Geben Augenärzte den Kittel ab?

Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz ist in Kraft. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz soll im April kommen. Der AUGENSPIEGEL wollte wissen, wie Augenärzte auf die Reformen reagieren. Von Angela Mißlbeck.

Die Proteste der Ärzte gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung halten an. Mit regionalen Praxisschließungen zeigen niedergelassene Ärzte über ganz Deutschland verstreut, dass sie von der Gesundheitsreform für sich und ihre Patienten nichts Gutes erwarten. Unter dem Motto „Geiz macht krank“ hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Kampagne der Ärzte gegen die Reform gestartet. Zehntausende Arztkittel wurden dabei gesammelt, um sie symbolisch an den Nagel zu hängen.

Auch die Debatten um die Gesundheitsreform reißen nicht ab. Über den Jahreswechsel hinweg wurden immer neue kritische Stimmen aus immer anderen Ecken der Politik und der Verbände laut. Strittig waren zuletzt vor allem der neue Basistarif in der Privaten Krankenversicherung und das „Notopfer“ der Krankenhäuser. Schließlich hat die Bundesregierung zum Jahresbeginn die Befassung mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz im Bundestag auf die erste Februarwoche verschoben. Die Zustimmung des Bundesrats wird für Mitte Februar erwartet. Zum 1. April soll die Reform mit einigen Änderungen, die Ende Januar zwischen den Koalitionsfraktionen abgestimmt wurden, wie geplant in Kraft treten.

Bereits in Kraft getreten ist das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz. Seit Jahresbeginn gelten neue gesetzliche Rahmenbedingungen für die Berufsausübung in der ambulanten medizinischen Versorgung. Möglich werden dadurch Zweigpraxen, Teilgemeinschaftspraxen und andere Verbünde. Ärzte haben dieses Gesetz im Gegensatz zum GKV-WSG eher positiv bewertet. Damit sie die neuen Möglichkeiten wirklich nutzen können, müssen Kassenärztliche Vereinigungen und Ärztekammern in den Regionen jedoch erst noch die Voraussetzungen schaffen. Auch Änderungen an den Bundesmantelverträgen mit den Krankenkassen sind noch erforderlich. Währenddessen wachsen die Befürchtungen, dass diese Liberalisierung auch negative Folgen für niedergelassene Augenärzte haben könnte.

Wie beurteilen Augenärzte in Klinik und Praxis die aktuellen Reformen im Gesundheitswesen? Und wie wirken sich die Reformen auf die Arbeitszufriedenheit aus?

Dr. Werner Bachmann, 51 Jahre, seit 12 Jahren in einer augenärztlichen Gemeinschaftspraxis mit OP-Zentrum in Aschaffenburg zusammen mit vier Kollegen tätig:
„Mit meiner Berufssituation als niedergelassener Augenarzt bin ich grundsätzlich zufrieden. Ich bin mir bewusst, dass ich in einem Bundesland lebe und arbeite, das mir im Vergleich zu Kollegen in anderen Regionen großen Spielraum lässt. Wenn ich noch einmal die Wahl hätte, würde ich mich wieder für die Tätigkeit in einer mittelgroßen Gemeinschaftspraxis mit OP-Zentrum entscheiden. Das ist genau das Richtige, wenn man etwas Unternehmergeist in sich hat.

Eingeschränkt wird die Berufszufriedenheit jedoch durch das Übermaß an Verwaltung, das von der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit abhält. Auch die ständigen Reformdebatten rauben mitunter den Spaß an der Arbeit und sorgen für Verunsicherung. Für die langfristige berufliche Zufriedenheit wäre es deshalb am wichtigsten, dass die Politik die Dauerbaustelle Gesundheitsreform einmal auf Jahre schließt und die Veränderungen erst einmal wirken lässt. Das wäre nicht nur für uns Ärzte, sondern auch für die Versicherten gut. Doch darauf habe ich keine Hoffnung, denn es geht um zuviel Geld in diesem System.

