Zum Urteil des OLG Celle
Brillenabgabe in der Augenarztpraxis
Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Celle, nach dem die Abgabe von Brillen in der Augenarztpraxis zulässig ist, hat für viel Furore gesorgt. Durch das Urteil vom 21.12.2006 (Az.13 U 118/06) war ein vom Landgericht Hannover gegen den Augenarzt Dr. Claus Hervatin verhängtes Verbot, Brillen zu verkaufen, wieder aufgehoben worden. Das OLG Celle hatte seiner Berufung statt gegeben. DER AUGENSPIEGEL sprach mit ihm über seine Motive und befragte Dr. Uwe Kraffel als BVA-Vorsitzenden über die Haltung des Berufsverbandes zur Brillenabgabe. Seine kritische Gegenposition begründet Dr. Werner D. Bockelmann in dem abschließend geführten Gespräch.
Dr. Claus Hervatin, Laatzen, wurde von der Wettbewerbszentrale verklagt, weil er in seiner Praxis Brillen an seine Patienten verkaufte. Er gewann diesen Prozess vor dem OLG Celle:
DER AUGENSPIEGEL:
Herr Dr. Hervatin, warum verkaufen Sie Brillen in Ihrer Praxis?
Dr. Claus Hervatin:
Das ist nicht generell der Fall und das ist auch nicht mein Haupttätigkeitsbereich. Aber ich habe die Möglichkeit, in ausgesuchten Fällen Brillen anzupassen. Das mache ich, weil dies bei manchen Patienten medizinisch notwendig ist.
DER AUGENSPIEGEL:
Was für einen medizinischen Grund gibt es, der das erfordert?
Dr. Claus Hervatin:
Es gibt eine Reihe sachlicher und medizinisch notwendiger Gründe. Das sind die Fälle, bei denen man sehr viel mehr berücksichtigen muss, als man über ein schlichtes Rezept vermitteln kann.
DER AUGENSPIEGEL:
Könnte man das nicht zusätzlich zur Verordnung in einem oder zwei Telefonaten mit dem Augenoptiker nach der Wahl Ihres Patienten auch klären?
Dr. Claus Hervatin:
Grundsätzlich, ja. Aber das entzieht sich häufig meiner Kontrolle, denn so oft wird deshalb nicht telefoniert. Der Patient weiß nicht unbedingt sofort, zu welchem Augenoptiker er gehen wird, der Augenarzt weiß auch nicht, wann der Patient das Rezept einlöst und wer die Brille letztlich anfertigt. Das nachzuhalten sprengt den Rahmen einer Praxis. Dafür habe ich täglich viel zu viele Patienten.
DER AUGENSPIEGEL:
Bis ein Augenoptiker einen Meisterbrief aufhängen kann, vergehen ein paar Jahre mit sehr intensiver Aus- und Fortbildung. Was gibt es für Probleme, die Sie einem Augenoptiker nicht erklären können?
Dr. Claus Hervatin:
Dieser Dialog findet leider nur sehr selten statt.
DER AUGENSPIEGEL:
Das ist ein reines zwischenmenschliches Problem.
Dr. Claus Hervatin:
Wie gesagt, das ist auch ein organisatorisches Problem. Aber dazu kommen noch andere Aspekte wie das Vermeiden von Wegen bei gehbehinderten Patienten oder schlechte Erfahrungen, die der Patient mit anderen Anbietern hatte. Wesentlich bei dieser Betrachtung ist auch, dass der Augenoptiker ebenfalls eine subjektive Refraktion durchführt, nach deren Ergebnis dann die Brille angefertigt wird – ohne Rückruf. Das war genau der Punkt des Urteils von Celle: In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass der Augenoptiker Brillengläser auswählt, die aus medizinischer Sicht hinter der für den Patienten optimalen Therapie der Fehlsichtigkeit zurück bleiben und dann zu vermeidbaren Komplikationen führen kann.
DER AUGENSPIEGEL:
Sehen wir von pathologischen Gründen einer Fehlsichtigkeit ab, dann dreht sich beim erwachsenen Menschen alles um einen Fehler im Längenbau des Auges. Es ist entweder zu lang oder zu kurz geraten. Wie wollen Sie in solch einer simplen Myopie oder Hyperopie mit Brillengläsern therapieren?
Dr. Claus Hervatin:
Sie vergessen dabei, eine Brille als solche ist zwar ein medizinisches Hilfsmittel, aber doch eine Therapie.
