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Die XXIII. Zusammenkunft der Julius-Hirschberg-Gesellschaft in Heiden (Schweiz)

Von Friedensnobelpreisträgern, Augenärzten und Medizinhistorikern
Anfang Oktober fand in dem Schweizer Bergort Heiden, in dem einst Albrecht von Graefe einige Sommer lang als Augenarzt praktizierte, die XXIII. Zusammenkunft der Julius-Hirschberg-Gesellschaft statt. Dr. Sibylle Scholtz berichtet über die Tagungsinhalte.

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Ob Barack Obama schon jemals von Heiden, einem kleinen Ort in der Schweiz gehört hat, kann als eher unwahrscheinlich angesehen werden. Schon eher wahrscheinlich ist, dass er von seinem Vorgänger im Amt als Friedensnobelpreisträger gehört hat: Henry Dunant. Dieser hat bis zu seinem Ende in Heiden gelebt und als Erster jene außerordentliche Ehrung erhalten. Völlig unabhängig davon hat sich Heiden auch für die Ophthalmo-Geschichte zu einem herausragenden Ort entwickelt: Einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Ophthalmologie, Albrecht von Graefe, hat hier in den Sommermonaten der 1860er Jahre seine augenärztliche Praxis ausgeübt. Sein Urenkel Hanns-Albrecht von Graefe lebt im nicht weit entfernten Heerbrugg.

Louis de Wecker und die französische Augenheilkunde

Mit einer Wanderung zum „von Graefe-Stein“ und dem Besuch des Museums in Heiden, das derzeit eine Sonderausstellung zu Albrecht von Graefe zeigt, stimmten sich die 56 Teilnehmer am Vorabend der Tagung auf das Treffen ein. Aus Wien angereist war Univ.-Dozentin Dr. Gabriela Schmidt-Wyklicky, die mit dem ersten Vortrag „Die Beziehungen des Graefe-Schülers Louis de Wecker (1832–1906) zur Wiener ophthalmologischen Schule und zur österreichisch-ungarischen Monarchie“ den Kongress eröffnete und in die besondere Beziehung dieser Veranstaltung zu Albrecht von Graefe einstimmte. Der aus Frankfurt a. M. stammende Ludwig Wecker studierte an den Universitäten Würzburg, Berlin, Wien und Paris. Seine wesentlichsten Lehrer in der Augenheilkunde waren in Berlin Albrecht von Graefe (1828-1870) sowie in Wien Ferdinand von Arlt (1812-1887), Friedrich Jaeger von Jaxtthal (1784-1871) und dessen Sohn Eduard (1818-1884). 1855 nach Wien gekommen, arbeitete Wecker 18 Monate an Jaegers privater Augenklinik. Die empfangene Unterweisung behielt Wecker stets in warmherziger Erinnerung und verfasste für Vater und Sohn Jaeger einen sehr persönlich gehaltenen Nachruf. In Paris von Julius Sichel (1802-1868) und Louis-Auguste Desmarres (1810-1882) ausgebildet, führte Wecker bald eine gut besuchte private Augenklinik mit ausgedehnter operativer Tätigkeit. Von ihm stammte hierzu auch eine große Anzahl modifizierter oder neu konstruierter ophthalmologischer Instrumente. Wecker erlangte damit großes fachliches Ansehen, wenn auch Julius Hirschberg (1843-1925), ein weiterer Graefe-Schüler, Weckers Neuerungssucht und dessen Geschäftssinn hervorgehoben hat. Weckers zweibändiges Lehrbuch, das 1863-1866 erschien, war seinem Lehrer Graefe gewidmet und wirkte nicht nur für die Entwicklung der französischen Augenheilkunde richtungsweisend. Aus politischen Gründen beantragte Wecker die österreichische Staatsangehörigkeit, die ihm 1870 auch zuerkannt wurde. Im selben Jahr veröffentlichte Wecker gemeinsam mit Eduard Jaeger von Jaxtthal eine Übersetzung von Jaegers epochalem Atlas der Erkrankungen des Augenhintergrundes. Als Anerkennung wurde Wecker mit einem Orden ausgezeichnet, der 1870 zu Weckers Nobilitierung führte. Später in Paris lebend, erhielt Louis de Wecker laut Hirschberg 1884 allerdings die französische Staatsbürgerschaft. Erwähnenswert ist auch, dass Ernst Fuchs (1851-1930) 1878 die Pariser Augenkliniken besuchte. Wecker war damals abwesend, doch standen sie später noch in wissenschaftlichem Kontakt.

