Neue Perspektiven für Augenärzte?

Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz bietet zusätzliche Möglichkeiten
Ärzte aller Fachrichtungen unter einem Dach wie hier im größten deutschen Medizinischen Versorgungszen-trum (MVZ) Polikum in Berlin? Nach dem Willen der Politik gehört diesem Modell die Zukunft. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, wie Augenärzte ihren Beruf zur eigenen und zur Zufriedenheit ihrer Patienten gestalten können. Der AUGENSPIEGEL hat drei ambulant tätige Augenärzte dazu befragt, welche neuen Perspektiven sie für sich durch das geänderte Vertragsarztrecht sehen. Von Angela Mißlbeck.

Im November hat der Bundestag das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) verabschiedet. Es bietet Augenärzten neue Möglichkeiten der Berufsausübung im ambulanten Bereich. Nach dem Willen des Gesetzgebers können Augenärzte künftig gleichzeitig in einer Klinik und in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) angestellt sein. Für den ehemaligen Oberarzt und jetztigen Praxisinhaber Dr. Johannes Bühnen, Hofgeißmar, ist das allerdings keine Alternative. Obwohl ihm die Bürokratie das Berufsleben manchmal schwer macht, bevorzugt er die Niederlassung in der Einzelpraxis. Doch auch diese kann sich in Zukunft ganz verschieden gestalten. So soll es unter anderem möglich werden, eine Niederlassung nur in Teilzeit aufzunehmen. Damit will der Gesetzgeber fördern, dass Ärztinnen die Praxistätigkeit auch während der Familienphase weiterführen. Die in einem MVZ angestellte Ärztin Dr. Birgit Förster, Ahaus, hat das Modell durchgerechnet. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich eine Teilzeitzulassung nur dann lohnt, wenn Ärzte mindestens halbtags tätig sind. Bei einer geringeren Stundenzahl ist die Anstellung die bessere Alternative.

Angestellt werden können Augenärzte laut dem Gesetz demnächst nicht nur in Kliniken, MVZs oder von ihresgleichen, sondern auch von Ärzten anderer Fachrichtungen. Umgekehrt können auch Augenärzte künftig Ärzte anderer Fachrichtungen beschäftigen. Ermöglicht werden zudem so genannte Berufsausübungsgemeinschaften mit Angehörigen anderer heilkundlicher Berufe. Teilgemeinschaftspraxen, Praxiszweigstellen und weitere Optionen kommen hinzu. Insgesamt zielt das Gesetz nicht nur auf eine Flexibilisierung der Berufsausübung von Ärzten. Es stellt Kooperationen stark in den Vordergrund. Dass Augenärzte sich dabei nicht auf Gedeih und Verderb unter einer einzigen Abrechnungsnummer zusammenschließen müssen, wie im MVZ oder in der Gemeinschaftspraxis, davon ist der niedergelassene Arzt Dr. Gernot Petzold aus Kulmbach, der einem Augenärztliches Diagnostik Center angehört, überzeugt.

Ärztefunktionäre haben davor gewarnt, dass das Gesetz zu einer Kommerzialisierung des Arztberufs führen könnte, wenn große Verbünde oder Unternehmen mit Praxis-Zweigstellen an die Stelle von Einzelpraxen treten. Wie Augenärzte an der Basis die Gesetzesänderungen bewerten, welche Perspektiven sie darin sehen und wie unterschiedlich die Berufssituationen sich schon jetzt gestalten, zeigen drei Beispiele.

Dr. Birgit Förster, 38 Jahre, verheiratet, ein Kind, angestellt in einer Gemeinschaftspraxis in Ahaus:
In einer Einzelpraxis zu arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen. Ich kam vor anderthalb Jahren aus dem Ausland zurück und kannte das deutsche System nicht, deshalb wäre eine Niederlassung ein hohes Risiko gewesen. Jetzt habe ich die Chance, mich mit den Abrechnungsmodalitäten im ambulanten Bereich vertraut zu machen, aber auch die Sicherheit eines festen Gehalts. Nach anderthalb Jahren in der Gemeinschaftspraxis glaube ich auch, dass ich mich dort weniger mit Bürokratie herumschlagen muss als in der Einzelpraxis, weil sich die Arbeit auf viele Schultern verteilt. Ich empfinde es als Vorteil, dass ich keine Personalentscheidungen treffen muss, sondern in einem bestehenden Team arbeiten kann.