DER AUGENSPIEGEL:
Wenn ich kurzsichtig bin, dann bleibe ich kurzsichtig, ob ich eine Brille trage oder nicht. Die Frage ist doch nur wie gut ich sehen möchte.
Dr. Claus Hervatin:
Wenn Sie zum Beispiel -10 dpt brauchen, um in der Ferne scharf zu sehen und ich Ihnen diese Brille wegnehme, dann sehen Sie nichts mehr. Setze ich sie Ihnen wieder auf, können Sie scharf sehen. Das ist eine Therapie! Wenn wir Ärzte einem Patienten etwas geben, um einen Zustand zu lindern, dann ist das eine Therapie.
DER AUGENSPIEGEL:
Bieten Sie Ihren Patienten aktiv an, dass sie sich in Ihrer Praxis Brillen aussuchen können?
Dr. Claus Hervatin: Nein, ich biete sie aktiv nicht an. Vielmehr kläre ich im Gespräch den Bedarf. Das heißt, ich überprüfe die ophthalmologischen Grundvoraussetzungen, den Bedarf an neuen Gläsern und schließlich kommt es sehr darauf an, was der Patient berichtet über seine bisherigen Erfahrungen mit seiner Brille. In den daraus erkennbaren Spezialfällen biete ich ihnen zur Vermeidung weiterer Komplikationen an, die neue Brille bei mir ausmessen zu lassen. Die freie Wahl dazu hat ausschließlich der Patient.
DER AUGENSPIEGEL:
Die Wettbewerbszentrale hat dem Gericht bestimmte Fälle vorgelegt, mit denen man Ihnen nachweisen wollte, dass Sie ganz anders handeln als gerade beschrieben.
Dr. Claus Hervatin:
Nein! Die Wettbewerbszentrale hat keinen einzigen Fall vorbringen können, um dieses Prozedere zu widerlegen. Im Gegenteil, ich habe Patienten beispielhaft angeführt, bei denen ich aus medizinischen Gründen so verfahren habe, die
Brille durch mich zu vermitteln.
DER AUGENSPIEGEL:
Wie viele Brillen haben Sie denn im vergangenen Jahr auf diese Weise abgegeben?
Dr. Claus Hervatin:
Das sind Zahlen, über die ich mich zu diesem Zeitpunkt des laufenden Verfahrens nicht äußern möchte – es soll ja Beschwerde gegen die Verweigerung der Berufung zum BGH eingelegt werden.
DER AUGENSPIEGEL:
Geben Sie eine Größenordnung in Prozent.
Dr. Claus Hervatin:
Das habe ich nie nachgerechnet, habe nicht einmal ein Gefühl dafür. Die Stückzahlen sind unendlich gering.
DER AUGENSPIEGEL:
Unter fünf Prozent?
Dr. Claus Hervatin:
Weit darunter, nicht mal ein Prozent.
DER AUGENSPIEGEL:
Sie haben das Verfahren gewonnen, die Augenoptiker überschütten Sie symbolisch mit allem Dreck. So ein Verfahren bringt auch eine psychologische Belastung…
Dr. Claus Hervatin:
Nicht bei mir, ich bin ein Karatekämpfer.
DER AUGENSPIEGEL:
Nehmen Sie das Urteil als Freibrief und sagen jetzt, alle Brillen nur noch von mir?
Dr. Claus Hervatin:
Nein, um Gottes Willen! Ich verstehe gar nicht, warum die Augenoptiker gegen etwas klagen, was ihnen selbst nutzen würde. Denn jeder Augenarzt, der das Urteil umsetzen möchte, braucht weiterhin einen Augenoptiker als Kooperationspartner. Im Grunde könnten die Augenoptiker sogar froh darüber sein, dass der Augenarzt sie vor den komplizierten und beratungsaufwändigen Problemfällen bewahrt. Viel wichtiger als dieser Streit wäre doch, den Schulterschluss zu üben, um gegen den Verkauf von Brillen und Kontaktlinsen in Supermärkten oder im Internet vorzugehen. Inzwischen ist doch die Kluft zwischen den Berufsverbänden gerichtlich zementiert, wohingegen das Verhältnis an der Basis durchweg sehr positiv und von gegenseitigem Respekt geprägt ist.
DER AUGENSPIEGEL:
Wo und wie haben Sie denn die Brillenanpassung gelernt?
