SARS-CoV 2 bei Myasthenia gravis-Patienten

Aktuell publizierte Registerdaten zeigen, dass Myasthenia gravis-Patientinnen und Patienten bei einer Infektion mit SARS-CoV 2 eine erhöhte Sterblichkeitsrate haben. Wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) mitteilt, könnten diese vorläufigen Ergebnisse aber einem Reporting-Bias geschuldet sein, keinesfalls sollten die Betroffenen aus Sorge vor schweren Verläufen eine effektive Immuntherapie abbrechen. Es gebe derzeit keine ausreichende Rationale, dass eine Immuntherapie per se zu einer höheren COVID-19-Sterblichkeit (oder auch Empfänglichkeit) führe.

Die Myasthenia gravis ist eine entzündliche neurologische Autoimmunerkrankung. Bei über der Hälfte der Patienten äußert sich die Muskelschwäche zunächst mit Ptosis oder auch Diplopie. Eine wesentliche Therapiesäule stellt die Immuntherapie dar, sie unterdrückt die Bildung der schädigenden Antikörper, ist aber nicht nebenwirkungsfrei und muss darüber hinaus dauerhaft eingenommen werden.

Eine internationale Arbeitsgruppe initiierte Anfang April ein Register (CARE-MG Register) und wertete die Krankheitsverläufe von SARS-CoV-2-positiven Myasthenia gravis-Patienten aus. Eine erste Zwischenauswertung der Daten bis zum 5. Oktober 2020 wurde jüngst publiziert. 91 Patienten waren bis dahin im Register erfasst und es zeigte sich, dass es bei 36 Patienten (40 Prozent) mit COVID-19 zu einer Verschlechterung der Myasthenia gravis oder sogar zu einer myasthenen Krise kam, die intensiviert behandelt werden musste. Auffällig war auch das schlechte Outcome von Patienten mit Myasthenia gravis, die an COVID-19 erkrankt waren: 24 Prozent waren verstorben und lediglich 43 Prozent vollständig genesen.

„Die COVID-19-Sterblichkeitsrate ist bei Myasthenia gravis-Patienten also deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung“, erklärt Prof. Heinz Wiendl, Direktor der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie an der Westfälischen Universität Münster. Dies sei zwar einerseits besorgniserregend, allerdings handele es sich bei den ausgewerteten Patienten nur um eine kleine Anzahl und die hohe Sterblichkeit könnte auch einem Reporting-Bias geschuldet sein, da oft vor allem die Problemfälle in Register eingepflegt würden.

Fast die Hälfte der Betroffenen erlitt vor dem Hintergrund der SARS-CoV-2-Infektion eine Verschlechterung der Autoimmunerkrankung, dies sei weniger überraschend: „Es ist bekannt, dass verschiedene Infektionskrankheiten die Myasthenia gravis verstärken, ebenso wie verschiedene Medikamente, die bei schweren COVID-19-Verläufen zum Einsatz kommen, wie Hydroxychloroquin oder Azithromycin.“ Ein Absetzen der Immuntherapie sei nach jetziger Datenlage nicht sinnvoll. „Die Viruserkrankung kann den Verlauf der Myasthenia gravis aggravieren, insbesondere natürlich, weil respiratorische Probleme auch mit neuromuskulärer Schwäche vergesellschaftet sein können. Die Immunsuppression abzubrechen, hieße allerdings hingegen, ein stabiles Schutzschild gegen die Autoimmunerkrankung aufzugeben und schwere Rückfälle in Kauf zu nehmen.“

Auch die Vorstellung, dass bei Unterbrechung der Immunsuppression der Körper widerstandsfähiger gegen SARS-CoV-2 würde und besser mit einer schweren COVID-19-Erkrankung umgehen könne, so auch nicht immer richtig. Bei größeren Kollektiven von immunsupprimierten MS-Patienten wurde beispielsweise kein generell erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe beobachtet. Manche Immuntherapien mildern schwere Verläufe sogar ab, teilweise wegen ihrer vermutet oder belegten antiviralen Wirkungen, so der Neurologe Wiendl.


S Muppidi, JT Guptill, S Jacob, Y Li, ME Farrugia, AC Guidon, JO Tavee, H Kaminski, JF Howard Jr, G Cutter, H Wiendl, MB Maas, I Illa, R Mantegazza, H Murai, K Utsugisawa, RJ Nowak and the CARE-MG Study Group. COVID-19-associated risks and effects in myasthenia gravis (CARE-MG). Published:December, 2020. DOI: https://doi.org/10.1016/S1474-4422(20)30413-0

Quelle: DGN

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