Der Bundesgerichtshof und das „Damoklesschwert der Hinauskündigung“

Im Mai erging ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Höchstdauer des Hinauskündigungsrechts der alten Partner gegenüber dem neu eintretenden Partner in Gemeinschaftspraxisverträgen. Danach werden Altgesellschafter zukünftig maximal eine Kennenlernphase von drei Jahren im Gemeinschaftspraxisvertrag vereinbaren können. Eine Urteilsanmerkung von Rechtsanwalt Dr. Karl Friedrich Dumoulin.

Wenn ein Arzt als neuer Partner in eine Gemeinschaftspraxis aufgenommen wird, dann wird vielfach eine so genannte Hinauskündigungsklausel vereinbart. Sie räumt den Altpartnern das Recht ein, den neuen Gesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gemeinschaftspraxis auszuschließen. Eine derartige Klausel ist nach ständiger Rechtssprechung des zuständigen II. Zivilsenats des BGH wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB grundsätzlich nichtig. Mit dieser Rechtssprechung soll der von der Ausschließung oder Kündigung bedrohte neue Gesellschafter geschützt werden: Denn das freie Kündigungsrecht des Altgesellschafters kann vom neuen Partner als Disziplinierungsmittel empfunden werden, so dass er aus Sorge, der Willkür des ausschließungsberechtigten Partners ausgeliefert zu sein, nicht frei von seinen Mitgliedschaftsrechten Gebrauch macht, oder seinen Gesellschafterpflichten nicht nachkommt, sondern sich den Vorstellungen der anderen Seite beugt. Bereits das Schweben eines derartigen „Damoklesschwerts der Hinauskündigung“ über dem Haupt des vom Ausschluss bedrohten neuen Gesellschafters gefährdet ein gedeihliches Zusammenwirken der Partner in der Gemeinschaftspraxis.

Besondere Umstände erlauben eine Hinauskündigungsklausel

Ausnahmsweise hat der BGH eine Hinauskündigungsklausel aber für wirksam erachtet, wenn sie wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist. Dies allerdings mit der Einschränkung, dass sie zeitlich nicht begrenzt bestehen kann.

Solche besonderen Umstände hat der BGH im so genannten Laborärztefall (Urteil vom 8. März 2004, Az. II ZR 165/02) für die Situation der Aufnahme eines Neupartners in eine seit Jahren bestehende Sozietät von Freiberuflern, insbesondere in eine Gemeinschaftspraxis von Ärzten, anerkannt. Das Gericht argumentierte, dass sich für die Altpartner, die einen ihnen unter Umständen weitgehend unbekannten Neupartner aufnehmen müssten, erhebliche Gefahren ergeben. Diese ergeben sich dadurch, dass sich im Allgemeinen erst nach einer gewissen Zeit der Zusammenarbeit herausstellt, ob zum neu aufgenommenen Partner das notwendige Vertrauen besteht. Vor allem, ob die neue Gemeinschaft in ihrer ärztlichen Berufsauffassung harmoniert, die besondere ethische Anforderung an den Einzelnen stellt. Dies gilt nach Ansicht des BGH umso mehr, als die Partner regelmäßig auf ihre Zulassung als Kassenärzte angewiesen und in dieser Eigenschaft besonderen öffentlich-rechtlichen Restriktionen bei der Gestaltung ihrer Zusammenarbeit ausgesetzt sind.

Deshalb kann es nach Meinung des BGH, zumal wenn die Altpartner Alleinträger des Gesellschaftsvermögens sind und der Neupartner ohne Leistung einer Einlage aufgenommen wird, nicht von vorneherein als sittenwidrig angesehen werden, wenn dem Altpartner ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt wird. Im Laborärztefall urteilte der BGH damals, dass ein derartiges Kündigungsrecht allerdings den Zeitraum von zehn Jahren „bei weitem“ nicht erreichen darf.

Dreijahresfrist für das Hinauskündigungsrecht

In der aktuell ergangenen Entscheidung (Urteil vom 7. Mai 2007, Az. II ZR 281/05) hat der BGH nunmehr die zeitlichen Grenzen des Hinauskündigungsrechts präzisiert.