Dr. Claus Hervatin:
Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Ausbildung. Auch nach dem Sieg vor dem OLG in Celle bleibt mein Beruf Augenarzt. Ich bin kein Augenoptiker im weißen Kittel.
DER AUGENSPIEGEL:
Auch die wenigen Brillen, die Sie in Ihrer Praxis abgeben, müssen korrekt angepasst werden. Der Augenoptiker braucht viele Jahre der Ausbildung, um das zu lernen. Wie lernen Sie das?
Dr. Claus Hervatin:
Ich habe dazu mit meinen Helferinnen einen Kurs bei einem Augenoptiker belegt, um das zu lernen.
DER AUGENSPIEGEL: Herr Dr. Hervatin, wir bedanken uns für das Gespräch.
Dr. Uwe Kraffel, Berlin, 1. Vorsitzender des Berufsverbandes der Augenärzte (BVA):
DER AUGENSPIEGEL:
Wird es jetzt eine Massenbewegung der Augenärzte geben, in der eigenen Praxis Brillen zu verkaufen?
Dr. Uwe Kraffel:
Nein, das glaube ich nicht. Die wenigen Kollegen, die das bisher machen, haben nur eine sehr begrenzte Anzahl an Brillenfassungen vorliegen. Sehen Sie, der Normalverbraucher, der auch einen hohen kosmetischen Anspruch an eine Brille stellt, kann bei der Auswahl der modischen Attribute durchaus Stunden verbringen. Das sind doch nicht die Kunden dieser Kollegen. Dort geht es um einzelne Patienten, die den Weg zum Augenoptiker nicht zurücklegen wollen oder können, oder aus einem anderen Grund direkt versorgt werden sollen. Deshalb wird das immer ein Nischengeschäft bleiben. Ob es mal in der Zukunft eine sektorenübergreifende Versorgung geben mag, die dann natürlich nicht mit einem Tisch oder einem Ständer in der Praxis abgetan ist, sondern in einer wie auch immer gearteten Kooperation…
DER AUGENSPIEGEL:
In den USA geben Augenärzte ganz selbstverständlich Brillen ab.
Dr. Uwe Kraffel: Ja, darauf wollte ich mich beziehen. Ich denke schon, dass es in Zukunft auch bei uns eine ähnliche Entwicklung geben wird. Das wird berufspolitisch eine Entwicklung, die die strengen Hürden beseitigt. Ich denke aber, dass es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet nicht die Bedeutung haben wird, die man aus Wehklagen und Kriegsgeschrei der beteiligten Seiten ableiten kann.
DER AUGENSPIEGEL:
Der Zentralverband der Augenoptiker (ZVA) wirft Ihren Kollegen vor, sie klauten den Augenoptikern auch noch die letzten Reste ihres Berufes. Ist das Durchsetzen der Abgabe von Brillen eine Retourkutsche auf die Prozesse der Augenoptiker um Screening, Refraktionieren und Anpassen von Kontaktlinsen? Handeln Sie nach der alten biblischen Devise: Wie du mir, so ich dir?
Dr. Uwe Kraffel:
Sicherlich ist die Retourkutsche ein Thema, das muss man ganz klar sagen. Das können Sie bösartig auslegen, man kann es aber auch in die Zukunft sehend betrachten: Ich denke, es wird eine Entwicklung geben, bei der das Sitzen auf alten und morschen Burgen, durch tiefe Wassergräben getrennt, in einem gewissen Ausmaß verwischt wird. Es wird also eine gegenseitige stärkere Durchdringung geben. Keine Frage: Der ZVA hat über Jahre hinweg eine Politik betrieben in die Richtung, das Tätigkeitsgebiet der Augenoptiker in die Augenheilkunde zu verlagern. Damit hat er auch Terrain aufgegeben. Das halte ich unter Marketinggesichtspunkten für einen eminenten Fehler des ZVA. Denn die Kernkompetenz des Augenoptikers als Handwerker in seinem Handwerksbetrieb ist durch diese Politik verloren gegangen.
DER AUGENSPIEGEL:
Wo hat ein Augenarzt denn gelernt, Brillen anzupassen? Kann er das denn überhaupt? Augenoptiker müssen dafür schließlich jahrelang lernen.