Heinrich Schiess: Begründer der Baseler Augenklinik

Prof. Dr. Jutta Herde berichtete in ihrem Vortrag „Der Sohn aus Heiden, Von-Graefe-Schüler und Begründer der Baseler Augenklinik Heinrich Schiess (1833-1914)“. Der Abschluss der universitären Ausbildung von Heinrich Schiess 1856 fällt in die Zeit der großen Reformation der Ophthalmologie. Entstanden in Europa und speziell in Deutschland in mehreren Städten private und zögerlich auch universitäre Augenkliniken, so wurde in der Schweiz 1862 in Zürich durch Friedrich Horner die erste Augenheilanstalt eröffnet. Heinrich Schiess kam am 3. Januar 1833 als ältester Sohn von 14 Kindern des Pfarrers Johann Heinrich Schiess und seiner Ehefrau Anna Margareth, geb. Bernet, in Heiden zur Welt. Des Vaters mehrfacher Wechsel der ihm übergebenen Pfarrämter sorgte für eine bewegte Kindheit: mit Schulausbildung in Grabs, Schiers und St. Gallen, ab 1852 zum Studium der Medizin an der Universität zu Basel. Die 1854 für eine Preisarbeit erhaltenen 100 Louisdor ermöglichten Heinrich, das Studium an der berühmten Universität Würzburg, wo R. Virchow, H. Müller und R. Koelliker lehrten, fortzusetzen. 1856 kehrte er nach Basel zurück, legte die Staatsprüfung ab und wurde zum Dr. med. promoviert. Bevor er sich in seiner Vaterstadt Grabs als Landarzt niederließ, führte ihn eine Studienreise nach München zu Rothmund und nach Wien zu Eduard Jäger und Stellwag von Carion. Während seiner vierjährigen Landarzttätigkeit von 1857 bis 1861 in Grabs reifte die zunehmende Hinwendung zur Augenheilkunde, bedingt durch erbliche hohe Myopie in der Familie und damit gewecktem Interesse im Studium, das viermonatige Praktikum bei A. von Graefe in Berlin und ein Besuch mit seiner Frau 1860 bei von Graefe im Freihof zu Heiden. 1861 ging er nach Basel und widmete sich von nun an nur noch der Ophthalmologie. Schiess eröffnete 1861 in dem in der Missionsstrasse 28 neu gebauten Haus eine kleine Augenpraxis, die 1864 durch den Zukauf des angrenzenden Grundstückes an der Mittleren Str. 45 mit einer kleinen Bettenstation erweitert und dahin verlegt wurde: die erste Augenklinik und -Poliklinik in Basel. Seit seiner Habilitierung 1863 an der Medizinischen Fakultät Basel hielt er regelmäßig Vorlesungen im Fach Ophthalmologie und Seminare zur Pathohistologie in seiner Privatklinik, der er 1865 eine Poliklinik anfügte. 1866 zog seine Klinik in ein geräumigeres Haus an der Allschwiler Str. um. 1867 wurde er zum a. o. Professor, aber erst 1876 zum ordentlichen Professor ernannt. Mehrfache Bemühungen um finanzielle Unterstützung von Seiten der Stadt und der Universität scheiterten, bis 1874 sein Aufruf über ein privates, 83 Bürger umfassendes Komitee erfolgreich Geld einspielte. Damit und nun auch mit einem Zuschuss der Universität wurde das Grundstück an der Mittleren Str. gekauft und eine neue Augenklinik gebaut. 1877 wurde die neue, nun universitäre Augenklinik eröffnet. Schiess leitete die Klinik bis 1896. Die ersten Anträge um Entbindung von seinem Amt wurden von der Fakultät abgelehnt. Der frühe Tod seiner Frau 1881 nötigte ihn zur Betreuung seiner zehn Kinder. Während seiner 35-jährigen Tätigkeit in der Ophthalmologie publizierte er 60 wissenschaftliche Arbeiten mit Schwerpunkt der klinisch-praktischen Beobachtung, Therapie und der Pathohistologie. Trotz erheblicher Sehminderung war er bis ins hohe Alter ein begeisterter Bergsteiger und Kunstliebhaber. Praktisch erblindet und die letzten Jahre von seiner Tochter Rosy betreut und gepflegt, starb Schiess 1914 in Grabs.

