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Zur 171. RWA-Versammlung in Köln

Gemeinsame Wege in die ­ophthalmologische Zukunft
Unter dem Hauptthema „Gemeinsame Wege in die ophthalmologische Zukunft – Kooperation und Loyalität“ fand Ende Januar die 171. Versammlung des Vereins Rheinisch-Westfälischer Augenärzte (RWA) in Köln statt. Ganz im Zeichen dieses Mottos war das diesjährige Programm nicht nur auf das Vermitteln neuesten, evidenz-basierten Fachwissens ausgerichtet, sondern stellte sich auch den aktuellen gesundheitspolitischen Fragen: Der Arzt im Spagat zwischen knappen finanziellen Ressourcen und der Loyalität seinem Patienten gegenüber. Von Katica Djakovic.

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Kooperation und Loyalität seien etwas, das er bereits als junger Arzt bei Prof. Dr. Günter Krieglstein an der Universitäts-Augenklinik in Köln erleben durfte, so der diesjährige Tagungspräsiden Prof. Dr. Bernd Kirchhof in seiner Eröffnungsrede zur 171. Versammlung des Vereins Rheinisch-Westfälischer Augenärzte (RWA) in Köln und nutze zugleich die Gelegenheit, seinem früheren Mentor für die jahrelange Partnerschaft zu danken und dessen Lebenswerk zu würdigen. Den partnerschaftlichen Ansatz nahm auch RWA-Vereinspräsident Prof. Dr. Andreas Scheider (Essen) in seiner Begrüßung auf. In dieser berufspolitisch unsicheren Zeit, „geprägt durch die bedrückende Orientierungslosigkeit der Politik“, würden regionale Tagungen persönliche Nähe und partnerschaftlichen Halt geben. Die Aussichten scheinen nicht rosig, so Scheider, aber man solle die Krise als Herausforderung sehen.

Einen Wandel in der Arzt-Patienten-Beziehung zeigte Prof. Dr. Bernhard Borgetto von der Abteilung für medizinische Soziologie an der Universität Freiburg in seinem Vortrag auf: Die derzeitige Ökonomisierung führe dazu, dass der Arzt zunehmend zum Agenten der Distribution medizinischer Güter und Dienstleistungen werde. Der Prozess der Verwissenschaftlichung der Medizin entwickle sich zu einem Instrument der Leistungsbegrenzung und Disziplinierung des Arztes, so Borgetto, und regte zu einer „ethisch begleitenden öffentlichen Rationierungsdiskussion“ an.

Zu Allokationsethik und Zukunftsorientierung referierte Priv.-Doz. Dr. Christiane Woopen vom Institut für Geschichte und Ethik in der Medizin an der Universität Köln, die in ihrem Vortrag drei Verteilungskriterien aufführte: medizinische Bedürftigkeit, medizinischer Nutzen sowie Kosteneffektivität. Die Verteilungsentscheidungen würden als bedrückend empfunden, „weil sie unsere Gesundheit betreffen“, so Woopen und forderte „das Konzept der Angemessenheit“ ein: Eine an Wirksamkeit und Nutzen definierte Versorgung sollte Kontextfaktoren wie individuelle und kollektive Werte, Grundsätze und Präferenzen berücksichtigen.

Der Frage nach der Zukunft der dualen Krankenversorgung ging Dr. Rudolf Kösters von der Deutschen Krankenhausgesellschaft nach. Die bisherige sektorale Budgetierung verursache Verteilungskämpfe und Leistungsverschiebungen und führe zu Systemegoismen und Abschottung der Sektoren. Es sei jedoch enorm Bewegung in die bisherige Verzahnung im Gesundheitswesen gekommen durch etwa das Vertragsarztänderungsgesetz oder Medizinische Versorgungszentren. „Wir werden in den nächsten zehn Jahren eine starke Durchmischung haben“, so Kösters, und prognostizierte zukünftig vermehrt Ärzte im Angestelltenverhältnis.

Wege kooperativer augenärztlicher Versorgung zeigte Prof. Dr. ­Daniel Pauleikhoff am Beispiel der Augenabteilung des St. Franziskus-Hospitals in Münster auf: Den Anforderungen an spezifischer Diagnostik und Versorgung würde man dort mit hohem Personalaufwand sowie unterschiedlichsten Partnern und Netzwerken versuchen gerecht zu werden, was eine ständige Dynamik und Weiterentwicklung mit sich bringe. Als Ausblick, wohin die weitere Entwicklung führen könnte, stellte Pauleikhoff eine Analyse von B. Aylward am Moorfields Eye Hospital London vor, der sich mit der Frage auseinander gesetzt hatte, wie viele Patienten zwingend eine stationäre Behandlung benötigten und wie viele Betten für eine postoperative Betreuung erforderlich seien. Aylwards Analyse habe im Moorfields zu einer Umgestaltung von ehemals 60 Betten zu derzeit fünf stationären Krankenhausbetten sowie 18 so genannten „Hotelbetten“ als Übernachtungsangebot für auswärtige Patienten geführt. Laut Pauleikhoff deute dieses Beispiel auf eine zunehmende Entwicklung zur ambulanten Versorgung hin, die unter anderem eine intensive Kooperation mit anderen Fachabteilungen mit sich führe, so zum Beispiel zur Betreuung von stationären Patienten.

