Tübingen: Interdisziplinäre Schulsprechstunde der Augenklinik
Bis Ende 2009 gab es an der Universitäts-Augenklinik eine viel genutzte, interdisziplinäre Schulsprechstunde für sehbehinderte Kinder, die unter anderem Beratungen zu Schulfragen und Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten anbot. Die Kindersprechstunde musste eingestellt werden, da vom Land keine Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Jetzt spenden der Rotary Club Reutlingen-Tübingen Nord und die Zeltwanger Holding GmbH Tübingen je 5.000 Euro, mit denen die Sprechstunde ab 11. Mai ihre Beratung wieder aufnehmen kann, teilte die Universität mit.
An der Sehbehindertenambulanz der Universitäts-Augenklinik Tübingen, die unter Leitung von Prof. Susanne Trauzettel-Klosinski steht, bestand mehrere Jahren eine interdisziplinäre Schulsprechstunde, die dazu diente, sehbehinderte Kinder sowohl aus medizinischer als auch aus pädagogischer Seite optimal auf ihren Bildungsweg vorzubereiten und auf diesem zu fördern. Diese musste eingestellt werden, da – nach ursprünglicher Anschubfinanzierung durch die Heidehof-Stiftung – vom Land keine Mittel dafür zur Verfügung gestellt wurden, heißte es seitens der Universität. Es sei eine gravierende Lücke bei der Versorgung sehbehinderter Kinder entstanden.
So funktioniert die interdisziplinäre Schulsprechstunde:
1. Augenärztliche und orthoptische Untersuchung im Beisein des Sonderschulpädagogen und der Eltern. Es wird eine ausführliche Diagnostik durchgeführt, das verbleibende Sehvermögen genau analysiert und aufgrund dieser Befunde folgt eine Hilfsmittelerprobung und Empfehlung.
2. Sonderpädagogische Abklärung vor Ort, d.h. die Abklärung der Voraussetzungen für eine/n bestimmten Schultyp/Schulklasse sowie des Hilfsmittelbedarfs unter ganz konkreten schulischen Bedingungen.
3. Interdisziplinäre Beratung mit allen Beteiligten: Das Kind, seine Eltern, die Sonderpädagogen und die Ärzte/Orthoptistinnen der Sehbehindertenambulanz. In diesem Gespräch haben die Eltern Gelegenheit, alle Fragen an die Beteiligten zu stellen. Ärzte und Sonderpädagogen können im Dialog die zu planenden Maßnahmen besprechen und am selben Tag zu einem Konsens bezüglich der weiteren Weichenstellung kommen.
Vorteile der Schulsprechstunde:
• Nutzung von interdisziplinärer Kompetenz
• Verbesserte Qualität der Beratung
• Effizienz der Maßnahmen
• Einvernehmliche Entscheidungen
• Schnelle Weichenstellung / kurze Wege
• Hohe Zufriedenheit der Patienten / Eltern sowie der Mitarbeiter
• Optimierung des Bildungsweges für das Kind.
Welche Kinder kommen in die Sprechstunde?
• 10-12 % aller Patienten der Sehbehindertenambulanz.
• Das durchschnittliche Alter betrug 12,6 Jahre.
• Die häufigsten Diagnosen sind: Erkrankungen des Sehnerven sowie degenerative (angeborene) Netzhauterkrankungen.
• Die durchschnittliche Sehschärfe mit bester Korrektur betrug ca. 17% (Grenze der Sehbehinderung nach WHO 30%), hierdurch ist das Lesen hochgradig beeinträchtigt.
• Das Wiedererlangen von Lesefähigkeit von Zeitungsdruck gelang bei ca. 30% der Kinder durch Annäherung des Textes, bei 50% waren optische Hilfsmittel wirkungsvoll, bei 20% waren elektronische Bildschirmlesegeräte erforderlich. Ferner wurden auch Hilfsmittel für die Ferne wie monokulare Fernrohre (32%) und andere verordnet.
Bewährt auch im Hinblick auf Kostenersparnis
Die Einrichtung der interdisziplinären Schulsprechstunde habee sich über viele Jahre zur Zufriedenheit aller Beteiligten bewährt, so die Universität. Außerdem sei durch das bestens geschulte Team eine optimale Versorgung auch im Hinblick auf Kostenersparnis erreicht worden, indem Fehlverordnungen durch eine solche Sprechstunde vermieden werden konnten.
Die Sprechstunde wurde in ihren letzten Jahren von einer Stiftung finanziert, mit der Vorgabe, dass im Anschluss das Kultusministerium eine institutionelle Förderung übernehmen solle. Dies sei leider nicht geschehen, so dass die Schulsprechstunde ohne Förderung Ende 2009 schließen musste.
Zwar sei die zusätzliche interdisziplinäre Beratung selbstverständlich keine Aufgabe der Krankenkasse, sondern ein Bildungsauftrag. Aber nach Ansicht der Universität verletze die Schließung der Sprechstunde auch den Gleichstellungsgrundsatz für Behinderte. Wie so oft, sei genau die Schnittstelle zwischen Medizin und Pädagogik nicht entsprechend abgedeckt und die Zuständigkeiten würden hin und her geschoben. Die Hoffnungen richteten sich nun auf die neue Landesregierung mit einer neuen Ausrichtung in der Bildungspolitik.
Hoffnung auf neue Impulse in der Bildungspolitik
Die Sehbehindertenambulanz der Universitäts-Augenklinik Tübingen ist eine sich vollständig selbst tragende Einrichtung, in der sämtliche Personalstellen selbst finanziert werden müssen. Dies bedeute, dass jede Sonderleistung auch eine zusätzliche Finanzierung erfordert.
Im Hinblick auf die geplante Intensivierung der Bildungsförderung auch der behinderten Kinder sei zu hoffen, dass vom Kultusministerium jetzt neue Impulse ausgingen und die Schulsprechstunde nach der Anschubfinanzierung durch den Rotary Club Reutlingen-Tübingen ihre Arbeit fortsetzen könne. Zur Weiterführung sei eine Summe von 30.000 Euro pro Jahr erforderlich. Unter Berücksichtigung des wesentlich höheren und in Zukunft auch steigenden Bedarfs wäre eine Summe von 50.000 Euro pro Jahr erforderlich – ein geringer Betrag für einen hohen Effekt, bewertet die Universität.
Quelle: Universität Tübingen