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Umfrage zur zukünftigen Gesundheitspolitik

Das Ende von „Aldisierung“ und „B-Ware“?
Dauerdiskussion zur Honorarreform, Praxisschließungen und laute Proteste bestimmten das letzte Jahr. Nun ist eine neue Regierung mit Wunschkoalitionspartner im Amt. Anlass zur Hoffnung auf mögliche Veränderungen? DER AUGENSPIEGEL hat nachgefragt.

DER AUGENSPIEGEL:
Ein Neues Jahr, eine neue Koalition, ein neuer Gesundheitsminister: Was muss sich ändern? Was wird sich ändern? Mit welchen Erwartungen gehen Sie ins Neue Jahr?

Dr. Uwe Kraffel, Berlin
Stellvertr. Vorsitzender der KV Berlin

„Was sich ändern muss, ist relativ einfach. Wir haben viel zu viele Jahre hinter uns, in denen das Dogma höher gehalten wurde als die Realität. In denen nicht das Optimum aus dem Gesundheitswesen geholt wurde, sondern in denen sozialistische Ideen auf das Gesundheitswesen losgelassen wurden, koste es, was es wolle. Die Zeche haben nicht nur wir Ärzte gezahlt, sondern vor allem unsere Patienten. Wenn man das Gesundheitswesen verbessern möchte, muss man das Bewährte verbessern, nicht zerstören. Es ist an der Bundesregierung, die Experimente, die sich als Fehlschläge erwiesen haben, abzubrechen und die Strukturen unseres Gesundheitswesens zu verbessern. Wir brauchen ein einfaches, nachvollziehbares und gerechtes Honorarsystem. Nicht ein Regelwerk, das Bücher füllt und Legionen von Programmierern und Juristen beschäftigt. Wir brauchen einen Abbau von unsinnigen Strukturen, die nur über Ausnahmeregelungen und Subventionen am Leben erhalten werden. All die Regelungen 73b, 115b, 116b sind das, was sie sind: B-Ware. Das muss hinterfragt werden. Dann käme auch das Geld frei, dass uns Raum für Reformen gäbe.“

Dr. Armin Scharrer, Fürth
MVZ Fürth Augenheilkunde – Anästhesie

„Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, die Bundesregierung in Amt und Würden, wir haben einen Arzt als Gesundheitsminister. Das Koalitionspapier beinhaltet viele positive Ansätze. Jetzt geht es darum, diese Ansätze in der Realität umzusetzen. Das Vergütungssystem muss einfach und durchschaubar werden und gleichermaßen die augenärztliche Basisversorgung wie auch die operative Augenheilkunde adäquat honorieren.“

Dr. Rolf Stiasny, Leinfelden-Echterdingen
BVA-Landesvorsitzender Baden-Württemberg

„Folgende Vorschläge: | Beitragsbemessungsgrenze muss deutlich sinken,¬ Krankenversicherungspflicht für alle mit medizinischer Grundversorgung bei freier Wahl, ob GKV oder PKV mit Erstattung nach einheitlicher Gebührenordnung. | GOÄ-Reform muss Inflationsausgleich beinhalten. | EBM muss an GOÄ angepasst werden und nicht umgekehrt, eine einheitliche Gebührenordnung für alle Teilnehmer und Maßnahmen. | Statt Pauschalen eine Einzelleistungsvergütung. | Gleiche Vergütung in Euro von Leistungen im stationären und ambulanten Bereich. | Duale Finanzierungsmöglichkeit für Niedergelassene in der exakt gleichen Höhe wie Krankenhäuser. | Abschaffung der KdÖR-Form für KVen. | Absolutes Werbeverbot für alle Gesetzlichen Krankenkassen (Einheitskasse).  | Offenlegungspflicht aller Kosten der GKV nicht gegenüber dem Ministerium, sondern einer Stelle, die die Pflicht und Möglichkeit besitzt, zeitnah zu prüfen und Sanktionen zu verfügen. | Keine zentrale Datenspeicherung; Datensammeln ausschließlich von Stammdaten; keine Sammlung von medizinischen Daten. | Sofortiger Stopp der RLV-Systematik. Bis neue Reform steht, fortfahren wie Status vor RLV-Einführung. | KV-Gelder-Auszahlung im Quartal wöchentlich online mit festen 5,11 Punkten bis Geldmenge erschöpft ist – Oder E-Card nutzen, um Patienten hierauf sein fachspezifisches Budget in Euro pro Quartal aufladen. Das bedeutet Transparenz!“

Prof. Dr. Walter Sekundo,
Direktor der Marburg Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg

