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Die Julius-Hirschberg-Gesellschaft tagte in Salzburg (Teil 1)

Von Mozart über Paracelsus
Für die XXII. Zusammenkunft der Julius-Hirschberg-Gesellschaft im Oktober hatte man sich einen besonders geschichtsträchtigen Ort ausgesucht. Salzburg ist mit seinen zahlreichen Sehenswürdigkeiten und Berühmtheiten auf der ganzen Welt bekannt: es ist die Geburtstadt von Mozart, die Altstadt gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und die Salzburger Festspiele genießen internationales Ansehen. Doch auch medizinhistorisch hat Salzburg einiges zu bieten: Paracelsus lebte zeitweise hier und ist auf dem Salzburger Sebastiansfriedhof begraben, der Augenarzt Hubert Sattler wurde in Salzburg geboren und auch das Augenärzteehepaar Kerschbaumer praktizierte eine Zeit lang in der Stadt. Ein Bericht von Dr. Sibylle Scholtz.

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Der Einstimmung zur diesjährigen Tagung diente eine Führung durch die Mozart-Autographensammlung im Mozart-Wohnhaus, gefolgt vom Besuch des Paracelsus-Grabes und des Grabes des Augenarztes Wilhelm Werneck auf dem Salzburger Sebastiansfriedhof.

Das anschließende zweitägige wissenschaftliche Programm umfasste ein umfangreiches Vortragsangebot, das den 63 Teilnehmern (davon 42 wissenschaftliche) in der Salzburger „Paracelsus Medizinische Privatuniversität“ (PMU) präsentiert wurde. Referenten, die nicht nur aus dem zentraleuropäischen Raum angereist waren, sondern auch aus Frankreich, Schweden oder den USA, unterstrichen den weit reichenden wissenschaftlichen Ruf und die Internationalität der Julius-Hirschberg-Gesellschaft.

Die erste Sitzung des Vormittages war mit ihren Vorträgen dem 2007 verstorbenen Mitbegründer der Julius-Hirschberg-Gesellschaft, Prof. Dr. Rudolf Sachsenweger, und dem Gastgeberland
Österreich gewidmet:

Prof. Dr. Matthias R. Sachsenweger (Landshut) erinnerte mit einer sehr bewegenden Hommage an seinen Vater „Rudolf Sachsenweger – ein Leipziger Ordinarius im Spannungsfeld des kommunistischen Staates“. Rudolf Sachsenweger wurde 1916 in Nahlendorf/Sachsen geboren. Nach Erlangung des Abiturs besuchte er zunächst die Lehrerbildungsanstalt in Lauenburg/Pommern, hier schloss er 1937 die Ausbildung als Schulamtsbewerber „mit Auszeichnung“ ab. Danach studierte er in Halle/Saale Geschichte, Mittelhochdeutsch, Psychologie und Philosophie, bis er 1938 eingezogen wurde. Den 2. Weltkrieg verbrachte er als Soldat an verschiedenen Frontabschnitten, durfte von 1941 bis 1943 in Jena und Rostock mit dem Studium der Medizin beginnen, um danach als Feldunterarzt an die Ostfront zurückzukehren. In der Zeit von 1945 bis 1949 war er in russischer Kriegsgefangenschaft in Estland, konnte jedoch nach Entlassung das angefangene Studium 1951 mit der Note „sehr gut“ beenden. Er legte 1955 seine Facharztausbildung an der Universitäts-Augenklinik in Halle ab, wo er sich ein Jahr später habilitierte. 1958 wurde er als Nachfolger von Karl Velhagen auf den Lehrstuhl für Augenheilkunde der Universität Leipzig berufen, wo er sich bis zu seiner Emeritierung 1981 wissenschaftlich profilieren und internationale Anerkennung erlangen konnte. Insgesamt hat er in der Zeit über 200 wissenschaftliche Veröffentlichungen und 50 Buchtitel geschrieben. Er wurde 1961 in den internationalen Gonin-Club gewählt. Bald darauf wurde er Ehrenmitglied der Academia Barraquer in Barcelona, Vorstandsmitglied der International Strabological Association, der European Strabismological Association und der European Glaucoma Society. Seit 1960 war er Mitglied der Société Francophone d’Ophtalmologie, seit 1972 der Leopoldina, 1979 Ehrenmitglied der DOG und seit 1980 Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig sowie der Academia Internationalis Ophthalmologica in Chicago. 1980 wurde er in Brighton für vier Jahre zum Präsidenten der European Ophthalmological Society gewählt, zweifellos der Höhepunkt von Anerkennungen seines beruflichen Lebens. 1967 erhielt er den Albrecht von Graefe-Preis der DOG. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahre 1996 hat ihm die Leipziger Universität die Ehrendoktorwürde verliehen.

