Viele Tierversuche in der Augenheilkunde verzichtbar

Experten halten viele Tierversuche in der Augenheilkunde für überflüssig. Stattdessen könnten viele neue Medikamente an Netzhäuten geschlachteter Rinder und Schweine erprobt werden. Inwieweit Experimente an Mäusen, Ratten und Kaninchen verzichtbar sind und welche Alternativen infrage kommen, diskutieren Experten auf dem 113. Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), dern vom 1. bis 4. Oktober 2015 in Berlin tagt.

In der Medizinforschung greifen Wissenschaftler zunächst auf Zellkulturen zurück, um ein neues Medikament zu erproben. Ist die Testung erfolgreich, folgen Versuche an Tieren. Zu diesem Zweck werden in der Augenheilkunde weltweit jährlich 250.000 Labortiere benötigt. „In vielen Fällen könnten unserer Auffassung nach alternative Methoden zum Einsatz kommen“, sagt Professor Dr. med. Karl Ulrich Bartz-Schmidt, Kongress-Präsident und Ärztlicher Direktor der Universitäts-Augenklinik Tübingen. An seiner Klinik läuft derzeit ein Forschungprojekt, das solche Alternativen weiterentwickelt.

Besonders vielversprechend ist ein Modell, das mit den Netzhäuten geschlachteter Rinder und Schweine arbeitet. „Normalerweise würden die Augen von Schlachttieren entsorgt“, erklärt Privatdozent Dr. med. Kai Januschowski, der an dem Projekt federführend forscht. „Innerhalb von zwanzig Minuten nach dem Schlachten können wir die Netzhäute unter abgedunkelten Bedingungen so entnehmen, dass sie funktionstüchtig bleiben.“ Anschließend lagert das empfindliche Gewebe in einer speziellen Dunkelkammer in einer Nährlösung. Derart erhalten, können die Forscher die Retina nun mit Lichtblitzen reizen, um Wirkung und Verträglichkeit neuer Substanzen zu testen. „Dabei nutzen wir die elektronischen Antworten auf den Lichtimpuls, sie zeigen uns die Reizverarbeitung und damit die Reaktion“, so Januschowski.

Die Tübinger Wissenschaftler sind von den Vorteilen dieses Tierersatzmodells überzeugt. „Ein Rinder- oder Schweineauge ist dem menschlichen Auge in Größe und Aufbau deutlich ähnlicher als das von Kaninchen oder Maus“, betont Januschowski. Hinzu kommt, dass es sich beim Auge um ein abgeschlossenes Organ handelt: Durch die Blut-Netzhautschranke haben viele Medikamente, die im und am Auge wirken, kaum Nebenwirkungen auf den restlichen Körper – somit ist häufig nicht nötig, die Wirkung der Arznei etwa noch auf Leber, Nieren oder Blutkreislauf zu überprüfen. „Insgesamt erhalten wir mit der retinalen Organkultur sogar wissenschaftlich bessere und genauere Antworten als im herkömmlichen Tierversuch“, resümiert Januschowski. Das Labortier werde damit vollständig ersetzt.

Das Tübinger Modell – ursprünglich von dem Kölner Physiologen Professor Dr. Werner Sickel entwickelt – ist besonders vielversprechend, weil speziell für Erkrankungen der Retina wie altersabhängige Makuladegeneration oder diabetische Retinopathie eine Vielzahl neuer Medikamente erprobt werden. Welche weiteren Alternativen sich zum Tierversuch anbieten, werden im Rahmen des 113. Kongress der DOG diskutiert.

Quelle:
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG)
www-dog.org

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