Entdeckung der Glaskörperzellen durch Albrecht von Graefe

Mit New York (USA) hatte Prof. Danny Hirsch-Kauffmann Jokl, eine der weitesten Anreisen, um über die „Entdeckung der Glaskörperzellen durch Albrecht von Graefe“ zu sprechen. Albrecht von Graefe, einer der Begründer der „modernen“ Augenheilkunde, ist weltweit berühmt für seine Beschreibung und Behandlung des Glaukoms. Weniger bekannt ist seine Beobachtung, dass Zellen im Glaskörper das früheste Zeichen eines Netzhautrisses oder -Ablösung darstellen. Im 20. Jahrhundert wurde dies als „neue“ Entdeckung publiziert, ohne zu wissen, dass diese scheinbar neue Beobachtung, schon vor 150 Jahren in der deutschen Literatur zu lesen war: bei Albrecht von Graefe.

Hugo Magnus: Ophthalmologe, Medizinhistoriker und Schriftsteller

Der erste Vortrag, der sich nicht mit von Graefe beschäftigte, wurde von Prof. Dr. Gerhard Holland (Kiel) präsentiert: „Hugo Magnus (1842-1907)“. 2007 hatte Holland bereits über den Ophthalmologen, Medizinhistoriker und Schriftsteller Hugo Magnus im Zusammenhang mit seinen Arbeiten über den Farbensinn und die Korrespondenz mit dem britischen Staatsmann W. E. Gladstone berichtet, Ziel der jetzigen Arbeit ist die Würdigung seines Gesamtwerkes. Hugo Magnus wurde 1842 in Neumarkt/Schlesien geboren, studierte nach dem Besuch des Königlichen Friedrich Gymnasiums zu Breslau Medizin an der dortigen Universität. 1867 erfolgte die Promotion mit einem anatomischen Thema. Hugo Magnus erhielt seine Ausbildung zum Augenarzt unter Middeldorf und Förster, 1873 Habilitation und Privatdozent für Augenheilkunde, 1883 Ernennung zum Professor extraordinarius, 1906 zum Geheimen Medizinalrat. Neben seiner Tätigkeit an der Universität unterhielt Magnus eine private Augenklinik. Ferner war er als Vertrauensarzt in der Königlichen Eisenbahndirektion Breslau sowie in der Alters- und Invalidenversicherung Schlesiens tätig. Magnus war ein vielseitiger und fruchtbarer Schriftsteller. Rund 130 Arbeiten sind bekannt, darunter zahlreiche Monografien und längere Abhandlungen. Neben aktuellen Themen aus der Augenheilkunde behandeln viele Arbeiten das Farbensehen, die Blindheit und Fragen der Begutachtung. Von besonderer Bedeutung sind seine Arbeiten zur medizinischen Kulturgeschichte und vor allem zur Geschichte der Augenheilkunde wie „Die Geschichte des grauen Stars“, „Die Anatomie des Auges bei den Griechen und Römern“ und sein umfangreichstes Werk „Die Augenheilkunde der Alten“, das 1901 erschien, zwei Jahre nach Hirschbergs „Geschichte der Augenheilkunde im Altertum“. Hugo Magnus war ferner in Zusammenarbeit mit zahlreichen anerkannten Fachkollegen Herausgeber der insgesamt 25 „Augenärztlichen Unterrichtstafeln für den akademischen und Selbstunterricht“, die zwischen 1892 und 1907 erschienen. Darüber hinaus war er seit 1902 zusammen mit Neuberger und Sudhof Herausgeber der „Abhandlungen zur Geschichte der Medizin“. Wenige Monate nach seinem Tod 1907 erschien seine letzte, umfangreiche Arbeit „Die Entwicklung der Heilkunde in ihren Hauptzügen“, herausgegeben von seiner Ehefrau und dem Medizinhistoriker Pagel. Diesem Werk verdanken wir eine Zusammenstellung der literarischen Arbeiten von Hugo Magnus, ohne die es kaum möglich wäre, heute mehr als 100 Jahre nach seinem Tod das Gesamtwerk zu würdigen. Uthoff schreibt 1907 in einem Nachruf: „Sein wissenschaftliches Denkmal hat er sich selbst errichtet und es wird Bestand haben für die Zukunft“. Hat Uthoff recht behalten?