Rudolf Sachsenweger hat sich in der DDR nie politisch instrumentalisieren lassen, ist nie Mitglied der SED oder des Staatssicherheitsapparates gewesen. Sein Sohn berichtete über die wertkonservative politische Grundüberzeugung des Vaters, die diesem in der DDR Nachteile und Schwierigkeiten eingebracht hat.

Dr. univ. Egon Alzner (Bad Dürrnberg) berichtete über den fast in Vergessenheit geratenen „Wilhelm Werneck (1787-1842), Militärarzt, Augenarzt und Forscher“. Nach seinem Medizinstudium in Pavia war Werneck von 1809 bis 1832 Arzt in der österreichischen Armee. Nach ersten Studien bei Schmidt und Beer in Wien war Werneck von 1825 bis 1842 an der Privataugenklinik in Salzburg tätig. Viele seiner Forschungsberichte sind verloren gegangen, vermutlich hat er auch versäumt, manche seiner Arbeiten rechtzeitig zu veröffentlichen. Als einer der ersten hat Werneck die Kontagiosität der ägyptischen Körnerkrankheit postuliert – erst Jahrzehnte später wurde dieses Wissen Allgemeingut. Bekannt wurden seine histologischen Untersuchungen von Augengeweben. Hierbei erstreckten sich seine Forschungen nicht auf das menschliche Auge, sondern auch auf die anderer Säugetiere, Vögel, Fische und Amphibien. Hierin kann der erste Ansatz einer ophthalmologischen Gewebelehre gesehen werden. Als erster Augenarzt beschreibt er Koagulationsbehandlungen am Auge mit Sonnenlicht – bereits 115 Jahre vor Meyer-Schwickerath. Auch wenn die Erinnerungen an Werneck verblasst sind, sein Grab kann heute am Salzburger Sebastians-Friedhof gefunden werden.

Über „Ein ophthalmohistorisches Kleinod: Die pathohistologische Sammlung von Ernst Fuchs (1851-1930) in Wien“ sprach Univ.-Doz. Dr. univ. Gabriela Schmidt-Wyklicky, die am Institut für Geschichte der Medizin der Medizinischen Universität Wien, tätig ist. Hier befindet sich die legendäre Sammlung der histologischen Augenpräparate von Ernst Fuchs, der von 1885 bis 1915 Vorstand der II. Universitäts-Augenklinik im AKH war. Zu seiner Zeit galt er als einer der hervoragendsten Ophthalmopathologen weltweit. Die Sammlung umfasst etwa 40.000 Schnitte, die bis heute noch nicht katalogisiert sind. Die Entstehung dieser Sammlung geht noch auf die Assistentenzeit von Fuchs an der I. Universitäts-Augenklinik in Wien unter Ferdinand von Arlt (1812-1887) zurück. Fuchs fertigte in eigenen Protokollbüchern stenographische Aufzeichnungen zu den jeweiligen Krankheitsbildern der Patienten an, welche er seither – offenbar entsprechend der histologischen Verarbeitung – fortlaufend nummerierte. Die erste dieser eigenhändigen Eintragungen stammte vom 16. Oktober 1876. Zusammen mit der fortlaufenden Nummerierung der histologischen Präparate wurden u. a. auch die Namen der jeweiligen Patienten, die Protokollnummer, das Datum der Operation, einige Details zur Krankengeschichte und der Krankensaal dokumentiert. Die letzte Nennung von Ernst Fuchs, der sich 1915 in den Ruhestand hatte versetzen lassen, erfolgte erst am 20. Oktober 1919.

