Interdisziplinärer Dialog beim Pro Retina Research-Colloquium

Das zweite internationale Pro Retina Forschungs-Kolloquium 2006 fand unter dem Titel „Retinal Degeneration – Illuminating Molecular Complexities of the Retina“ Anfang April in Potsdam statt. Anlässlich der von der Selbst-hilfeorganisation Pro Retina Deutschland e.V. organisierten Veranstaltung informierten Referenten aus den verschiedensten europäischen Forschergruppen aus unterschiedlichen Bereichen über den aktuellen Stand der Netzhautforschung. Damit wurde nach dem großen Erfolg des Forschungskolloquiums 2005 auch in diesem Jahr der interdisziplinäre Dialog zwischen den beteiligten Personen- und Berufsgruppen weitergeführt. Ein Nachbericht von Dr. Hendrik P. N. Scholl, Dr. Monika Fleckenstein, Dr. Tim Krohne, Hans-Martin Helb, Dr. P. Charbel Issa und Prof. Dr. Frank G. Holz.

Pro Retina

Als einen diesjährigen Höhepunkt im Rahmen der europäischen Forschung zur retinalen Degeneration bezeichnete der Fachbereichsleiter „Forschung/Therapie“ der Pro Retina Deutschland e.V. und zugleich einer der Hauptorganisatoren Franz Badura, in seinen einleitenden Begrüßungsworten das internationale Meeting. Anschließend eröffnete Prof. Dr. Eberhart Zrenner offiziell das Kolloquium, in dem er kurz auf die Geschichte der Pro Retina zurückblickte und von den Anfängen der seinerzeitigen Retinitis pigmentosa-Vereinigung bis zum heutigen Tag die große Erfolgsgeschichte dieser aktiven Patientenorganisation nachzeichnete.

EVI-GENORET-Projekt

In seinem Rückblick auf das Jahr 2005 hob er hervor, dass durch die europäische Union in diesem Jahr das „EVI-GENORET-Projekt“ zur Förderung kam, das ein integriertes Projekt mit einem Fördervolumen von zehn Millionen Euro und einem Förderzeitraum von vier Jahren darstellt. Immerhin hatten sich in dieser Förderperiode 144 Konsortien beworben, von denen letztlich nur zwölf ausgewählt wurden. Besonders wichtig war in diesem Prozess die Gründung des European Vision Institute (EVI), das durch Zrenner selbst, durch José Sahel (Paris), José Cunha-Vaz (Coimbra) und Adam Sillito (London) gegründet worden war. Das European Vision Institute stellt in einer gewissen Ähnlichkeit zum National Eye Institute eine paneuropäische Organisation dar, welche europäische Forschung im Bereich der Augenheilkunde koordiniert. Zrenner hob außerdem hervor, dass die Pro Retina Deutschland Kräfte bündelt mit Retina International und dadurch Synergieeffekte für die gemeinsame Sache erreicht.

Retina International

Die Präsidentin der Retina International, Christina Fasser, war bei diesem Meeting anwesend, begleitete die wissenschaftlichen Diskussionen und stellte in der darauffolgenden Präsentation aus Patientenperspektive diejenigen Erkrankungen vor, die dann im Folgenden durch die Wissenschaftler verschiedener Disziplinen besprochen wurden. In ihrer Präsentation bezeichnete sie die Diagnose einer retinalen Dystrophie als einen „ungebetenen Gast“, der seinen Charakter im Laufe der Jahre verändert, nicht nur durch die sich veränderte Symptomatik, sondern auch durch die sich wandelnde Einstellung zu dieser Diagnose. Christina Fasser besprach dann unterschiedliche Facetten von Sehbeeinträchtigungen, die mit verschiedenen retinalen und makulären Dystrophien einhergehen, wie moderate und schwere Verluste des peripheren Gesichtsfeldes, zentrale Gesichtsfeldausfälle, Blendungsem-pfindlichkeit und Schwierigkeiten sich auf verschiedene Beleuch-tungsbedingungen einzustellen. Sie zeigte auch auf, wo in diesen einzelnen Symptomkomplexen die Schwierigkeiten liegen: dass beispielsweise bei Verlust des zentralen Sehens nicht nur beim Lesen Schwierigkeiten bestehen, sondern auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation und im „Lesen“ von Emotionen. Christina Fasser beschrieb außerdem die entscheidenden Herausforderungen, die für Patientenorganisationen zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen, insbesondere die Schwierigkeit, geeignete Patienten für Interventionsstudien ausfindig zu machen.