Dr. Uwe Kraffel:
Die Beurteilung des Sitzes von Brillen gehört zur Ausbildung eines Augenarztes wie auch das Wissen wie man Brillengläser und ihre Zentrierung kontrollieren muss. Das ist eine Tätigkeit, die sehr viel stärker als früher in den Blickpunkt unserer Praxen gerückt ist. Es ist eine Binsenweisheit, dass besonders durch die Abgabe vorgerandeter Brillen, aber auch durch Kettenbetriebe und die Veränderungen durch neue Glasmaterialien unsere Patienten immer öfter Probleme mit dezentrierten Brillen haben. Deshalb müssen wir in den Praxen immer stärker die Zentrierung von Brillen kontrollieren.
DER AUGENSPIEGEL:
Was halten Sie davon, dass der ZVA propagiert, in Zukunft die Ausbildung der Augenoptiker nur noch in Fachhochschulen vorzunehmen und den Meistertitel abzuschaffen? Das bedeutet weniger handwerkliche Fähigkeiten und stattdessen Ausweiten der Ausbildung bis hin an den Rand zur Ausschlussdiagnose, wie der ZVA-Vorsitzende Thomas Nosch in einem gerade veröffentlichten Interview bekräftigte. Dazu zählt er zum Beispiel Kinder- und Verkehrsoptometrie.
Dr. Uwe Kraffel:
Das ist nicht mein Beruf. Und doch halte ich diese Bestrebungen für einen sehr großen Fehler, die Kernkompetenz des Fachs aufzugeben, in der Hoffnung, auf einem Gebiet tätig werden zu können, bei dem man immer nur der Zweitbeste sein kann. Das ist doch genau das Problem, das denjenigen Kollegen zu Recht vorgeworfen wird, die Brillen anpassen, fertigen lassen und dann abgeben! Sie sind auf einem Gebiet aktiv, auf dem ihnen die originäre Kompetenz fehlt. Im Umkehrschluss: Das soll besser sein, wenn ein Augenoptiker hingeht und auf einem Gebiet aktiv wird, auf dem der Augenarzt sehr viel kompetenter ist? Was ist das denn für ein Bild, wenn ich als Augenoptiker den Augeninnendruck messe? Zuvor jedoch muss ich dem Kunden sagen, dass ich ihm später zwar einen Zahlenwert nennen, zu dessen Bedeutung aber nichts sagen kann und darf. Das bedeutet doch, der Augenoptiker signalisiert seinem Kunden von vornherein: „Ich weiß doch gar nicht, was ich da eigentlich tue!“ Ich frage Sie: Ist das ausgewiesene Kompetenz? Dagegen war die Kompetenz des Augenoptikers doch eigentlich, mit den Materialien der Brille etwas zu erstellen.
DER AUGENSPIEGEL:
In den englischsprachigen Ländern gibt es aber genau diese Version und die entsprechenden Kompetenzen des dort Optometrist genannten Augenoptikers. Dort ist der Optometrist die Eingangsstufe für eine mögliche klinische Behandlung eines Patienten.
Dr. Uwe Kraffel:
Dort haben wir ein völlig anderes System. In diesen Ländern wird man zunächst gar nicht von Ärzten behandelt, sondern von Arzthelferinnen. Das kann man aber nicht mit uns vergleichen. Die Situation in Amerika oder Australien, wo der nächste Augenarzt in 400 Meilen Entfernung sitzt, ist völlig anders als in Deutschland, wo es schon in 400 Metern den nächsten Augenarzt gibt. Und glauben Sie mir, der kann die Doktorspiele sehr viel besser als jeder Augenoptiker.
DER AUGENSPIEGEL: Herr Dr. Kraffel, wir bedanken uns für das Gespräch.
Dr. Werner D. Bockelmann, Frankfurt, ist 1971 aus dem BVA ausgetreten, weil er gegen die Brillenabgabe durch Augenärzte war:
DER AUGENSPIEGEL:
Herr Dr. Bockelmann, wie beurteilen Sie das Celler Urteil?
Dr. Werner D. Bockelmann:
Das ist ein Weg raus aus der Medizin und rein in den Kommerz. Das halte ich nicht für richtig. Ich bin 1971 aus dem Berufsverband ausgetreten als Kollege Freigang in Nürnberg ein Geschäft eröffnete und Anteile davon in einer Größenordnung von DM 10.000 an Augenärzte verkaufte. Ich sehe mich nicht als Kaufmann, sondern als Mediziner. Deshalb möchte ich auch zukünftig außerhalb kommerzieller Überlegungen stehen.
