Amblyopie: Kontextsensitive Shutterbrille zur Verbesserung der Therapieadhärenz
Die Entwicklung der neuen Shutterbrille zur individualisierten Therapie von Amblyopie ist Gesamtziel eines einmaligen BMBF-geförderten Verbundprojekts an der Augenklinik Sulzbach unter der medizinischen Leitung von Prof. Dr. med Kai Januschowski und Dr. med Annekatrin Rickmann. Die Therapieadhärenz soll durch durch die innovative, kontextsensitive Technologie der interaktiven Shutterbrille mit sensorischem Feedback maßgeblich verbessert und objektiv überprüft werden.
Mit einer Prävalenz von drei bis fünf Prozent bildet Amblyopie eine der häufigsten Ursachen für Sehbehinderungen während der ersten Lebensjahre. Es handelt sich dabei um eine Unterentwicklung desjenigen Teils des Nervensystems, das für die Verarbeitung visueller Information erforderlich ist. Ursächlich finden sich häufig organisch bedingte Sehbehinderungen im frühen Kindesalter, wie ein- oder beidseitiger Refraktionsfehler, Schielen oder eine frühkindliche Katarakt. Bisher wird die Amblyopie standardmäßig durch Okklusion des besseren Auges mit einem verdunkelnden Pflaster therapiert. Der Begriff Okklusion bezeichnet das gezielt eingesetzte Abdecken eines Auges (z. B. durch Augenpflaster) zur Eliminierung von Doppelbildern und zu diagnostischen Zwecken. Bei der Amblyopiebehandlung hängt der Therapieerfolg von der Okklusionstragezeit ab. Im Einsatz sind aktuell auch „einfache“ Shutterbrillen ohne intelligente Sensorunterstützung, die lediglich rhythmisch einen Hell-Dunkel-Wechsel erzeugen durch Verdecken des Sichtfeldes.
Vorteile der interaktiven Shutterbrille
Durch ihre kontextsensitiven Sensoren passt sich die interaktive Shutterbrille an das Bewegungsniveau des Nutzers an und kann sogar beim Sport getragen werden. Die Technik ist erstmals kindgerecht und bietet eine schlüssige Lösung für das Problem der oft schlechten Akzeptanz der heutigen Therapien. Prof. Dr. med Kai Januschowski berichtet: „Die Entwicklung einer sensorgestützten Shutterbrille ist weltweit ein einzigartiges Projekt. Die moderne Technologie für die Zielgruppe Kinder und Jugendliche könnte sogar potentiell eine Option für Erwachsene darstellen“. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass die Shutterbrille dem Arzt fortlaufend Daten für das Monitoring liefern kann und damit den Therapieplan sinnvoll unterstützt. Nach Auswerten aller Sensordaten gibt die Brille dem Träger pro Tag ein kindgerechtes Feedback. Zudem können Eltern mittels einer App Okklusionszeiten und Trageverhalten beobachten.
Herausforderung: Therapieadhärenz signifikant erhöhen
Die Robustheit und Zuverlässigkeit des Feedbackmechanismus und die kontextsensitive Interaktion sind ein wesentlicher Aspekt im Hinblick auf die Therapieadhärenz. Dr. med. Annekatrin Rickmann erklärt: „Die eigentliche Herausforderung in der Therapie besteht darin, dass die Therapieadhärenz mit den gängigen Verfahren nicht objektiv überprüfbar ist und die Behandlung dadurch versagen kann“. Insbesondere beim Verdecken des gut sehenden Auges mit einem unbequemen, entstellenden und daher vom Kind schlecht akzeptierten Klebepflaster ist dies der Fall. Selbst mit den aktuell gängigen „einfachen“ Shutterbrillen ist die Therapieadhärenz häufig unzureichend, weshalb unnötig viele Therapien ihr Ziel verfehlen. Prof. Januschowski erklärt: „Mit unseren interdisziplinären Aktivitäten wollen wir hier in Sulzbach bessere Voraussetzungen bei der Therapie der Amblyopie schaffen. Wir haben hier sehr gut e Strukturen und ein Expertenteam aufgebaut, um die schnelle und effiziente Umsetzung der präklinischen Forschung in die klinische Behandlung der Schwachsichtigkeit umsetzen zu können“. Dazu zählt auch die enge Anbindung an die Sehschule der Augenklinik. Hier bieten speziell geschulte Orthoptistinnen und erfahrene Operateure die komplette Bandbreite für die Behandlung von Augenfehlstellungen oder anderen Augenbewegungsstörungen an. Am Standort Sulzbach greift damit alles Wichtige stimmig ineinander: Der translationale, bereichsübergreifende Ansatz in enger Zusammenarbeit mit den Experten der Sehschule sowie den Operateuren.
Vernetzung gewährleistet reife Technologie
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Kooperationsprojekt zwischen der Augenklinik Sulzbach, dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) und dem Medizintechnologieunternehmen Novidion. René Jaquett, Betriebsleiter der Novidion, erläutert: „Mit Hinblick auf den tradierten und nur unzureichend abgedeckten therapeutischen Markt, den zu erwartenden medizinischen Nutzen und das erhebliche Einsparpotential für die Krankenkassen betrachtet die Novidion GmbH das InsisT-Projekt als zukunftsweisend für die Behandlung von Amblyopie.“ Das Projekt beinhaltet die Entwicklung eines interaktiven Medizingeräts mit direkt am Körper getragenen Sensoren und Aktoren. Seit April 2017 läuft die technische Entwicklung der Brille und ist auf drei Jahre ausgelegt. Dann steht ein erster Demonstrator bereit, der in einer Studie getestet werden soll. Dr. Thomas Velten vom Fraunhofer IBMT sagt: „Wir erwarten, dass die Tür aufgestoßen wird für eine viel praxistauglichere Therapieoption zur Behandlung der Amblyopie. Damit erreichen wir auch Patienten, die sich heute der Therapie verweigern“.
Quelle:
Knappschaftsklinikum Saar GmbH
http://www.kksaar.de