Wissenschaftliches Programm

Das wissenschaftliche Programm wurde durch Prof. Dr. Frank Holz eröffnet, der über die neuesten Technologien im Bereich retinaler Bildgebung berichtete und Perspektiven aufzeichnete, in welche Richtungen sich diese bildgebenden Verfahren in Zukunft entwickeln dürften. In seiner Präsentation zeigte er die Möglichkeiten auf, beispielsweise der so genannten Fundusautofluoreszenz, welche in vivo erlaubt, den Komplex aus Photorezeptoren und retinalem Pigmentepithel bildlich sichtbar zu machen und zwar über die indirekte Bildgebung der Lipofuszein-Akkumulation im retinalen Pigmentepithel. Mit Hilfe dieser Methode ist es gelungen, pathophysiologische Prozesse retinaler und makulärer Degenerationen, insbesondere der AMD, zu studieren. Diese Methode dürfte auch geeignet sein, die entsprechenden Zielvariablen zu definieren, wenn bei einer Unterform der fortgeschrittenen AMD, nämlich der geographischen Atrophie, Interventionsstudien durchgeführt werden sollten. Auch weitere Verbesserungen dieser Technologien sind in Sicht, wie beispielsweise die hochauflösende Fundusautofluoreszenz oder sogar der Einsatz eines Femtosekundenlasers in Verbindung mit konfokaler Laser-Scanning-Ophthalmoskopie, die jetzt schon ex vivo erlaubt, nicht nur einzelne Zellen, sondern sogar Organellen innerhalb von Zellen sichtbar zu machen. Schließlich bietet auch die optische Kohärenztomographie mit den methodischen Verbesserungen der allerletzten Zeit die Möglichkeit, quasi in vivo am Patienten histologische Schnitte der Netzhaut bildlich darzustellen.

Sinnesrezeptordegeneration

In einem ersten Block berichteten Prof. Dr. Uwe Wolfrum, Prof. Dr. Roland Roepman und Prof. Dr. Christine Petit über genetische und subzelluläre Prozesse, die zu Sinnesrezeptordegeneration führen. Von besonderem Interesse sind dabei Proteine der so genannten Zilien. Die Tatsache, dass diese sowohl von Photorezeptoren als auch den inneren Haarzellen im Innenohr genutzt werden, stellt die Grundlage dafür dar, dass es bei einem Defekt in diesem Bereich zum Usher-Syndrom mit einer gleichzeitigen Schädigung retinaler Photorezeptoren und der inneren Haarzellen kommt. Der Vortrag von Frau Prof. Petit vom Pasteur-Institut in Paris setzte an dieser Stelle an und betonte die große Bedeutung von Tiermodellen (insbesondere Mausmodellen) für die erbliche Schwerhörigkeit, weil die Chochlea im Gegensatz zur humanen Netzhaut nicht gut zugänglich ist und man daher für das Studium der Pathophysiologie auf solche Modelle angewiesen sei.

Zapfen- und Zapfen-Stäbchen-Dystrophie

Der Vortrag von Dr. Susanne Kohl (Tübingen) über Zapfen- und Zapfen-Stäbchen-Dystrophie verdeutlichte die großen Fortschritte, die im Bereich der stationären Erkrankungen geleistet worden sind, gerade durch das Labor von Dr. Bernd Wissinger mit der Entdeckung von CNGA3 und CNGB3 als Ursache für die totale Farbenblindheit. Sie stellte auch die großen Herausforderungen dar, die in der Aufklärung der genetischen Defekte im Bereich der progressiven Zapfen- und Zapfen-Stäbchen-Dystrophien bestehen. Die Tatsache, dass Erkrankungen des Stäbchen-Systems sekundär immer auch das Zapfen-System in Mitleidenschaft ziehen, war dann der Ansatzpunkt der Präsentation der Arbeitsgruppe Prof. Thierry Leveillard & Prof. José Sahel aus Paris. Dieser Gruppe ist es vor kurzer Zeit gelungen, den „Rod-derived cone viability factor“ und die dazugehörenden Gene, das RD CVF1 und 2 zu klonieren. Leveillard zeigte auf, welches Potential dieser „Rod-derived cone viability factor“ für zukünftige Interventionsstudien haben könnte.

Priv.-Doz. Mathias Seeliger (Tübingen) stellte die Möglichkeiten der Phenotypisierung, hier speziell des Elektroretinogramms, vor. Er fokussierte sich auf spezielle Anwendungen des Elektroretinogramms, wie beispielsweise das von Dr. David Pepperberg ent-wickelte „double flash paradigme“, aber auch gleichzeitig den Einsatz von Knockout-Tiermodellen, wie beispielsweise der „double knock out mouse“ für CNGA3 und Rhodopsin.

Posterpräsentation

Am Freitagabend erfolgte eine große Posterpräsentation. Insgesamt wurden über 60 Poster bei diesem Meeting ausgestellt. Der besondere Reiz der Poster-Session lag in der von Franz Badura organisierten Life-Music, wobei die Jazz-Band von ihm an der Trompete virtuos begleitet wurde.

Signalprozessierung

Die dritte Sitzung zur Signalprozessierung in der Netzhaut bot fundamentale Neuergebnisse aus dem Bericht der morphologischen Forschung der Netzhaut (Ulrike Jansen-Bienhold, Oldenburg; Katja Rillich, Leipzig; Dr. Silke Haverkamp, Frankfurt; Katharina Wycisk und Katharina Wistig, beide aus Zürich).

