Sehstörungen bei Parkinson: Geschädigte Nervenbahnen identifiziert

Neurowissenschaftlern des Centre Hospitalier de Luxembourg, der Universität Luxemburg und des Rush University Medical Center in Chicago/USA ist es erstmals gelungen, die geschädigten Nervenbahnen zu identifizieren, die den häufig vorkommenden Sehstörungen bei an Parkinson Erkrankten zugrundeliegen. Ihr neuartiges Konzept “Blind für blindes Sehen” wurde in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Brain veröffentlicht, wie die Universität Luxemburg mitteilt.

‚Blindes Sehen’ ist ein Phänomen, das bei blinden Menschen beobachtet wird, deren Sehrinde im Gehirn geschädigt ist. Bei ihnen gelangen Lichtreize zwar über ihre gesunden Augen und Nervenbahnen ins Gehirn, können jedoch in der geschädigten Sehrinde nicht ins Bewusstsein überführt werden. Es wird angenommen, dass trotzdem ein Teil der Lichtreize über bestimmte Nervenbahnen unbewusst verarbeitet werden kann und zu adäquaten Augenfolgebewegungen führt, ohne die Sehrinde zu benötigen. Dadurch sind diese Menschen in der Lage, trotz ihrer Blindheit richtig einzuschätzen, von wo ein Lichtreiz kommt, ihre Augen unbewusst in die richtige Richtung zu bewegen und auf emotionale Gesichtsausdrücke wie Angst und Gefahr zu reagieren. Dieses System ist bei allen Menschen vorhanden und befähigt uns schnell und unbewusst auf Sehreize zu reagieren – ganz ähnlich wie bei einem Reflex.

Die Wissenschaftler um Dr. Nico Diederich, Neurologe am Centre Hospitalier und Forscher am „Luxembourg Centre for Systems Biomedicine“ der Universität Luxemburg, haben nun herausgefunden, dass etliche Sehstörungen der Parkinson-Krankheit genau gegenteilig funktionieren: Obwohl die Patienten normal sehen können, bewegen sie die Augen langsamer und haben Schwierigkeiten ein bewegendes Objekt „automatisch“ mit den Augen zu verfolgen. Außerdem fällt es ihnen schwer, Bilder mit niedrigen Kontrasten zu erkennen und die Gesichtsausdrücke anderer Menschen unterbewusst zu analysieren. Kurz gesagt, sind sie also „blind für blindes Sehen”.

Durch dieses neue Erklärungsmodell konnten die Forscher mehr über die Gehirnstrukturen herausfinden, die diesen Sehstörungen zu Grunde liegen. Wie die Universität berichtet, belegen sie erstmals, dass es sich um Störungen im evolutionär alten Teilen des Gehirns handelt, die normalerweise das ‚blinde Sehen’ ermöglichen. Darüber hinaus kommt es bei einem Drittel der weltweit über 5 Millionen Parkinson-Patienten zusätzlich oft zu visuellen Halluzinationen. Oftmals handelt es sich um so genannte ‚Passage Halluzinationen’, bei denen der Patient im Augenwinkel Sehreize fälschlicherweise als vorbeihuschende Personen oder Tiere interpretiert. Auch hierbei könnten die selben Nervenbahnen betroffen sein. Die verlangsamten oder inadäquaten Reaktionen auf sich bewegende Objekte beeinträchtigen zudem die Fahrtüchtigkeit der Patienten und schränken sie so weiter in ihrer Lebensqualität ein.

“Wir haben alle bekannten Beeinträchtigungen des Sehens analysiert und mit dem Syndrom des blinden Sehens verglichen. Dabei hat sich heraus kristallisiert, dass bei den Sehstörungen der Parkinson-Patienten vornehmlich entwicklungsgeschichtlich alte Sehbahnen gestört sind“, erläutert Dr. Nico J. Diederich, der diese Arbeit zusammen mit Dr. Glenn Stebbins und Dr. Christopher G. Goetz (Rush University Medical Center) und Dr. Christine Schiltz (Universität Luxemburg) verfasst hat. Das Forscherteam erwartet, dass die Ergebnisse weitere Wissenschaftler dazu animieren, einen „frischen Blick“ auf andere, unbewusst oder automatisch ablaufende Handlungen zu werfen, die bei der Parkinson-Krankheit gestört sind, um zugrunde liegende Pathomechanismen besser verstehen zu können.

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Nico J Diederich, Glenn Stebbins, Christine Schiltz, Christopher Goetz (2014): Are patients with Parkinson’s disease blind to blindsight? Brain;doi:10.1093/brain/awu/094

Quelle:
Universität Luxemburg

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