„Die Aldisierung des Gesundheitswesens darf nicht fortgesetzt werden! Die Entscheidung der vorherigen Koalition, das Gesundheitswesen zu einem recht großen Teil dem Markt zu überlassen und mehr Wettbewerb zu entfalten, führte zwar womöglich zu einer erweiterten Kostenreduktion, jedoch zu einer Entwicklung, insbesondere in unserem augenärztlichen Bereich, die aus meiner Sicht nicht wünschenswert ist: Die wichtigsten Basisversorger, nämlich die augenärztlichen Einzel- und Gemeinschaftspraxen, werden durch die Reduktion des Regelleistungsvolumens nahezu trocken gelegt und – um in der Sprache des Marktes zu bleiben – verschwinden langsam von der Bildfläche wie Tante-Emma-Läden in den 60er und 70er Jahren. Die Folge ist die Entstehung von organisierten Netzwerkstrukturen, entlang derer die Patienten (oft ungeachtet ihres Wunsches) hin- und hergeschoben werden. Der augenärztliche Beruf wird dadurch uninteressant, was die Anzahl der freien KV-Sitze im Bereich der Augenheilkunde belegt (diese liegen an der zweiten Stelle nach den Hausärzten!). Die Ausbildungsstätten für den augenärztlichen Nachwuchs werden im Rahmen dieser Entwicklung zu den Versorgern von hochkomplexen Fällen und sind dadurch in ihrem Ausbildungsauftrag, insbesondere im ophthalmochirurgischen Bereich, zunehmend eingeschränkt. Der Marktdruck führt des Weiteren dazu, dass die „Schulen“ (also z. B. die Unikliniken) sich im Wettbewerb mit wenig ausbildenden Praxisstrukturen befinden, die aufgrund eines unterschiedlichen Ausbildungs- und Versorgungsauftrages ganz andere Kostenstrukturen haben als die Krankenhäuser der Maximalversorgung. Deshalb wäre mein Wunsch an die Politik, das Ausbildungsengagement von jungen Ärzten entsprechend zu honorieren. Außerdem muss die so wichtige Basisarbeit der konservativ tätigen Augenärzte angemessen entlohnt werden.“

Dr. Georg Gerten, Köln
Augenklinik am Neumarkt

„Man darf gespannt sein, welche Bewegungen im Gesundheitssystem die neue Regierung überhaupt verwirklicht. Im Zweifelsfall wird nicht viel geschehen und man wird sich auf Sachzwänge berufen. Für uns Ärzte sind Neuerungen immer dann Verbesserungen, wenn sie uns unabhängiger von der jeweiligen politischen Führung machen – beispielsweise eine Aufteilung in gesetzlich versicherte Basisleistungen in Kombination mit einem Zuzahlungssystem, das wir dann selber in der Hand haben.“

Dr. Thomas Scharmann, München
Bundesvorsitzender Deutscher Fachverband

„Die Unterfinanzierung von immer noch rund 20 Prozent des ambulanten Sektors muss dringend beendet werden. Die Politik muss sich wieder verstärkt um die ambulante Facharztmedizin kümmern, sie vermeidet teure stationäre Aufenthalte und bringt diagnostische und therapeutische Innovation in die Fläche. Die demografische Entwicklung, die zuerst bei den Hausärzten anfing, kommt jetzt langsam auch bei den Fachärzten an, d. h. wir entwickeln uns in einen Facharztmangel hinein und zwar sowohl in den Kliniken als auch den Praxen. Die Hoffnung von Teilen der Politik, diesen durch medizinische Hilfsberufe, also Physiotherapeuten, Optiker usw., abfangen zu können, ist trügerisch. Denn dadurch wird die fachärztliche Versorgung in Deutschland qualitativ auf das Niveau von Schwellenländern zurückgeführt. Ich hoffe, dass die Gesundheitspolitiker der Koalition konzeptionell zu arbeiten beginnen und den notwendigen Modernisierungsschub für das deutschen Gesundheitssystem auslösen, der nach rund 15 Jahren Rot-Grün und Rot-Schwarz bürokratischem Mehltau dringend notwendig ist. Dabei muss zwangsläufig die ambulante Facharztmedizin im Mittelpunkt und Fokus stehen, da sie bei einer alternden und polymorbiden Bevölkerung für moderne Diagnostik und Therapie steht – erinnert sei hier nur an die Therapie der feuchten AMD.“

Dr. Stefanie Schmickler, Ahaus
Augenklinik am St. Marien Krankenhaus

„Die Negativ-Stimmung unter uns Ärzten sollte sich ändern. Wir sollten mehr konstruktive Vorschläge zur Verbesserung der Versorgung und auch Bezahlung im Gesundheitswesen unterbreiten anstelle immer nur zu „meckern“. Die Rolle des Patienten im Gesundheitswesen wird sich weiter ändern und in Richtung „der mündige Patient“ entwickeln. Diskussionen um „Kopfpauschalen“ werden sicherlich dazu beitragen, dass der Patient „wach“ wird. Der Patient wird sich in Zukunft viel weniger alles gefallen lassen. Er wird mehr und mehr dahin gehen, wo ihm gute Qualität und nicht „Abfertigung “ bzw. „IGeL-Abzocke“ geboten wird. Ich gehe positiv gestimmt in das neue Jahr. Mit dem Minister- und Parteienwechsel in der Gesundheitspolitik können wir auf umfangreiche und gerechtere Änderungen hoffen. Ob sie erfüllt werden, müssen wir natürlich abwarten. Ich wünsche mir, dass umfangreiche Qualitätssicherungsmaßnahmen, wie wir sie beispielsweise im Rahmen von Ocunet durchführen, anerkannt und auch honoriert werden. Auch sollte die allgemeine Honorierung gerechter werden: Es kann nicht sein, dass wir bei der Entfernung eines Hornhautfremdkörpers in der Nacht um die 20 Euro erhalten, am nächsten Tag einen regulären Arbeitstag haben und jeder Handwerker, den wir außerhalb von Geschäftszeiten bestellen (wie einen Schlüsseldienst) nicht unter 100 Euro abkassiert. Wir leben in einem hochentwickelten Gesundheitssystem, das finanziell krank ist. Nur durch ein Zuzahlungsmodell im Schubladensystem werden wir Ärzte adäquat bezahlt werden können und dem Patient das bieten können, was er sich wünscht. Das haben uns die Zahnärzte bereits vorgemacht.

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