Die Präparate wurden von Fuchs nicht nur zu Dokumentationszwecken angefertigt und gesammelt, sondern auch für den mikroskopischen Unterricht herangezogen. In Zusammenarbeit mit der „Fuchs-Stiftung zur Förderung der Augenheilkunde“, die an der Salzburger Universitäts-Augenklinik beheimatet ist, wird schon seit einigen Jahren nicht nur eine Katalogisierung dieser in ihrem Umfang und ihrem hervorragenden Erhaltungszustand wohl einzigartigen Sammlung unternommen, sondern auch eine umfassende Biographie von Ernst Fuchs erarbeitet. Gegenwärtig wird versucht, alle jene Krankheitsbilder, die mit dem Namen „Fuchs“ verknüpft sind, in seiner Sammlung aufzufinden, die entsprechenden Präparate zu fotografieren und mit der ursprünglichen Originalbeschreibung zu verknüpfen.

Der Medizinhistoriker und Geschäftsführer der Julius-Hirschberg-Gesellschaft, Frank Krogmann (Thüngersheim), beschäftigte sich in seinem sehr ansprechenden Vortrag mit „Karl David Lindner (1883-1961) – In Salzburg fand er sein Ende“. Der in Wien geborene Karl David Lindner stammte aus einer kinderreichen, evangelisch geprägten Familie; er war das siebte von 13 Kindern eines aus Sachsen stammenden Drechslermeisters und Stockfabrikanten. Lindner absolvierte seine medizinischen Studien in Wien und das Wintersemester 1905/06 an der Sorbonne in Paris, wo er sich mit dem späteren Dermatologen Leopold Arzt anfreundete. 1908 begann Lindner seine ophthalmologische Fachausbildung unter Hofrat Prof. Dr. Ernst Fuchs an der II. Universitäts-Augenklinik in Wien. Für seinen Beitrag zur Entdeckung des Trachom-Erregers erhielt Lindner von der Ophthalmologischen Gesellschaft Heidelberg einen Preis. 1916 habilitierte er sich, übernahm 1924 die Leitung der Augenabteilung der Wiener Poliklinik und wurde 1927 als Vorstand der II. Universitäts-Augenklinik als Nachfolger Friedrich Dimmers berufen. Erst 1928 erfolgte die Ernennung zum „ordentlichen Professor“. Lindner führte seine Klinik durch die Zeit des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich und den zweiten Weltkrieg bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1953. Auf die Fortsetzung seiner Ordinariatstätigkeit im so genannten Ehrenjahr verzichtete er. Jedoch schlossen sich 1954 Honorarprofessuren in Kairo, 1954/55 am Gandhi Eye Hospital, Aligar, Indien und 1956/57 in Tabriz/Persien an.

Im Vortrag ging Krogmann auf das Leben und Wirken Lindners gerade unter Berücksichtigung der Zeit des Nationalsozialismus ein. Bemerkenswert, aber zu Lindners Wesen – spartanisch einfach, Strenge gegen sich selbst – passend ist der Umstand, dass er seine mehrjährige Glaukomerkrankung selbst vor seiner Familie geheim gehalten hat.

In Salzburg ereilte ihn 1961 während des Kongresses der ÖOG am Vortragspult im Kreise seiner Kollegen, Freunde und Schüler plötzlich der Tod. Bei seinem Begräbnis wurde das Lied „Lobe den Herren“ gesungen – Ausdruck für die eminente religiöse, christliche Prägung des Verstorbenen und seiner Familie. Den Vortragstitel ergänzte deshalb Frank Krogmann im Hinblick auf diesen Jenseitsbezug abschließend wie folgt: „In Salzburg fand er sein Ende und den Anfang“.