Edgar Allan Poe und die Geschichte der Brille

Daran anschließend sprach Dr. Gisela Kuntzsch-Kullin (Braunschweig) über die „Brille bei Edgar Allan Poe und Brille heute – Brillenkunde im Wandel der Zeiten“. Der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe, geboren 1809, schrieb die Erzählung „Die Brille“. Um die Pointe der Erzählung nicht vorweg zu nehmen,  sei nur so viel vorweggenommen, dass der Hauptheld, ein gut aussehender junger Amerikaner, als einzigen Makel „schwache Augen“ hatte und sich aus Eitelkeit weigerte, eine Sehhilfe zu tragen. Was ihm durch dieses Verhalten geschieht, ist makaber, allerdings erfreulicherweise rückgängig zu machen. Er ist fortan nach diesem Dilemma nicht mehr ohne Brille anzutreffen. Kuntzsch-Kullin griff in ihrem Vortrag die Frage auf: Wie weit war die Brillenentwicklung im 19. Jahrhundert und demonstrierte in Wort und Bild die Historie, angefangen mit dem so genannten Lesestein über Nietbrille, Bügelbrille, Scherenbrille, Gelenkbrille, Klemmbrille, Monokel, Kneifer, Schläfen-Brille, Lorgnette bis zur heutigen Ohrenbrille. Spezialbrillen, modische Raffinessen und „Markenzeichen“ von Prominenten fanden dabei ebenfalls Erwähnung. Die gezeigten Stücke der „Brillen-Galerie“ stammten aus musealen Sammlungen und aus ihrer Privatsammlung. Kulturgeschichtliche Aspekte der Brillenakzeptanz wurden beleuchtet, Beispiele aus der Literatur zeigten, Abhängigkeit und Liebe zur Brille, dem wohl ältesten optischen Instrument der Menschheit.

