr und letztjährige Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), Prof. Dr. Gernot Duncker, die Anwesenden. Er betonte den wesentlichen Beitrag von Mitgliedern der Julius-Hirschberg-Gesellschaft zur diesjährigen Jubiläumstagung der DOG in Bezug auf die Würdigung außergewöhnlicher Ophthalmologen durch Prof. Dr. Jutta Herde, Prof. Dr. Jörg Draeger, Prof. Dr. G. Holland und Dr. Gerhard Keerl, die für die Lebensläufe auf den im Berliner Kongressgelände angebrachten Stelen verantwortlich zeichneten, dankte Frau Prof. Herde für ihre außerordentlichen Leistungen zur DOG-Festschrift und dem Geschäftsführer der Julius-Hirschberg-Gesellschaft, Frank Krogmann, für die Auflistung der DOG-Meilensteine der Geschichte.
Die erste wissenschaftliche Sitzung der ophthalmohistorischen Tagung stand unter der Leitung von Prof. J. Draeger und Dr. S. Fahrenbach und wurde eröffnet mit einem Vortrag von Dr. Robert Heitz (Straßburg) zum Thema „Wie in Halle an der Saale die ersten gaspermeablen Kontaktlinsen getestet wurden“. In den Jahren 1918 bis 1923 wurden durch den Physiker Albert Wiegand (1888 bis 1932) und die Firma Zeiss mehrere Patente zur Herstellung von „Kontakt-Brillen aus Zelluloid“ angemeldet. Die klinischen Versuche dieser ersten gaspermeablen Kontaktlinsen wurden durch Wilhelm von Clausen (1878 bis 1961) an der Universitäts-Augenklinik Halle durchgeführt.
Prof. Dr. Gerhard Holland referierte zum Thema „Der Ophthalmologe Hugo Magnus – der britische Staatsmann William Edward Gladstone und der Farbensinn“. Vor 100 Jahren starb in Breslau Hugo Magnus, Ophthalmologe, Medizinhistoriker und Schriftsteller. In einem kurzen Nachruf im Zentralblatt für Augenheilkunde schrieb Julius Hirschberg, dass unter seinen zahlreichen Leistungen sich „Anfechtbares, Brauchbares und Vortreffliches“ finde. Die 1877 erschienene Abhandlung „Die geschichtliche Entwicklung des Farbensinns“ zählte Hirschberg zu den anfechtbaren Leistungen. Doch es ist gerade dieses Werk, das Magnus damals in Europa bekannt machte. Magnus vertrat die Theorie, dass sich das Farbensehen langsam von Null bis zur vollen Wahrnehmung entwickelt habe und stützt diese Theorie mit sprachwissenschaftlichen Argumenten. Er zitiert in seiner Arbeit W. E. Gladstone, der 1858 in seinen „Studien über Homer und das homerische Zeitalter“ auch die Farbwahrnehmung der Menschen zur Zeit von Homer an Hand des Farbvokabulars in der Odyssee und Ilias analysiert und zu einem ähnlichen Ergebnis wie Magnus kommt: Der Farbensinn zu jener Zeit war noch unterentwickelt. Magnus schickte Gladstone seine Arbeit, dieser veröffentlichte darauf hin seine eigene Arbeit über den Farbensinn, die auf Veranlassung von Magnus 1878 ins Deutsche übersetzt wurde. Gut drei Jahre korres_pondierten Magnus und Gladstone miteinander. Ihre Ansichten blieben jedoch nicht unwidersprochen. 1999 veröffentlichte Elizabeth Henry Bellmer in „Annals of Science“ eine längere Arbeit zu diesem Thema. Ausführlich bespricht sie die Arbeiten von Magnus und Gladstone, erwähnt ihre Korrespondenz, bringt die Gegenargumente zahlreicher Autoren aus den Jahren 1877 bis 1878 und befindet abschließend: Die Theorie von Magnus und Gladstone und die Antwort darauf verkörpere einen kleinen Einzelaspekt der damaligen Debatte zum Darwinismus.
Prof. Dr. Jutta Herde setzte sich mit „150 Jahre Ptosis-Chirurgie“ auseinander. Das Herabsinken des oberen Augenlides – Phalangosis, Prolapsus palpebrarum superioris, Blepharoptosis, Atonia palpebralis, Ptosis – war im Mittelalter und auch den Arabern schon bekannt. Bartisch, Fabricius ab Aquapendente, Scultetus, Boerhaave und andere empfahlen für die Behandlung dieser Erkrankung das Aufwärtshalten des Lides manuell, mit Fäden, Heftpflaster beziehungsweise mit speziellen Klammern. Nach Boerhaave handelte es sich weniger um eine Lähmung als um eine Fasererschlaffung. Wegen der bis auf die durch Erkrankung am äußeren Auge wie Tumoren, Blutungen, Ödem, Gewebswucherungen, fehlerhafter Erregung des M. levator palp. weitgehend unklar gebliebenen Ursachen ließ eine adäquate Therapie lange auf sich warten. Die Klammer bestand in einem an ein Brillengestell im rechten Winkel angebrachten Ring oder einer Hornplatte. Erste chirurgische Maßnahmen wurden in Form von Hautausschneidungen vorgenommen. Albrecht von Graefe exzidierte Haut- und M. orbicularis-Gewebe mit dem Hinweis, den M. levator palp. zu kürzen, wenngleich er selber damit keinen Erfolg erzielte. Die Hautausschneidung hat sich für ausgewählte Situationen bis in die Neuzeit erhalten.