Die vierte Sitzung beschäftigte sich mit grundlegenden Prozessen der Neovaskularisation und zwar sowohl der Gefäßneubildung im Bereich der Retina, (Prof. Dr. Hans-Peter Hammes, Heidelberg) und der chorioidalen Gefäßneubildung (Prof. Dr. Olaf Strauss, Hamburg). Faszinierend waren auch die Einsichten, die Prof. Dr. Ernst Tamm aus Regensburg zur Funktion des Norrie-Proteins vortrug. Dr. Wolfram Eichler und Priv.-Doz. Dr. Andreas Bringmann aus Leipzig zeigten die pathophysiologische Relevanz des Gliazellgewebes, hier speziell der Müllerzellen, bei Netzhauterkrankung auf.

Ätiologie der AMD

Die abschließende Sitzung zu neuen Aspekten zur Ätiologie der AMD wurde eingeleitet von Dr. Claudia Keilhauer (Würzburg), die die große Bedeutung adäquater Phenotypisierung von AMD-Patienten und entsprechender Kontrollen für genetische Assoziationsstudien aufzeigte. Lars Fritsche (Regensburg) zeigte, dass der ALA69SER-Polymorphismus im LOC387715-Gen ein signifikantes Risiko-Allel für die AMD darstellt. Dr. Peter Zipfel (Jena) berichtete über die Rolle des Komplementsystems bei der AMD und zeigte Daten, die darlegen, dass nicht nur eine ausgefallene, sondern auch eine defiziente Protein-Funktion im Complement Faktor H-Gen zur so genannten membranoproliferativen Glomerulonephritis führen kann, eine Erkrankung, die phenotypische Ähnlichkeit zur AMD hat. Er zeigte ferner, dass die veränderte polymorphe CFH-Variante veränderte Bindungseigenschaften zu endothelialen Zellen hat. Schließlich gab Akshay Amand einen umfassenden Überblick über die existierenden Tiermodelle für AMD. Sein kritischer Vortrag beleuchtete die unterschiedlichen Aspekte der verschiedenen Modelle sowie ihren Nutzen für die Erforschung der AMD.

Pro Retina Makula-Preis 2005

Im Laufe dieser Veranstaltung wurde auch der Pro Retina Makula-Preis 2005 überreicht, eine Auszeichnung, die Dr. med. Steffen Schmitz-Valckenberg, Bonn, für seine Arbeit „Fundus Auto-fluorescence and Fundus Perimetry in the Junctional Zone of Geographic Atrophy in Patients with Age-Related Macular Degeneration“ erhielt.

Zusammenwirken von Wissenschaftlern und Patienten
Der besondere Wert des Kongresses, den auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte, lag für alle Beteiligten an dem Zusammenwirken von Wissenschaftlern und Patienten. „Wir sehen hier, für wen wir arbeiten und das gibt uns einen wichtigen Ansporn,“ sagte Professor Bernhard Weber, Humangenetiker von der Universität Regensburg. Auch die Vorsitzende von Retina International, Christina Fasser betonte: „Forschung braucht die Mitarbeit der Patienten, aber auch die Mitbestimmung der Patienten.“

2nd Pro Retina Research-Colloquium 2006

Das zweite internationale Forschungs-Kolloquium der Pro Retina Deutschland e.V. wurde von einer Planungsgruppe ( Prof. Klaus Rüther, Prof. Olaf Strauß, Prof. Bernhard Weber, Franz Badura) des Wissenschaftlichen Medizinischen Beirats (WMB) organisiert und hauptsächlich von der Stiftung zur Verhütung von Blindheit der Pro Retina finanziert. In den letzten Jahren wurden große Anstrengungen unternommen, die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die Nähe der therapeutischen Anwendbarkeit zu führen. Um diesen Prozess erfolgreich voranzubringen ist ein andauernder Dialog der in der Netzhautforschung beteiligten Personen- und Berufsgruppen erforderlich. Etablierten Wissenschaftlern und Ärzten, aber vor allem auch jungen Forschern, soll diese Veranstaltung eine Plattform bieten, ihre Arbeiten in einem interdisziplinären Forum vorzustellen, neue Kontakte zu knüpfen und Einblick zu geben und zu bekommen in einem Forschungsbereich, in dem fachübergreifende Einsichten in die komplexen Prozesse immer wichtiger werden.

Pro Retina Deutschland

Pro Retina ist die Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Netzhautdegenerationen, wie Makuladegeneration, Retinitis pigmentosa und dem Usher-Syndrom. Sie informiert über die Krankheiten, berät die Betroffenen in fachlichen, sozialen und psychologischen Fragen, organisiert den Austausch in Regionalgruppen. Darüber hinaus unterstützt sie die Forschung mit einer eigenen „Stiftung zur Verhütung von Blindheit.“
Pro Retina Deutschland e.V.
Vaalser Str. 108, 52074 Aachen
Telefon: 02 41 – 87 00 18, Fax: 02 41 – 87 39 61
E-Mail: .(Javascript muss aktiviert sein, um diese Mail-Adresse zu sehen), Internet: http://www.pro-retina.de

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