Über die Anwendung von Pflanzen in der Ophthalmologie berichtete der Innsbrucker Univ.-Prof. Dr. univ. Franz Daxecker mit „Heilpflanzen der Augenheilkunde in: Wiener Dioskurides, Medicina antiqua und Macer floridus“. Er verglich in seinem Vortrag die Nennung und Verwendung von Heilpflanzen der Augenheilkunde der Werke Wiener Dioskurides (1. Jh. n. Chr.), Macer floridus (11. Jh.) und in Medicina antiqua (13. Jh. n. Chr.). Daxecker beschrieb die aufgeführten Pflanzen und ihre Anwendungsgebiete in dem jeweiligen einzelnen Werk und zeigte zahlreiche Übereinstimmungen zwischen den dreien auf. Im Wiener Dioskurides werden 17, in Medicina antiqua 20 und im Macer floridus 34 Pflanzen beschrieben.

Trotz des legendären Salzburger „Schnürl-Regen“ konnte auch schon am Vortag des wissenschaftlichen Programms O. Univ.-Prof. Dr. Heinz Dopsch während seiner Führung durch die Sebastianskirche und den Sebastiansfriedhof mit seinen Ausführungen und seinem profunden Wissen begeistern. In seinem Vortrag während der wissenschaftlichen Sitzung berichtete er über „Paracelsus auf dem Weg nach Salzburg“. Beim Ausbruch des Salzburger Bauernkriegs war der Arzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim, der sich später Paracelsus nannte, Anfang Juni 1525 aus der Stadt Salzburg geflohen. Solange Kardinal Matthäus Lang das Erzbistum Salzburg regierte, war für Paracelsus eine Rückkehr nach Salzburg ausgeschlossen. Die letzten Lebensjahre brachten dem Hohenheimer mit dem Druck der „Großen Wundarznei“ in Augsburg 1536 – dem einzigen medizinischen Werk, das zu seinen Lebzeiten erschien – einen wichtigen Erfolg. Sein Weg führte dann über Eferding nach Mährisch Kromau, wo Paracelsus bei der Behandlung des böhmischen Erbmarschalls Johann von der Leipnick scheiterte. Eine Audienz des Paracelsus in Wien bei König Ferdinand I., dem er eine „Prognostication“ gewidmet hatte, ist in der Forschung umstritten. Der Tod seines Vaters rief den Hohenheimer dann nach Villach, wo er den Kärntner Ständen seine „Kärntner Schriften“ widmete. Er war bereits „schwachen Leibs“, als der Tod des Kardinals Lang 1540 die lang erhoffte Rückkehr nach Salzburg ermöglichte. Dort verfasste er am 21. September 1541 sein Testament und starb drei Tage später an einer Quecksilbervergiftung, die er durch die Einnahme einer Überdosis Quecksilber zur Bekämpfung einer schweren Erkrankung selbst herbeigeführt hatte – was völlig unverständlich erscheint, denn der Nachwelt ist Paracelsus auch wegen seiner immer noch gültigen Aussage „Dosis sola facit venenum“ („Allein die Dosis macht das Gift“) im Gedächtnis.

Die zweite Sitzung des Vormittages begann mit einem ganz besonders berührenden Vortrag der äußerst außergewöhnlichen Art durch Univ.-Prof. Dr. med. Hans Remky (München). Er berichtete von einem einzelnen Patienten mit „Thalamus-Blutung und Gesichtsfeld-Störung“. Die Häufigkeit intravitaler Nachweise von Thalamus-Blutungen hat mit der Verfeinerung nicht-invasiver Untersuchungsmethoden zugenommen. Die subjektive Bewertungsskala klinischer Symptome reicht bis in den Grenzbereich der Wahrnehmung. Ein 85-jähriger Mann bemerkte nach linksseitiger Thalamus-Blutung mehrmals eine sehr kurz dauernde Störung seines rechten Gesichtsfeldes: Das Zentrum erschien „brodelnd“ wie die Oberfläche kochenden Wassers und „schmolz“ ein. Durch das entstandene „Loch“ wurde ein um einige Prozente verkleinerter Teil des gleichen Gesichtsfeldes sichtbar. Dieses durch kräftigere Färbung leicht unterscheidbare Bild schien mehrere Zentimeter tiefer im Raum zu liegen. Das „zweite“ Bild glich sich dem ursprünglichen Gesichtsfeld schnell an. Die hier sehr einprägsam vorgetragenen Beobachtungen beschreiben die ophthalmo-pathologischen Symptome nach Thalamus-Blutung eines mit den Problemen der Pathophysiologie vertrauten, sehr prominenten Augenarztes und einem sehr verehrten Gründungsmitglied der Julius-Hirschberg-Gesellschaft.