Außerdem glaube ich, dass ich fachlich in einer Gemeinschaftspraxis besser auf dem Laufenden bleibe, weil immer jemand da ist, der mich hinterfragt. Momentan arbeiten bei uns acht Fachärzte und vier Assistenten. Da bietet es sich an, dass jeder einen Schwerpunkt pflegt. Auch das ist fachlich eine Bereicherung. Patienten mit spezifischen Problemen kann ich innerhalb der Praxis zu einem Kollegen schicken. In der Einzelpraxis müsste ich sie wegschicken. Die Kollegen übernehmen auch mal einen Patienten, wenn meine Sprechstunde ausufert, weil ich einen besonders schwierigen Fall habe. Hervorragend ist auch unsere Geräteausstattung, die ich mir in der Einzelpraxis kaum leisten könnte. Momentan habe ich alles, was ich brauche. Ich könnte auch mit weniger zufrieden sein, aber das muss ich gar nicht.

Natürlich hat auch die Einzelniederlassung ihre Vorteile, denn man muss dort keine Kompromisse eingehen. Jeder muss für sich entscheiden, welche Arbeitsform in welchem Lebensstadium am besten passt. Wer längerfristig weniger als 40 Prozent arbeiten will oder gerade eine Familienphase hat, ist in einer Gemeinschaftspraxis als Angestellte gut aufgehoben. Das neue Vertragsarztrecht bietet da auch interessante Optionen. Die Teilzeitniederlassung ist wirklich eine gute Möglichkeit für Ärzte, die nicht auf die Dauer voll arbeiten, aber dennoch ihr eigener Herr sein wollen. Auch die Zweigniederlassung kann interessant sein, weil man dann wieder andere Patienten sieht. Für unsere Gemeinschaftspraxis besonders spannend ist sicher die Möglichkeit, fachfremde Ärzte anzustellen. Wir arbeiten jetzt schon mit zwei freiberuflichen Anästhesisten zusammen. Denkbar wäre, dass wir dann zusätzlich zeitweise einen Internisten oder Neurologen beschäftigen. Grundsätzlich betrachte ich es positiv, dass das Vertragsarztrecht flexibilisiert wird. Die Gefahr einer Kommerzialisierung des Arztberufs sehe ich nicht. Die Augenheilkunde ist ein apparatives Fach. Da kann es sogar von Vorteil sein, wenn Kapital und betriebswirtschaftliches Know-How Einzug halten. Am Ende setzt sich immer die Qualität durch.“

Dr. Gernot Petzold, 52 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, in Einzelpraxis niedergelassen in Kulmbach:
„Ich denke nicht, dass die Zukunft der kassenärztlichen Versorgung nur in Gemeinschaftspraxen oder Medizinischen Versorgungszentren zu suchen ist. Ich bin überzeugt, dass Einzelpraxen ihren festen Platz in der Versorgungsstruktur haben, gerade in ländlichen Regionen. Aber ich meine, dass die Einzelpraxis heute auf einen Stand gebracht werden muss, der den Patienten die gleichen Möglichkeiten bietet wie in einer großen Gemeinschaftspraxis oder einem MVZ. Mit vielen Einzelkooperationen kann das gelingen.

So haben wir in Kulmbach bereits vor fünf Jahren ein Augenärztliches Diagnostik Center (ADC) gegründet. Daran sind alle fünf Kulmbacher Augenärzte beteiligt. Gemeinsam haben wir zum Beispiel ein HRT (Heidelberg Retina Tomograph) angeschafft. So ein Gerät rechnet sich in der Einzelpraxis frühestens nach zwei bis drei Jahren. Im ADC hat sich die Anschaffung bereits nach einem halben Jahr amortisiert. Aber das ADC ist mehr als eine Gerätekooperation. Ich betrachte es als lockeren Verbund, der die Vorteile einer Gemeinschaftspraxis bietet, ohne dass man die Nachteile – zum Beispiel gemeinsame Abrechnung – in Kauf nehmen muss. Wir arbeiten dort gemeinsam, so dass wir automatisch eine gewisse Qualitätskontrolle haben, und wir machen gemeinsame Fortbildungen – immer nach dem Motto: keiner muss, jeder kann. Das ist das Schöne daran.

Ein zweiter Schritt zur Kooperation aus der Einzelpraxis heraus bietet sich bei ambulanten Augenoperationen. Bereits seit gut zehn Jahren arbeite ich bei Kataraktoperationen mit einem großen OP-Zentrum zusammen. Ich übernehme die kompletten Voruntersuchungen und die Nachbetreuung. Die Befunde werden digital an das OP-Zentrum übermittelt. So werden Doppeluntersuchungen vermieden und der Operateur hat die Möglichkeit auch nach der Operation noch Anregungen mitzugeben. Jetzt kommt die ambulante Netzhaut-Glaskörperchirurgie hinzu. Dabei kooperiere ich mit einem anderen OP-Zentrum.

