Maßgeschneiderte menschliche Stammzellen

Forscher des Zentrums für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden, der Harvard University (USA) und der Universität Bonn haben einen Weg gefunden, wie sich aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) systematisch hunderte verschiedene Zellen schnell und einfach mit Hilfe von Transkriptionsfaktoren gewinnen lassen. Diese Quelle können Wissenschaftler über die Non-Profit-Organisation Addgene nutzen. Die Ergebnisse sind in „Nature Biotechnology“ veröffentlicht.

Die Wissenschaftler verwendeten menschliche iPS, die aus Bindegewebszellen in einen quasi-embryonalen Zustand rückprogrammiert wurden. „Die meisten Differenzierungsprotokolle sind sehr aufwendig und kompliziert. Sie können aus den iPS nicht gleichzeitig und kontrolliert in einer Kultur verschiedene ausdifferenzierte Zellen gewinnen“, sagt Prof. Volker Busskamp, der zugleich zur Bonner Universitäts-Augenklinik, dem Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn, Exzellenzcluster Physik des Lebens (PoL) und zum CRTD der TU Dresden gehört. Zusammen mit einem Team von der Harvard University, der TU Dresden und der Universität Bonn suchte er nach einem Weg, wie sich die komplizierten Verfahren durch einfache „Kochrezepte“ ersetzen lassen. Mit einem groß angelegten Screening fanden die Forscher insgesamt 290 DNA-bindende Proteine, die Stammzellen schnell und effizient zu Zielzellen umprogrammieren. Die Forscher wiesen nach, dass jeweils nur ein Transkriptionsfaktor genügt, um binnen vier Tagen aus den Stammzellen ausdifferenzierte Nerven-, Bindegewebs-, Blutgefäß- und Gliazellen zu züchten.

Mit automatisierten Verfahren schleusten die Forscher die DNA-Sequenz für den jeweiligen Transkriptionsfaktor und weitere Steuerungselemente in das Erbgut der Stammzellen ein. Die Transkriptionsfaktoren konnten durch die Zugabe eines Moleküls aktiviert werden, und dadurch wandelte sich ein Teil der transgenen Stammzellen in ausdifferenzierte Zellen um. Stammzellen und ausdifferenzierte Zellen ließen sich durch Zellmarker unterscheiden und automatisch sortieren. Dann untersuchten die Forscher, wie viel eines bestimmten Transkriptionsfaktors in den ausdifferenzierten Zellen im Vergleich zu den Stammzellen vorlag. „Je größer der Unterschied, desto wichtiger scheint der jeweilige Transkriptionsfaktor für die Umwandlung der iPS in ausdifferenzierte Zellen zu sein“, erläutert Busskamp.

Auf diese Weise testete das Team insgesamt 1.732 potenzielle Transkriptionsfaktoren an drei verschiedenen Stammzelllinien. Für 290 unterschiedliche Transkriptionsfaktoren fanden die Forscher dahingehend eine Wirkung, dass die iPS sich in ausdifferenzierte Zellen umwandelten. Wie die Universität mitteilt, sei das Neuland, weil diese Eigenschaft der iPS-Programmierung von 241 der entdeckten Transkriptionsfaktoren vorher nicht bekannt war. Am Beispiel der Nerven-, Bindegewebs-, Blutgefäß- und Gliazellen wiesen die Forscher mit verschiedenen Tests nach, dass die umgewandelten Zellen in ihrer Funktionsfähigkeit nahe an menschliche Körperzellen herankommen.

„Der Vorteil der identifizierten Transkriptionsfaktoren besteht darin, dass sie besonders schnell und einfach iPS in Körperzellen umwandeln und sich daraus auch potenziell komplexere Gewebe bilden lassen“, sagt Busskamp. Was Wochen oder gar Monate dauerte, findet nun binnen Tagen statt. An Stelle aufwändiger und langwieriger Protokolle genügt bei den im Massenscreening herausgefundenen Treffern nur ein Transkriptionsfaktor.

„Diese Ergebnisse stoßen neue Türen auf“, sagt Prof. George M. Church von der Harvard University. „Die Vielfalt, Einfachheit und Schnelligkeit der Stammzellprogrammierung anhand von Transkriptionsfaktoren ermöglicht Stammzellforschung in großem Stil. Weltweit arbeiten bereits 50 andere Gruppen mit unseren programmierbaren Stammzelllinien sowie mit der Transkriptionsfaktorsammlung.“

Die beiden Erstautoren Alex H.M. Ng und Parastoo Khoshaklagh aus Harvard haben mittlerweile das Startup GC Therapeutics in Cambridge (USA) gegründet, das programmierbare Stammzellen mit maßgeschneiderten, integrierten Transkriptionsfaktoren zur Verfügung stellt. Wissenschaftler können nun weltweit die Transkriptionsfaktoren nutzen, weil diese über die Non-Profit-Organisation Addgene bereitgestellt werden.

AHM Ng, P Khoshakhlagh, JE Rojo Arias, G Pasquini, K Wang, A Swiersy, SL Shipman, E Appleton, K Kiaee, RE Kohman, A Vernet, M Dysart, K Leeper, W Saylor, J Huang, A Graveline, J Taipale, DE Hill, M Vidal, JM Melero-Martin, V Busskamp, GM Church. A comprehensive library of human transcription factors for cell fate engineering. Nature Biotech, DOI: 10.1038/s41587-020-0742-6

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

 

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