Johann Adam Schmidt: Militärarzt, Ophthalmologe und Arzt Ludwig van Beethovens

Die zweite Sitzung wurde von Prof. Dr. Ralf Vollmuth (Würzburg-München) und Frank Krogmann (Thüngersheim) eröffnet, sie sprachen beide über den „Militärarzt und Ophthalmologen Johann Adam Schmidt (1759-1809)“, wobei sie ihren Beitrag mit Klängen aus der von Ludwig van Beethoven an Schmidt gewidmeten Komposition einleiteten. Ihr Vortrag bot einen Überblick zu Leben und Werk des Militär- und Augenarztes Johann Adam Schmidt, der am 12. Oktober 1759 in Aub/Unterfranken geboren wurde und in Würzburg seine Ausbildung als Chirurg erhielt. Schmidt wurde Unterchirurgus im Bayerischen Erbfolgekrieg und vervollständigte seine Ausbildung in Wien, wo er über verschiedene Stationen zum Professor an der medizinisch-chirurgischen Josephs-Akademie und zu einer der führenden Persönlichkeiten des österreichischen Militärsanitätswesens aufstieg. Auch als Augenarzt erlangte Johann Adam Schmidt sowohl aufgrund seiner praktischen Tätigkeit als auch durch seine wissenschaftlichen Arbeiten hohes Ansehen. Johann Adam Schmidt verstarb am 19. Februar 1809, so dass im Jahr 2009 sowohl seines 250. Geburtstags als auch des 200. Todestages zu gedenken war. Er hinterließ eine Vielzahl von Publikationen und erlangte nicht zuletzt als Arzt Beethovens Bekanntheit, der ihm das Trio für Klavier, Klarinette oder Violine und Violoncello (Es-Dur) Opus 38 widmete.

Leonid Georgievic Belljarminov: Begründer der St. Petersburger Ophthalmologen-Schule

Mit Diplom-Germanistin Marta Fischer (Leipzig) wurden die Teilnehmer weit in den Osten entführt: „Der russische Ophthalmologe Leonid Georgievic Beljarminov (1859-1930) – Erinnerung zum 150. Geburtstag“. Die Biografie des Ophthalmologen Belljarminov ist typisch für die eines russischen Professors in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Belljarminov absolvierte ein Medizinstudium in Russland und bildete sich in einem mehrjährigen Studienaufenthalt, vor allem in Deutschland, weiter. Nach Absolvierung der Militärmedizinischen Akademie (MMA) in St. Petersburg 1883 blieb Belljarminov zur Vorbereitung auf ein Professorenamt für weitere drei Jahre an der Akademie. Nach der Promotion reiste er für zwei Jahre zu weiteren Studien zur Augenheilkunde ins Ausland. In den Jahren 1886 bis 1888 qualifizierte er sich bei Hans Virchow, Wilhelm Waldeyer, Karl Schweigger, Julius Hirschberg und Hermann von Helmholtz in Berlin, Theodor Leber in Göttingen und Hubert Sattler in Erlangen sowie in einer Reihe von Augenkliniken weiter. 1888 kehrte er nach St. Petersburg zurück, wurde Privatdozent am Lehrstuhl für Augenheilkunde der MMA und im Jahre 1893, im Alter von 34 Jahren, Leiter des Lehrstuhls für Augenheilkunde, den er über 30 Jahre, bis 1924 leitete. Belljarminov ist der Begründer der St. Petersburger Ophthalmologen-Schule, aus der neben Augenärzten und Privatdozenten elf Professoren für Augenheilkunde hervorgingen. Sein besonderes Interesse galt den Untersuchungen der Pupillenbewegung und des Augeninnendrucks. Nach ihm sind einige ophthalmologische Fachbegriffe benannt. Er war der Initiator der „fliegenden“ Augenabteilungen und Lazarette zur Blindheitsbekämpfung in Russland. Belljarminov gilt auch als Beispiel für wissenschaftliche Beziehungen mit den Ländern in Westeuropa. Er veröffentlichte unter anderem 15 Publikationen in deutschen ophthalmologischen und medizinischen Fachzeitschriften, war Mitglied des Redaktionskollegiums der Zeitschrift „Archiv für Augenheilkunde“, die später in „Albrecht von Graefes Archiv für Ophthalmologie“ aufgegangen ist, nahm an internationalen Kongressen teil und pflegte persönliche Kontakte zu seinen früheren deutschen Lehrern, wie Julius Hirschberg und Hans Virchow.