Ich bin der Überzeugung, dass man in solchen Netzstrukturen auch als Einzelpraxis bestehen kann. Sie machen es möglich, den Patienten das zu bieten, was nach dem heutigen Stand der medizinischen Erkenntnisse eine optimale medizinische Versorgung ist. Und das wünschen die meisten Patienten auch. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil, denn die große Stärke der Einzelpraxis bleibt erhalten: Viele Patienten legen großen Wert auf ihren „Haus-Augenarzt“.

Sicher bieten die neuen Möglichkeiten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes noch weitere Chancen. Denkbar sind dann zum Beispiel therapiebezogene Teilgemeinschaftspraxen. Konkret vorstellbar ist für mich auch die Zusammenarbeit mit OP-Praxen bei der Weiterbildung von Augenärzten. Keine Option ist dagegen die Gründung einer Zweigpraxis. Dem läuft die tatsächliche Entwicklung entgegen. Nicht nur in meiner Praxis sind immer weniger Kapazitäten frei. Bei 80 bis 90 Patienten täglich bleibt keine Zeit für eine Zweigstelle. Aber prinzipiell beurteile ich es als positiv, dass es neue Möglichkeiten gibt. So wird sicher auch die Gründung von Diagnostikzentren erleichtert. Wir mussten damals noch kämpfen, um die ausgelagerten Praxisräume durchzusetzen.“

Dr. Johannes Bühnen, 42 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder, niedergelassen in Einzelpraxis:
„Ich habe mich 2003 nach meiner Oberarzttätigkeit am Klinikum Kassel in einer Einzelpraxis 23 Kilometer nördlich von Kassel niedergelassen. Vorrangig war für mich der Wunsch, in der Region zu bleiben. Ein Augenarzt hatte seine konservative Praxis in Hofgeißmar abgegeben. Dort konnte ich auch operativ tätig werden. Eine rein konservative Praxis hätte ich wohl nicht übernommen, dafür operiere ich viel zu gerne. Außerdem rechnet sie sich in der heutigen Zeit so schlecht, dass man dann als angestellter Arzt in einer Klinik besser dasteht.

Die Einzelpraxis hat für mich den Vorteil, dass ich eigene Vorstellungen wenigstens in begrenztem Rahmen verwirklichen kann, ohne mich in langen Diskussionen abstimmen zu müssen. Die Organisation in der Praxis ist einfacher, die Wege sind kürzer als in einer Klinik. Außerdem haben die Patienten zu einem Arzt in der Einzelpraxis meiner Meinung nach eine engere Bindung als in Kliniken, wo sie mit mehreren Ansprechpartnern kommunizieren. Auch die Kombination aus konservativer und operativer Tätigkeit gefällt mir gut, denn ich versorge den Patienten somit umfassend und erhalte regelmäßig ein Feedback.

Das alles wiegt den erhöhten Organisations- und Zeitaufwand, den unbezahlten Urlaub, das Risiko des eigenen Ausfalls, die Verantwortung für das Personal und das erhebliche finanzielle Risiko noch auf. Ich bin mit meiner Situation Einzelpraxis versus Klinik derzeit noch zufrieden, muss aber bereits in drei Jahren Niederlassung einen erheblichen bürokratischen und organisatorischen Mehraufwand durch die Umstrukturierung im Gesundheitssystem feststellen.

Mit den neuen Möglichkeiten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG) habe ich mich noch nicht im Detail befasst. Ich bin grundsätzlich neuen beruflichen Perspektiven gegenüber positiv eingestellt. Ob dies die Gründung einer Zweigniederlassung, eine zukünftige Gemeinschaftspraxis oder anderweitige Strukturen betrifft, bleibt abzuwarten. Ich versorge rund 1.800 Patienten pro Quartal. Als so genannte „Junge Praxis“ war ich bisher von einer gravierenden Budgetierung ausgenommen. Mal schauen, wie sich die zukünftigen Quotierungen auswirken. Grundsätzlich erwarte ich eine Streichung von Leistungen aufgrund der Anpassung an Durchschnittszahlen im KV-Bezirk. Weiterhin wird wohl die Fünf-Prozent-Ausgleichsregelung, die in Hessen spezifisch seit Einführung des EBM 2000plus gilt, nicht unbegrenzt Anwendung finden. Das wird zu erheblichen finanziellen Einbußen führen. Ich prüfe deshalb derzeit, mit welchen organisatorischen und privatliquidatorischen Maßnahmen ich der zu erwartenden Einnahmenminderung in meiner Praxis begegnen kann. Ob hier speziell die neuen Bedingungen im VÄndG mir hilfreich zur Seite stehen, kann ich noch nicht beurteilen. Die Befürchtung ärztlicher Körperschaften, dass der Arztberuf durch diese Liberalisierung „kommerzialisiert“ würde, teile ich nicht. Letztlich muss ich als Arzt wie jede andere Berufsgruppe wirtschaftlich arbeiten.“

Ähnliche Beiträge