Über den „Arzt und Staatsmann Johann Friedrich Struensee und sein Beitrag zur Augenheilkunde“ berichtete Prof. Dr. Gerhard Holland (Kiel). Johann Friedrich Struensee wurde 1737 als Sohn eines pietistischen Pastors in Halle geboren. Nach dem Schulbesuch studierte er von 1752 bis 1757 Medizin an der Universität Halle. 1757 wird sein Vater Hauptpastor in dem damals dänischen Altona. Struensee folgt dem Vater und wird gerade zwanzigjährig Stadtphysikus von Altona. 1768 begleitet er als Reisearzt den dänischen König Christian VII. nach England und Frankreich und wird nach Rückkehr im Januar 1769 dessen Leibarzt. Struensee gewinnt das Vertrauen des psychisch labilen Königs und zunehmend an politischem Einfluss in Kopenhagen. Im Juli 1771 wird er Geheimer Kabinettsminister und erhält damit fast unumschränkte Vollmachten, erlässt nahezu 1.800 Dekrete ganz im Sinne der Aufklärung. Doch diese Neuerungen und auch sein Verhältnis zur Königin Caroline-Mathilde bringen ihm Feinde. 1772 wird er verhaftet und hingerichtet.

Während seiner zehnjährigen ärztlichen Tätigkeit in Altona ist Struensee auf fast allen Gebieten der Medizin publizistisch aktiv, schreibt unter anderem gegen Aberglauben und Kurpfuscherei, setzt sich für die Pockenschutzimpfung ein, erkennt die Ursache der Maul- und Klauenseuche und veröffentlicht 1763 die wichtige Arbeit „Von der neuen Methode den Staar zu operieren“. Bereits wenige Jahre nach Daviels Veröffentlichung beschreibt er exakt die neue Methode, führt sie selber aus und empfiehlt die Pupillenerweiterung bei der Staroperation durch Atropin. Auch sieht er die Erkrankung der Geburtswege der Mutter als Ursache der damals oft zur Erblindung führenden Bindehautentzündung der Neugeborenen.

Bereits etwa 130 Jahre vor dem legendären Mediziner und Begründer der „Credé ‘schen Prophylaxe“ – Carl Sigmund Franz Credé – beschäftigte sich Samuel Theodor Quelmalz mit der Augenbeteiligung der Gonorrhö bei Neugeborenen. MedR Priv.-Doz. Dr. habil. Manfred Jähne aus Schneeberg referierte über die ersten Ideen hierzu von „Samuel Theodor Quelmalz (1696-1758) und die Ophthalmia neonatorum“. Julius Hirschberg widmete in seinem dritten Buch „Geschichte der Augenheilkunde in der Neuzeit“ fünf Seiten im Kapitel § 420 „Samuel Theodor Quelmalz und die Augeneiterung der Neugeborenen“. Anlässlich des 250. Todesjahres von S. Th. Quelmalz (Schreibweise auch Quellmaltz) schien es interessant hier nachzuforschen: Wer war Quelmalz, welche Geschichte hat die Therapie und letztendlich die Prophylaxe der Ophthalmia neonatorum? Quelmalz wurde in der sächsischen Bergstadt Freiberg 1696 geboren. Er studierte in Leipzig und Wittenberg Medizin und Philosophie. In Leipzig war er ab 1737 nacheinander Professor für Physiologie, Anatomie, Therapie und hatte ab 1757 bis zu seinem Tode 1758 die Dekanswürde der Medizinischen Fakultät inne. Seine bedeutendste medizinische Leistung ist eine akademische Schrift aus dem Jahre 1750: Quelmalz hat als Erster in der medizinischen Weltliteratur mit seiner Veröffentlichung den Augen-Eiterfluss der Neugeborenen beschrieben und als Ursache den eitrigen Scheidenfluss der gebärenden Mutter beziehungsweise die ursprüngliche Gonorrhö des Vaters nachgewiesen. Diese Monografie von Quelmalz war in der Ära vor der Bakteriologie ihrer Zeit weit voraus, sie fand keine zeitgenössische medizinische Beachtung. Der Begriff „Ophthalmia neonatorum“ (O. n.) wurde 1798 durch den berühmten Halleschen Arzt Johann Christian Reil (1759-1813) _geprägt. Carl Ferdinand von Graefe (1787-1840) führte erstmals die wässrige Lösung des Höllensteinstiftes als Argentum nitricum fusum in die Behandlung der O. n. ein.