Streitparteien in diesem Fall waren die Partner einer Gemeinschaftspraxis für Innere Medizin/Nephrologie. Der Altpartner war bereits seit neun Jahren in Einzelpraxis niedergelassen. Mit einer Fachkollegin, die zuvor als Oberärztin an einer Universitäts-Klinik tätig war, gründete er eine Gemeinschaftspraxis. Konkret sah der Gemeinschaftspraxisvertrag eine Kombination von Kündigungs- und Übernahmerecht vor, die im Ergebnis als Hinauskündigungsklausel wirkte und dem Arzt als Altpartner das Recht einräumte, die Kollegin für die Dauer von zehneinhalb Jahren ohne sachlichen Grund auszuschließen.

Die Karlsruher Richter stellten hierzu fest, dass das Hinauskündigungsrecht nicht insgesamt nichtig sei, sondern im Wege der so genannten geltungserhaltenden Reduktion, also einer Verringerung der im Vertrag festgelegten Kündigungsfrist bei einem ansonsten unverändert gültigen Vertrag, auf das rechtlich zulässige Höchstmaß begrenzt werden dürfe. Für die ärztlichen Gemeinschaftspraxen, die nach bisherigem Zulassungsrecht (also vor der Liberalisierung des Vertragsarztrechts) gebildet worden sind, betrage die höchstzulässige Frist für eine Hinauskündigung drei Jahre, so die weitere Entscheidung des Gerichts.

Die Begründung des BGH für diese Höchstfrist zeigt, dass sich eine schematische Betrach-tungsweise von Gemeinschaftspraxisverträgen verbietet und stets die Besonderheiten jeder einzelnen Praxis und ihrer Partner beachtet werden müssen. Bei der Festlegung der Höchstfrist für die Hinauskündigungsklausel hat sich der BGH von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

| Wegen der bestehenden Zulassungsbeschränkungen im vertragsärztlichen Bereich muss den Partnern hinreichend Zeit gegeben werden, um Vertrauen fassen zu können, eventuell auftretende Differenzen auszuräumen und zu für beide Seiten tragfähigen Kompromissen gelangen zu können.

| Zugunsten des Altpartners ist die Aufbauleistung (Schaffung eines Good Will) einer bereits seit Jahren bestehenden Praxis zu würdigen.

| Eine so genannte „geltungserhaltende Reduktion einer überlangen Hinauskündigungsklausel“ kommt nur in Betracht, wenn gegen die übrigen Vertragsbestandteile nichts einzuwenden ist. Der Gemeinschaftspraxisvertrag darf also nicht zusätzlich zur Hinauskündigungsklausel noch weitergehende den Neupartner belastende Regelungen enthalten. Dass ein Neupartner, der keinen Kaufpreis für den Praxisanteil zahlt, erst nach einiger Zeit die Gewinnparität erreicht, ist allerdings nicht zu beanstanden. Ebenso wenig ist zu beanstanden, wenn zwischen den Parteien ein wirksames nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart wird.

Gültigkeit des Hinauskündigungsrechts

Für die Gestaltungspraxis von Gemeinschaftspraxisverträgen ist es zu begrüßen, dass der BGH jetzt eine konkrete Richtgröße für die Höchstfrist von Hinauskündigungsrechten
gegenüber dem neueintretenden Partner festgelegt hat. Angesichts des bisherigen Zulassungsrechts erscheint eine „Probezeit“ von drei Jahren für den Neupartner auch sach- und interessengerecht. Der BGH hat nur für ärztliche Gemeinschaftspraxen entschieden, die nach bisherigem Zulassungsrecht gebildet worden sind. Ob die Höchstfrist auch für
Hinauskündigungsklauseln gilt, die erst nach Inkrafttreten des neuen Vertragsarztrechts oder nach einem möglichen zukünftigen Wegfall der Zulassungsbeschränkungen für Humanmediziner vereinbart werden, dazu sagt das Urteil nichts. Insoweit bleibt abzuwarten, ob diese Entwicklungen nicht sogar zu einer Verkürzung der Dreijahresfrist führen.

Ohnehin darf man nicht außer acht lassen, dass der BGH das Hinauskündigungsrecht nur zulässt, wenn und soweit damit das Ziel verfolgt wird, zu überprüfen, ob der neue Partner zu den übrigen Partnern „passt“. Damit kann sich das vermeintlich scharfe Damoklesschwert eines Hinauskündigungsrechts im Einzelfall als stumpf erweisen, wenn die Altpartner es offenkundig ausschließlich mit dem Ziel einsetzen, den Neupartner nach mehrjähriger Tätigkeit um den Genuss seiner Rechtsstellung zu bringen, die ihm bei Eintritt in die
Gemeinschaftspraxis versprochen wurde, etwa um sein Einrücken in eine Beteiligung zu verhindern.

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