Den entscheidenden ersten Schritt unternahm William Bowman 1857 mit der posterioren konjunktivalen Levatorkürzung. Er gab ebenfalls die Empfehlung für den anterioren transkutanen Zugang. Eversbusch führte 1883 die erste transkutane Levatorkürzung durch. Seit der Zeit wurden zahlreiche Variationen der Kürzung des lidhebenden Muskels und auch des Müller-Muskels sowohl transkutan als auch konjunktival vorgenommen.
Die zweite grundlegende Ptosis-Operationsart, die Augenbrauen- beziehungsweise Frontalis-Suspension, führte Dransart 1880 mit nicht resorbierbaren Fäden ein. Die Anzahl der Fäden, die Art des Nahtmaterials, die Fadenführung, die Verwendung der verschiedensten Materialien für die Suspension wurden mehrfach abgewandelt. Weitere Verfahren stellen die Tarsus-Ausschneidung mit oder ohne Müller- und/oder Levator-Muskel dar. Die Tarsektomie wurde primär zur Korrektur trachombedingter Lidstörungen vorgenommen (Stallard 1811, Bowman 1850). Das Verfahren von Fasanella-Servat erfreute sich großer Beliebtheit, insbesondere durch die Favorisierung von Beard. Hervoet und Tessier (1956) kombinierten die posteriore Tarsus-Exzision mit einer anterioren Haut-Muskelresektion.
Um die moderne Weiterentwicklung der Ptosis-Chirurgie haben sich Beard, Boergen, Collin, Jones, Jordan und Anderson, Putterman, Urist und andere verdient gemacht. Die unterschiedlichen Operationsmethoden haben sich in Abhängigkeit der Ursache der Ptosis, des Ausmaßes und der Gesamtsituation bis heute erhalten, wenngleich bei den Muskelverkürzungen sich der anteriore Zugang ohne zusätzliche Tarsusverstümmelung und ohne sekundäre konjunktivale Probleme mehr und mehr durchgesetzt hat. Die Entwicklung der Ptosis-Chirurgie ist zu einem großen Teil eine Geschichte von Ideen, Versuchen, Enthusiasmus sinkendem Enthusiasmus und Entmutigung (Beard 1976).
„Heinrich Adelmann (1817 – 1884) und seine ophthalmologischen Zeichnungen“ stellte Frank Krogmann in seinem Beitrag vor. Der Würzburger Professor Heinrich Adelmann fertigte in den Jahren 1835 bis 1837 diverse ophthalmologische Zeichnungen an. Im Vortrag wurden biographische Angaben zu Adelmann gegeben und seine Zeichnungen vorgestellt. Noch vor der Zeit der ersten Augenklinik in Würzburg, die 1857 begründet wurde, fand bereits augenärztlicher Unterricht statt. Heinrich Adelmann vertrat als Dozent seit dem Wintersemester 1836 bis 1837 hauptsächlich die Augenheilkunde. Er gab theoretischen Unterricht und erteilte praktischen Unterricht am Phantom und an der Leiche. Er wurde 1841 außerordentlicher Professor und trat 1879 in den Ruhestand. Julius Hirschberg berichtete in seiner Geschichte der Augenheilkunde: „Von ihm besitzt die jetzige Augenklinik zu Würzburg eine Sammlung selbst gefertigter Aquarell-Bilder der äußeren _Augenkrankheiten. Er erfand ein Instrument zur Punktion und Aussagung des Hypopyon (1852), das zur Anwendung beim Pferde empfohlen wurde, und die transparenten Augenspiegelbilder zum Gebrauch bei Vorlesungen.“ Im Rahmen der Vorbereitungen zum 150-jährigen Jubiläum der Augenklinik Würzburg wurde man sich dieser Sammlung wieder bewusst und die Sammlung wurde digitalisiert.
Prof. Dr. Dieter Schmidt ehrte in seinem Beitrag „Alfred Huber (1918 bis 2006)“. Mit Alfred Huber ist im vergangenen Jahr einer der bedeutendsten und international angesehensten Neuro-Ophthalmologen der zweiten Hälfte des 20. und dem frühen Beginn des 21. Jahrhunderts verstorben. Als vorbildliche Persönlichkeit wurde er in seiner freundlichen, gebildeten, bescheidenen und liebenswürdigen Art stets geschätzt. In der Schweiz gilt er als „Vater der Neuro-Ophthalmologie“. Er war international sehr beliebt, in den USA nannten ihn viele Kollegen „Uncle Freddy“. Alfred Huber war ein hervorragender Kenner und Lehrer der Ophthalmologie, dessen Bücher und Aufsätze ihn überleben werden. 1968 wurde er mit dem Franceschetti-Liebrecht-Preis der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft und 1972 mit dem Albrecht-Vogt-Preis der Schweizerischen Ophthalmologischen Gesellschaft ausgezeichnet.
Teilnehmer der 20. Jahrestagung der Julius-Hirschberg-Gesellschaft.
Im Anschluss an den wissenschaftlichen Teil des Programms fand die jährliche Mitgliederversammlung der Julius-Hirschberg-Gesellschaft statt, in der unter anderem Frau Prof. Dr. Jutta Herde erneut zur Vorsitzenden gewählt wurde.
Die kommenden Jahrestagungen der Julius-Hirschberg-Gesellschaft finden vom 3. bis 5. Oktober 2008 in Salzburg (Österreich) und vom 2. bis 4. Oktober 2009 in Heiden (Schweiz) statt. Weitere Informationen unter: http://www.dog.org/jhg/