Prof. Dr. Antonia M. Joussen, Direktorin der Universitäts-Augenklinik Düsseldorf, referierte zum Thema „Evaluierung des Fortschritts – Evidenz, Kosten, Relevanz“. Evidenz beruhe auf wenigstens einer randomisierten, kontrollierten Studie. Aber brauche man wirklich immer eine randomisierte Studie, so ihre provokante Eingangsfrage. Die Art der Präsentation von Studienergebnissen habe eine große Wirkung auf die Wahrnehmung, erläuterte Joussen, und es stelle sich auch die Frage, inwieweit ein Studienergebnis anwendbar sei in der klinischen Routine. Relevant sei auch, ob eine Studie industriefinanziert sei, über die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder öffentliche Geldgeber zustandekomme Beispielhaft für einen verbesserten Ablauf beschrieb sie das Retin-Net, das eine optimierte Therapie und damit Kosteneinsparung zum Ziel habe: Hierbei wären bei jedem Besuch Visusprüfung und Funduskopie angedacht sowie initial und dreimonatlich eine Angiographie – die Daten würden in einem so genannten Reading-Center ausgewertet werden, das eine Notwen­igkeit der Behandlung hinterfragen würde.

Bundesärztekammerpräsident Dr. Jörg-Dietrich Hoppe befand in seinem Vortrag, dass Deutschland an einem entscheidenden Wendepunkt stehe. Während der Staat früher für die ausreichende und flächendeckende Versorgung gesorgt habe, werde jetzt durch beispielsweise evidenzbasierte Leitlinien oder andere Formen der Standardisierung der Weg geebnet, um unter „Kostengesichtspunkten formulierte, gesetzliche Vorschriften zu erlassen“. Für die individuelle Arzt-Patienten-Beziehung bleibe da kaum noch Entscheidungsspielraum und es werde Misstrauen geschürt, wenn Patienten mit selben Diagnosen unterschiedliche Therapien erhalten würden, kritisierte Hoppe. Wenn der Staat sich einmische wie in Schweden und Großbritannien, dann „gefälligst komplett“, so der Bundes­ärztepräsident, und forderte „Priorisierung statt Rationalisierung“. Des weiteren schlug er die Gründung eines so genannten Gesundheitsrates vor, der sich aus Ärzten, Ethikern, Sozialwissenschaftlern, Ökonomen und Juristen zusammensetzten solle, in jedem Fall aber ohne Politiker. Als Anspielung auf das in Schweden durch Steuern finanzierte Gesundheitswesen beendete er seinen Vortrag mit der Frage „Verschwedung oder Deutschland?“.

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Abb. 1: BVA-Präsident Prof. Dr. Bernd Bertram im Gespräch mit Bundesärztekammerpräsident Dr. Jörg-Dietrich Hoppe (li.).

RWA-Wissenschaftspreis

Zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses hatte der Verein Rheinisch-Westfälischer Augenärzte erneut einen Wissenschaftspreis ausgeschrieben, der leider in den Jahren zuvor mangels Bewerber beziehungsweise forschungswürdiger Projekte nicht verliehen werden konnte. Auf der diesjährigen Tagung konnte der mit 10.000 Euro dotierte Wissenschaftspreis an Dr. Julia Laßeck, Universitäts-Augenklinik Freiburg, für ihre Arbeit zum Thema „Neuroprotektion“ überreicht werden: Unter Laborbedingungen wurden einige wirksame Substanzen identifiziert, die Nervenzellen und Nervenfasern durch pharmakologische oder molekulargenetische Methoden vor dem Absterben bewahren könnten. Ziel sei, die Wirkmechanismen zu charakterisieren und diese Substanzen zur klinischen Anwendung zu führen. Es werde an Zell- und Organkulturen sowie Tiermodellen gearbeitet, die Durchführung einer klinischen Studie sei in Arbeit.

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Abb. 2: Dr. Julia Laßeck erhielt einen symbolischen Geldschein für den mit 10.000 Euro dotierten RWA-Wissenschaftspreis (li. RWA-Vereinspräsident Prof. Dr. Andreas Scheider, re. Tagungspräsiden Prof. Dr. Bernd Kirchhof).

Fazit

Im vorkarnevalistischen, winterlich-kalten jedoch sonnigen Köln, zeigte sich die diesjährige RWA-Tagung ausgesprochen familiär und persönlich, dennoch gesundheitspolitisch und fachwissenschaftlich höchst aktuell. Die jährlich stattfindende Tagung des Vereins Rheinisch-Westfälischer Augenärzte, der mit knapp 600 Mitgliedern die größte deutsche regionale augenärztliche Vereinigung darstellt, ist über die Jahre hinweg von einer einfachen Versammlung mit kleinem Programm zu einem richtigen Kongress angewachsen: Die diesjährige 171. Zusammenkunft im Kölner EXPO XXI verzeichnete mit 723 Teilnehmern (davon 163 OP-Personal), 89 wissenschaftlichen Vorträgen sowie 45 an der Industrienausstellung teilnehmenden Firmen (mit noch einmal 119 Personen als Standpersonal) einen Rekord in jeglicher Hinsicht. Und jede sich bietende Gelegenheit nutzten die Tagungsteilnehmer, um sich rege auszutauschen oder einfach nur die jahrelang bestehenden Kontakte aufzufrischen.

Zur 172. Versammlung des Vereins Rheinisch-Westfälischer Augenärzte lädt Priv.-Doz. Dr. Ulrich Fries vom 29. bis 30. Januar 2010 nach Bonn ein.

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