DER AUGENSPIEGEL:
In der Zwischenzeit hat sich aber doch vieles geändert. Könnte sich heute nicht der Standpunkt eines Augenarztes geändert haben?
Dr. Werner D. Bockelmann:
Ich glaube, hier gibt es eine grundsätzliche Veränderung im gesamten Weltbild. Heute wird alles anders gesehen. Aber das Primäre eines Arztes ist doch zu helfen und nicht, etwas zu verkaufen. Das Verkaufen mag eine Schiene sein zum Überleben, es mag in Zukunft vielleicht auch öfters üblich werden, aber ich persönlich lehne das ab. Im medizinischen Bereich möchte ich nicht als Verkäufer tätig sein, ebenso wenig liegt mir das in Mode gekommene Rühren der Werbetrommel.
DER AUGENSPIEGEL:
Kann denn ein Augenarzt Brillen anpassen und abgeben, um den Begriff des Verkaufens einmal auszublenden?
Dr. Werner D. Bockelmann:
Anpassen beginnt mit der Bestimmung des optimalen Augenglases. Und da wird man mir kaum widersprechen können, dass die Augenoptiker uns Augenärzten im Wissen weit überlegen sind. Sie haben schließlich eine jahrelange Ausbildung hinter sich gebracht. Bei uns gibt es den Schober-Kurs, der sicher hervorragend ist. Aber für eine richtige Messung reicht das nicht wirklich. Da sollte man auch mal in Schobers Buch „Das Sehen“ schauen und Diepes’ „Refraktionsbestimmung“ lesen. Sie sprechen die Anpassung einer Brille an. Ich habe zu Beginn meiner augenärztlichen Praxis in der Werkstatt eines Augenoptikers gearbeitet, um mich in dessen Tätigkeit fortzubilden. Die Mehrzahl der Augenärzte dagegen hat die Brillenoptik insgesamt viel zu lange links liegen lassen, weil sie nicht wichtig genug war.
DER AUGENSPIEGEL:
Ein Argument in der gesamten berufspolitischen Auseinandersetzung beider Berufsstände wird immer wieder angeführt: dass Augenoptiker versuchen in die Domäne der Augenärzte einzudringen, zum Beispiel durch das Screening.
Dr. Werner D. Bockelmann:
Nun, das gilt doch für beide Berufsstände. Das ist eine Entwicklung, die sich nicht verhindern lässt.
DER AUGENSPIEGEL:
Der ZVA sagt, die jungen Augenoptiker sollen besser und an Fachhochschulen ausgebildet werden – damit sie das, was sie im Augenhintergrund sehen, auch in gewisser Weise beurteilen können.
Dr. Werner D. Bockelmann: Ich glaube kaum, dass eine solche Ausbildung ausreicht. Denn zur medizinischen Ausbildung gehört ein bisschen mehr als ein Kursus innerhalb eines Semesters. Dazu gehört doch ein tieferes Wissen über Physik, Chemie, Physiologie, Anatomie und Pathologie – so schnell lässt sich das nicht erlernen. Immerhin ist es zu begrüßen, wenn Augenoptiker einen höheren Kenntnisstand anstreben.
DER AUGENSPIEGEL:
Aus dem englischsprachigen Raum kennen wir doch die Eingangsstufe des Optometristen, der Erstuntersuchung und Überweisung tatsächlich vornimmt.
Dr. Werner D. Bockelmann:
Das ist dort grundsätzlich anders gewachsen als bei uns in Zentraleuropa. Bei uns gab es immer eine klare Trennung zwischen der Medizin und der Optik als Handwerk. Und wenn ich dieses Urteil aus Celle lese, dass der Augenarzt die Brille ausmisst, den Patienten mit dem Rezept und der Angabe von PD, HSA und der Bügellänge zu einem Augenoptiker schickt, um anschließend auch noch den Sitz der Brille zu prüfen, dann ist dieses Verhalten für den Augenoptiker recht degradierend. Denn der hat doch sein Handwerk gelernt. Ich unterstelle mal positiv, ein Augenarzt könne die Bestimmung des Brillenglases gleichwertig zu der eines Augenoptikers durchführen. Dann sollte er von dem Rest der Arbeiten, die bis zur Abgabe einer Brille notwendig sind, seine Finger lassen. Doch viele Kollegen dürfte das ohnehin nicht betreffen.
DER AUGENSPIEGEL: Herr Dr. Bockelmann, wir bedanken uns für das Gespräch.