Zur Tandem-Tour 2008 der Pro Retina e.V. nach Rom

„Benedetto, wir kommen!“
Um europaweit auf die Problemstellungen für sehbehinderte und blinde Menschen aufmerksam zu machen, veranstaltete die Selbsthilfevereinigung von Menschen mit Netzhautdegeneration Pro Retina Deutschland e.V. bereits zum zehnten Mal eine Tandem-Tour: Mit Tandem-Rädern begaben sich rund 60 blinde, sehbehinderte und sehende Fahrer Mitte September in Mainz gemeinsam auf die Reise und erreichten zehn Tage und 1.500 Kilometer später Rom. Die diesjährige Jubiläumsfahrt endete mit einer Generalaudienz bei Papst Benedikt XVI., bei der Vertreter der Pro Retina eine AMD-Patientencharta überreichten. Ute Palm fasst die Eindrücke zusammen.

Rom, Vatikanstadt, 23. September, kurz nach 15.00 Uhr ist es geschafft: Strahlender Sonnenschein begleitet die rund 60 Tandem-Fahrer der Pro Retina Deutschland e.V. und ihren Tross auf den letzten Metern der 1.500 Kilometer langen Pilgerfahrt von Mainz bis hierher in die Heilige Stadt, vor den Sitz der Vatikan-Verwaltung, gleich hinter der überwältigenden Silhouette des Petersdoms. Selbst der aus Deutschland nachgereiste Fan-Klub durfte unter den strengen Augen der Schweizer Garde die Tore passieren und innerhalb des für „Normalsterbliche“ nicht zugänglichen Bereichs des Vatikans den Hügel hinaufgehen zum Empfang der sportlichen Radfahrer aus Deutschland. Und hier wurden die Pedal-Helden lautstark begrüßt, bevor Repräsentanten des Vatikans die Fahrerinnen und Fahrer fröhlich, aber ein wenig gedämpfter in Empfang nahmen.

Zehn anstrenge Tage lagen hinter den Radlern, die am 13. September in Mainz von Weihbischof Dr. Werner Guballa auf ihre Pilgertour verabschiedet worden waren. Einige von ihnen hatten noch mehr Kilometer „in den Beinen“. So der erblindete Kurt Schorn aus Aachen, der mit seinem Studienfreund und Augenoptiker bereits am 11. September in Aachen „nach großem Bahnhof“ verabschiedet worden war und über Koblenz nach Mainz zusätzliche 250 Kilometer „gepackt“ hatte. Nervös sei er gewesen, so gestand er, als er aus dem Schatten des Aachener Doms auf die Pilgerfahrt verabschiedet wurde. Jedes an der Tour teilnehmende Tandem hatte einen politischen Paten. Und die Aachener Patin, die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, hatte es sich nicht nehmen lassen, „ihre Männer“ persönlich auf die Reise zu schicken. Nach dem kirchlichen Segen durch den Dom-Pfarrer und das traditionelle Pilgerlied, auf dem Pilgerhorn geblasen vom Aachener Blindenpfarrer, war es dann endlich „an die Arbeit“ gegangen. Begleitet, wie auch später immer wieder, von begeisterten Sportlern, die frühzeitig von der Tandem-Tour in ihren Kreisen oder Städten gehört hatten.

Tandems aus sechs Nationen hatten sich in Mainz versammelt, von wo sie auch hier wieder mit kirchlichem Segen vor dem Mainzer Dom auf die 1.500 Kilometer lange Strecke verabschiedet wurden, die in zehn Tagen zu bewältigen war. Die Tandems, kostbare, über 10.000 Euro teure Sportmaschinen, waren von Sponsoren bereitgestellt und ausgeliehen worden. „Nur treten musste man noch“, meinte ein Teilnehmer, „aber das ausgiebig und auch schnell, um die Etappen zu schaffen“. Tandems haben bekanntlich keinen Motor und so mussten die Pilger in den Alpen mächtig in die Pedalen treten, um die rund 10.500 Höhenmeter zwischen Mainz und Rom zu überwinden. Eine Knochenarbeit bei niedrigen Temperaturen und zeitweisem Regen.

Ein Highlight auf der Fahrt war eine Tandem-Ehrenrunde auf der Ferrari-Teststrecke von Maranello, auf der sonst nur die roten Boliden mit 300 Sachen entlangdonnern. Aber auch die Kurvenfahrten, die Ortsdurchfahrten, die vielen kleinen und großen Ereignisse haben diese Pilgertour für die Teilnehmer zu einem Erlebnis werden lassen, dass sie sicher nicht mehr vergessen werden. Was denn die wichtigsten Erlebnisse einer solchen Fahrt seien, wollte eine junge Mitarbeiterin von Radio Vatikan wissen. Der fantastische Zusammenhalt, so kam es spontan und übereinstimmend zurück, das Gemeinschaftsgefühl, das Erlebnis, etwas geschafft zu haben trotz körperlicher Einschränkung. Und die Einfahrt hier in Rom, am Ziel zu sein, schwärmten zwei Teilnehmerinnen tief bewegt, Emotion pur.