Familie von Sütphen: Hof-Okulisten

Auf weite Reise ging Dr. Aloys Henning (Berlin) mit seinen „Hof-Okulisten und privilegierten reisenden zu approbierten Augenärzten 1498-1810“. Forschungen seit 2006 zur Familie von Sütphen aus mittelalterlichem Adel in Geldern haben die Lücke geschlossen, die zuvor für die Geschichte der Augenheilkunde in Sachsen und Brandenburg bestand: zwischen Georg Bartisch (1535-1607) und Johann Andreas Eisenbarth (1668-1727). Die als Protestanten 1572 aus Zutphen exilierten von Sütphens haben in 90 Jahren neun Okulisten und Schnittärzte für Sachsen und Brandenburg hervorgebracht und insgesamt zwölf ausgebildet. Ihre kaiserlichen Privilegia erhellen den Rang eines bedeutenden Vorgänger Bartischs, Heinrich Vogtherr des Älteren (1490–1556), Hofaugenarzt Ferdinands I. (1521-1564) in Wien. Eisenbarth als reisender Operateur ist gekennzeichnet vom Übergang von chirurgischen Zunftordnungen zu Approbationen nach dem brandenburgischen Medizinaledikt 1685. Die neuen Befunde erweisen im 18. Jahrhundert scharlataneske Okulisten, wie Joseph Hillmer und John Taylor, als historisch verspätete Reisende nach Einführung landesweiter Medizinalordnungen. Diese ersetzten zünftische Meisterprüfungen für niedergelassene Barbier-Chirurgen durch vom Souverain erlassene Approbationsordnungen – die in Berlin 1718 Kurse am Collegium Medico-chirurgicum vorsahen – und ließen für Okulisten noch landesweite Privilegierungen zu. Da seit 1986 die Geschichte der Augenheilkunde in Berlin im 18. Jahrhundert anhand von 16 Okulisten und drei Hochschullehrern ans Licht gebracht wurde, dazu ihr ältester bekannter Vorgänger, der Hofaugenarzt Meister Herman des brandenburgischen Kurfürsten Johann II. (Cicero) 1498, ist heute die Entwicklung des Berufsbildes Augenarzt durch drei Jahrhunderte vor dem 19. Jahrhunderts darstellbar. Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts weisen sächsische Archivalien Bildungsgänge für Augenärzte deutlicher als preußische aus.

Gonin, Vogt und Galezowski: Therapie der Netzhautablösung

Abgeschlossen wurde diese Sitzung durch einen regionalen Referenten, Prof. Dr. Balder P. Gloor (Zürich) informierte über „Gonin, Vogt, Galezowski – wofür musste Galezowski herhalten?“. Vogt hat Xavier Galezowski (1832–1907) unter den vielen, die seit von Graefe erfolglose Vorschläge zur Behandlung der Netzhautablösung gemacht haben, eine Sonderstellung eingeräumt, indem er ihm mehrfach insistierend die Priorität zuwies, die Netzhautablösung mit Drainage der retroretinalen Flüssigkeit und auf das Netzhautloch gerichteter Ignipunktur 15 Jahre vor Gonin systematisch behandelt zu haben. Gonin allerdings hielt Vogts Ansicht für eine Fehlinterpretation der 1902 und 1903 erschienenen Texte Galezowskis. Was hat Galezowski wirklich beschrieben? Wer war Galezowski? Wie schildern M. A. Dollfuss und J. P. Baillart die Behandlung der Netzhautablösung in jener Zeitperiode? Wurde Galezowski von Vogt instrumentalisiert und, wenn ja, wozu? Die ganze Geschichte hat Vorder- und Hintergründe, mit eingerechnet den Vorschlag, Gonin den Nobelpreis für Medizin zu verleihen. Sorgfältige Lektüre der von Vogt herangezogenen Texte, eine genaue Chronologie der Ereignisse und neuere Daten helfen, diese Geschichte zu erhellen.

Teil 2 folgt in der Ausgabe März.

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