Derzeit ist allen klar, dass es Veränderungen geben wird, aber keiner weiß genau, wie sie aussehen werden. Zum Beispiel ist unklar, welche Rolle die Kassenärztlichen Vereinigungen demnächst spielen sollen. Das macht das Berufsleben zu einer ständigen Hängepartie. Man kann kaum etwas planen, wenn sich die Rahmenbedingungen laufend verändern. Positiv an den aktuellen Reformen finde ich das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz. Es bietet neue, interessante Perspektiven für die ambulante Tätigkeit, wie zum Beispiel die ortsübergreifende Zusammenarbeit mit Fachkollegen oder die Möglichkeit, eine Zweigniederlassung zu gründen. Sehr skeptisch sehe ich dagegen das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, und das aus zwei Gründen. Zum einen lässt der völlig überflüssige Gesundheitsfonds befürchten, dass Finanzmittel aus Bayern abgezogen werden. Zum anderen wird die private Krankenversicherung in ihrer Existenz angegriffen. Das kann langfristig negative Folgen für die Finanzen in der Augenarztpraxis haben.“

Dr. Peter Heinz, 38 Jahre, niedergelassen in einer Einzelpraxis in Schlüsselfeld (Franken):
„Die aktuellen Reformen im Gesundheitswesen wirken sich alles andere als positiv auf meine Arbeitszufriedenheit aus. Am Vertragsarztrechtänderungsgesetz sind viele Dinge für eine Einzelpraxis wie meine unsinnig. Eine voll ausgelastete Arztpraxis kann aufgrund fehlender Manpower keine Zweigniederlassung gründen. Interessant ist allenfalls die Möglichkeit, sich zu Verbünden zusammenzuschließen, um die Einzelpraxis zu sichern. Aber insgesamt wirkt das Gesetz auf mich wie ein Ablenkungsmanöver der Politik. Es soll den Eindruck erwecken, dass die Politik im Bezug auf die in einigen Landstrichen drohende Unterversorgung etwas tut, löst aber die Grundprobleme nicht.

Ähnlich das GKV-WSG: Ich hatte geplant, die Praxis zu erweitern. Aber diese Pläne habe ich jetzt wieder eingestampft. Wenn der Basistarif in der privaten Krankenversicherung kommt, dann brechen im Jahr mehr als 100.000 Euro Praxiseinnahmen weg. Nehme ich jetzt einen zusätzlichen Kredit auf, sieht es dann schlecht aus. Ohne Schulden kann ich zur Not doch noch die Kurve kriegen und ins Ausland gehen. Zuhause stapelt sich schon das Informationsmaterial über Neuseeland, Kanada und andere Länder. Im Ausland geht es den meisten Ärzten nicht nur finanziell, sondern auch vom Ansehen her besser. In Deutschland kann ich als Arzt derzeit nur unzufrieden sein. Das liegt nicht am Fach. Ich würde jederzeit wieder Augenarzt werden, allerdings nicht mehr in Deutschland.

Die Rahmenbedingungen sind es, die mir die Freude am Beruf rauben. Und dabei ist nicht allein die ausufernde Bürokratie entscheidend. Die ist zwar lästig, aber handhabbar. Viel schlimmer ist die Unsicherheit über die ständig wechselnden Vorgaben. Komme ich ungeschoren davon? Was muss ich machen, um meine Existenz zu sichern. Diese Fragen bedrücken mich neben der unzureichenden Finanzsituation mehr als die überbordende Bürokratie. Die Arbeit als niedergelassener Arzt in Deutschland macht so einfach keinen Spaß mehr. Anders sähe es aus, wenn das Sachleistungsprinzip endlich abgeschafft und die Direktabrechnung eingeführt würde. Dann wären alle Probleme gelöst. Wir hätten Transparenz, Qualität und wirklichen Wettbewerb. Aber den Mut dazu bringt die Politik nicht auf.“

Dr. Florian Rüfer, 32 Jahre, seit vier Jahren Assistenzarzt, seit 2005 an der Universitäts-Augenklinik in Kiel, Assistentensprecher im Berufsverband der Augenärzte (BVA):
„Die Arbeit an der Uniklinik macht großen Spaß, denn sie ist vielfältig und mit sehr unterschiedlichen Anforderungen verknüpft. Weil der Beruf sehr viel Zeit erfordert, bleibt zwar manchmal etwas zu wenig Privatleben. Dafür entschädigt aber die spannende Kombination aus Forschung, Klinik und operativer Tätigkeit. Deshalb will ich gerne weiterhin an einer Uniklinik arbeiten, wenn ich meine Facharztausbildung abgeschlossen habe.