Einige der Tandem-Teams hatten sich erst kurz vor der Fahrt kennengelernt. Da war Abstimmung gefordert. „Passt mein Kopilot in einer Kurve nicht auf“, erklärte ein Pilot, „liegt er neben dem Tandem“. „Fahr ich in einem der kleinen Orte über eine Bahnschwelle“, lacht der nächste, „dann sollte mein Hintermann möglichst nicht die Wasserflasche zwischen den Zähnen halten“. Einige Hautabschürfungen sind zu sehen, aber ernsthafte Unfälle, wie sie gerade bei den rasenden Abfahrten durchaus denkbar sind, waren offensichtlich ausgeblieben. Alle waren angekommen, waren am Ziel. Jetzt, zwischen Verwaltungssitz des Vatikans und dem Petersdom, zwischen Vatikan-Bahnhof und Vatikan-Apotheke, von der Sonne wärmend beschienen und von hoch oben von der Kuppel des Petersdoms von Touristen bestaunt, war alle Mühsal vergessen, zählte nur das Geleistete. Und dies würdigte Bischof Clemens in seiner fröhlich lockeren Begrüßung und stimmte die Pilger auf das morgige große Erlebnis ein, die Generalaudienz bei Papst Benedikt XVI. Vor diesem „Ausnahmetermin“ aber gab es noch ein anderes Erlebnis: im Hotel Terreno ein gemeinsames Abendessen der Sportler mit ihrem Tross und dem Fan-Klub. Die gelöste Stimmung ließ Lautstärke und Gestik auf ein Niveau anschwellen, das Italiener ihren „teutonischen Gästen“ wohl kaum zugemutet hätten.

Am Tag der Generalaudienz blieben die Tandems „im Stall“. Mit Bus oder Taxi wären es vom Hotel bis zum Vatikan nur Minuten gewesen. Zu profan für die Alpen-Bezwinger. Es ging hinab in die Katakomben Roms, sie genossen das Erlebnis einer Metro-Fahrt – und sie kamen tatsächlich wieder alle an. Bei herrlichem Wetter erlebten die rund 130 Pilger einen zutiefst beeindruckenden Vormittag, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Gekrönt wurde das Erlebnis durch eine Privataudienz für einige der Teilnehmer, die Papst Benedikt als Gastgeschenk eine Lupe überreichten und die „Charta für die Rechte der Patienten mit Makuladegenerationen“. Hintergrund dieser Charta (s. Homepage der Pro Retina) ist die quälende Diskussion der letzten Monate über die unterschiedlichste Handhabung je nach Land, Bundesland und Krankenkasse bei der Finanzierung einer effizienten Therapie zur Verhütung von Blindheit bei der feuchten Altersabhängigen Makuladegeneration (AMD).

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Horst Schwerger, Verantwortlicher der Tandem-Tour, und Gerda Weyhreter überreichen Papst Benedikt XVI. eine lupe und die AMD-Patientencharta.

Noch am selben Abend berichtete Radio Vatikan von der Pilgerfahrt. Die offensichtlich von den Teilnehmern der Tandem-Tour stark beeindruckte junge Redakteurin sprach von der Kraft und Energie der sehbehinderten und blinden Radler, „wenn man sie denn mit auf den Weg nimmt“. Und weiter: „Diese Begegnung wird allen Beteiligten Mut und Ausdauer geben, weiter zu gehen auf ihrem Weg der aktiven Selbsthilfe.“ Ein Kamerateam des Südwestfunks hat die Tandem-Tour 2008 begleitet und einen Bericht hierüber am 6. Oktober gesendet. Der Beitrag von Radio Vatikan vom 24. September hat die PRO RETINA auf ihrer Homepage eingestellt: http://www.pro-retina.de

Patienten-Charta
Die „Charta für die Rechte der Patienten mit Makuladegenerationen“ wurde von Patienten für Patienten geschrieben und soll wegweisend für die Lebensgestaltung sein. Die Charta umfasst vier Grundsätze. Ecksteine sind Prävention und Therapie, frühzeitige Diagnose, unbürokratischer Zugang zu erprobten Therapien und umfassende Versorgung und Unterstützung. Ein besonders aktuelles Anliegen gilt der als belastend empfundenen, lang anhaltenden Diskussion und unterschiedlichen Handhabung bei der Finanzierung einer effizienten Therapie bei feuchter AMD.

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