Frühe Detektion von Hochrisikopatienten für Glaukom
Eine wichtige augenärztliche Aufgabe ist es, Glaukompatienten und solche, bei denen ein erhöhtes Glaukomrisiko besteht, frühzeitig und möglichst vollständig zu erfassen. Inzwischen gibt es genügend evidenzbasierte Belege dafür, dass eine frühzeitige Erkennung mit anschließender adäquater Therapie das Fortschreiten der Erkrankung und somit letztlich auch die Erblindung verhindern kann. Prof. Dr. Dr. Jens Funk stellt ein mögliches Screening-Programm zur Detektion von Hochrisikopatienten für Glaukom vor.
Wenn wir Augenärzte ein Screening-Programm zur Detektion von Hochrisikopatienten für Glaukom fordern wollen, so müssen dabei folgende drei Teilaspekte beachtet werden:
1. Wir brauchen eine möglichst breite Aufklärung der Bevölkerung über die Erkrankung, dass heißt darüber, dass sie im Anfangsstadium symptomlos ist und somit „heimtückisch“ langsam zur Erblindung führt.
2. Wir brauchen ein Konzept, welche Teile der Bevölkerung wir in welchen Abständen untersuchen wollen.
3. Wir brauchen ein Konzept, welche Untersuchungsmethoden wir bei einer Screening-Untersuchung am sinnvollsten einsetzen.
1. Aufklärung der Bevölkerung
Prof. Dr. Kringelstein schreibt in seinem Buch „Glaukom 2006, eine Konsensuskonferenz“: „Das chronische Weitwinkelglaukom (…) ist eine Erkrankung, die gesucht werden muss – eine Herausforderung der präventiven Ophthalmologie, ganz besonders im Lichte der Tatsache, dass etwa 50 Prozent der Erkrankung in der Bevölkerung unentdeckt sind. Die Alertheit der potentiell Betroffenen bezüglich dieses Erblindungsrisikos zu schärfen, unter Ausnutzung aller möglichen kommunikativen Möglichkeiten (Printmedien, Radio, Fernsehen), ist die logische Konsequenz daraus. Dies sollte auch ein vordergründiges Anliegen öffentlicher Gesundheitsvorsorge sein“.
Interessanterweise wird bei diesem Zitat den Printmedien, dem Radio und dem Fernsehen ganz offensichtlich der Vorzug gegeben vor dem Internet. Das ist auch gut begründbar: Personen, die sich im Internet über Glaukom informieren, kennen in der Regel diese Erkrankung bereits und suchen gezielt nach Antworten auf spezielle Fragen. Dadurch lässt sich der Bekanntheitsgrad der Erkrankung Glaukom nicht nennenswert stärken. Letzteres geht sehr viel besser mit Kommunikationsmedien, die in vielen Haushalten „den ganzen Tag über im Hintergrund laufen“. Es gibt bereits einige erfreuliche Ansätze, via Radio, Printmedien und Fernsehen den Bekanntheitsgrad der Erkrankung Glaukom zu vergrößern. Dies ist zum Beispiel der Initiativkreis Glaukomfrüherkennung e.V. (Generalsekretär Dr. Roland Gerste). Meiner Meinung nach wäre dennoch wünschenswert, wenn die Verantwortlichen der verschiedenen Interessensvertretungen (DOG, BVA, DOC etc.) ihre Bemühungen um Kontakte zu den Vertretern der genannten Medien noch intensivieren könnten.
2. Welche Teile der Bevölkerung sollen in welchen Abständen regelmäßig „gescreent“ werden.
Hierzu gibt es einen pragmatischen und meiner Meinung nach gut durchstrukturierten Vorschlag des BVA, der von Prof. Dr. Bertram anlässlich der DOG Tagung 2003 erstmals präsentiert wurde (Tab. 1). Entscheidend dabei ist, dass das genannte Konzept ein Kompromiss ist zwischen wünschenswerter Häufigkeit von Vorsorgeuntersuchungen einerseits und Machbarkeit dieser Untersuchungen andererseits. Der in Tabelle 1 genannte Vorschlag würde immerhin schon zu zusätzlichen 19.248.754 Screening-Untersuchungen pro Jahr in Deutschland führen, wenn wirklich die gesamte Bevölkerung mit dem Programm erreicht würde. Allein diese Zahl sprengt bereits die augenärztlichen Möglichkeiten. Zusätzliche Überlegungen wie zum Beispiel ein jährliches Screening der gesamten Bevölkerung über 40 Jahre oder gar der gesamten Bevölkerung über 30 Jahre mögen deshalb zwar unter medizinischen Aspekten reizvoll sein, sind aber aus ökonomischer Sicht unrealistisch.
3. Welche Untersuchungsmethoden sind bei einer Screening-Untersuchung am sinnvollsten einzusetzen.
Besonders hohe Anforderungen sind zu stellen an die augenärztlichen Untersuchungsmethoden, die im Rahmen eines allgemeinen Screenings angeboten werden sollen. Diese müssen ein sehr hohes Maß an Sensitivität und Spezifität haben, um nicht zu viele Fehldiagnosen zu „produzieren“ Beispiel: Angenommen die Prävalenz des Glaukoms in der gescreenten Bevölkerung betrüge 1 Prozent, die Sensitivität einer Untersuchungsmethode 80 Prozent, ihre Spezifität ebenfalls 80 Prozent. Falls unter diesen Voraussetzungen wirklich all die genannten 19.248.754 Menschen zum Screening kämen, dann würden 3,85 Millionen (!) normale Menschen als glaukomatös eingestuft, außerdem würden 38.498 Glaukome übersehen. Derart viele Fehldiagnosen würden ein Screening-Programm vollkommen indiskutabel machen. Dies zeigt dann gleich auch, dass die von vielen Nicht-Augenärzten propagierten Screenigtests (orientierende Perimetrie, Visusprüfung, Non-Kontakttonometrie) für ein Screenig-Verfahren ungeeignet sind.
Mehr dazu im aktuellen AUGENSPIEGEL.