Ein echter Wermutstropfen beim Spaß an der Arbeit ist jedoch der extrem hohe Bürokratieaufwand. Die Dokumentation der Fallpauschalen für die Abrechnung erfordert extrem viel Zeit. Wenn ich dafür bestimmte Daten brauche, ist das oft mit langwierigen Anfragen und unübersichtlichen Strukturen verbunden. Auch die Arbeitszeitdokumentation ist sehr umständlich und aufwändig. Das raubt viel Zeit. Hinzu kommt, dass die Personalsituation an den Kliniken nicht optimal ist. Wir bräuchten hier mehr Kollegen, denn manchmal kommt man einfach an seine Leistungsgrenzen. Hochschulkliniken sollten meiner Meinung nach zusätzliches Geld dafür erhalten, dass sie weiterbilden, was dann auch den niedergelassenen Kollegen zugute kommt. Einsparpotential gibt es bestimmt vor allem bei der ineffizienten Verwaltung. Dann könnten auch mehr Ärzte eingestellt werden. Das wäre im Gegensatz zu den aktuellen Reformen eine Veränderung, die ich begrüßen würde.

Bei den jetzigen Reformdebatten verliert man den Überblick. Das GKV-Wettbewerbungsstärkungsgesetz verunsichert sehr. Der Gesundheitsfonds ist aus meiner Sicht nichts anderes als eine versteckte Beitragserhöhung für die Versicherten über einen Umweg, der mit noch mehr Bürokratie einhergehen wird. Auch das neue Vertragsarztrecht überzeugt mich persönlich nicht. Es gestaltet zwar alles flexibler, aber das kann auch dazu führen, dass große Zusammenschlüsse den Augenärzten in den Einzelpraxen die Existenzgrundlage entziehen. Interessant wäre es allenfalls gewesen, wenn die bürokratischen Hürden für Neuniederlassungen gelockert worden wären oder wenn das gesamte Procedere der Niederlassung vereinfacht worden wäre.“

Dr. Thomas Scharmann, 50 Jahre, als konservativ tätiger Augenarzt in München niedergelassen und berufspolitisch aktiv, unter anderem als Bundesvorsitzender des Deutschen Facharztverbands DFV:
„Heutzutage fühlt man sich als konservativ tätiger Augenarzt im Stich gelassen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Bezug auf die Honorarsituation zunehmend ausbluten. Deshalb bin ich als niedergelassener, konservativ tätiger Augenarzt mit meiner Berufssituation immer unzufriedener. Der Wert eines Abrechnungsscheines muss deutlich steigen. Die konservativ tätigen Kollegen sind genauso wichtig wie andere Gruppen der Augenärzte. Ihre Bedeutung als Primärversorger-Fachärzte muss wieder anerkannt werden.

Ich bin im Zwiespalt, ob ich heutzutage wieder Augenarzt werden würde. Da stellt sich die grundsätzliche Frage, ob ich überhaupt noch Arzt sein will. Denn die Gesellschaft ist offensichtlich nicht bereit, eine derart essenzielle Tätigkeit angemessen zu honorieren. Die Zufriedenheit bleibt auf der Strecke, wenn der Arztberuf nicht anerkannt und entsprechend honoriert wird. Die Politik sieht jedoch im Gesundheitswesen nur den Sparfaktor und betreibt nichts als Kostendämpfung.

Mit dem GKV-WSG bekommen wir jetzt die Zentralisierung und Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Das geschieht zwar nicht offen, aber inoffiziell. Beim Gesundheitsfonds soll der Beitragseinzug zentralisiert und die Beiträge vom Ministerium festgelegt werden, und die Selbstverwaltung wird mit Hauptamtlichen besetzt und verliert ihre hoheitlichen Aufgaben – was ist das anderes als Verstaatlichung?! Diese Tendenzen wirken sich zusätzlich sehr negativ auf meine Berufszufriedenheit aus.

Auch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz kann ich bisher nur skeptisch betrachten. Es muss in der Realität noch durchdekliniert werden. Teilgemeinschaften können neue Strukturen bringen. Aber sie können auch zu einer Marktkonzentration führen. Das ist besonders bei der Kataraktchirurgie zu fürchten. Kleine Operateure in der Fläche gehen dann unter. Aber auch die konservativ tätigen Kollegen müssen neue Felder besetzen. Erste Ansätze dazu bieten die bildgebenden Verfahren.“

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