130 Jahre nach der Publikation von Quelmalz ging der Leipziger Ordinarius für Geburtshilfe, Carl Sigmund Franz Credé (1819-1892), einen bedeutsamen Schritt weiter und stellte an Stelle der Frühbehandlung erkrankter Neugeborener die Prophylaxe eines jeden Kindes in den Vordergrund. Vor Einführung der so genannten Credé‘schen Prophylaxe erblindeten eins von zehn Neugeborenen an einer O. n., mehr als 20 Prozent der Bewohner deutscher Blindenheime waren dadurch erblindet.

Aus Göteborg (Schweden) war Prof. Dr. Erik Linnér für seinen Vortrag über „Carl von Linné über das Auge und seine Erkrankungen“ angereist. Carl von Linné (1707-1778) ist auch 300 Jahre nach seiner Geburt in einem Pfarrhaus im Süden Schwedens immer noch eine höchst faszinierende Persönlichkeit. Den meisten ist er für sein binäres botanisches Klassifikationssystem in Erinnerung, allerdings hatte Linné auch großes Interesse an allen Lebewesen einschließlich des Menschen und klassifizierte auch diese nach derselben Art. Auf medizinischem Gebiet gab Linné gut besuchte Vorlesungen über Diätetik und Pathologie, inklusive ophthalmologischer Aspekte. Er betrachte den Sehapparat als das wertvollste göttliche Geschenk und das Sehen als den bedeutendsten unserer Sinne. Auch Aussagen zur Farbpsychologie sind von Linné zu finden: „Grün“ sei das herrlichste, während „Weiß“ die Augen schwach mache. Künstliches Licht sei nicht empfehlenswert für die Augen, nicht nur für Schmiede und Glasbläser, sondern auch für Schulkinder, die damals ihre Hausaufgaben beim offenen Feuer erledigten. Während einer Reise nach Lappland stellte Linné fest, dass die Lappen an schwachen Augen litten. Er bezeichnete ihre Augenerkrankung als „amblyopia lapponica“. Auch ernährungsphysiologische Beobachtungen sind von Linné überliefert: Er beschreibt, dass nach einem Aufstand in einer schwedischen Provinz im Jahre 1743 die Rebellen inhaftiert wurden. Zum Essen bekamen sie nur Haferbrei, aber kein Fett. Es wurde berichtet, dass sie fast erblindeten. Linné war überzeugt, dass es lebensnotwendig sei, eine gewisse Art von Fett zu essen, ansonsten würden die Augen schwach werden.

Nach der zweiten Sitzung des Vormittags fand im Rahmen dieser Tagung die Mitgliederversammlung der Julius-Hirschberg-Gesellschaft statt. Der Satzung gemäß wurden hier drei Vorstandmitglieder neu beziehungsweise wieder gewählt: Prof. Dr. Jutta Herde (Halle) und Univ.-Prof. Franz Daxecker (Innsbruck) wurden als Vorstand bestätigt, Prof. Dr. Guido Kluxen (Wermelskirchen) ist neu hinzugekommen.

Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe.

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