Molekulare Ursachen der Retinitis pigmentosa

Zwar sind inzwischen über 30 Gene identifiziert, deren Defekt eine Retinitis pigmentosa (RP) auslösen kann. Dennoch gibt es bislang keine medizinisch anerkannte Therapie, die das Fortschreiten verhindern kann. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen haben die Krankheit jetzt mit einem wichtigen molekularen Mechanismus in Verbindung gebracht, dessen grundlagenwissenschaftliche Erkenntnis für die Entwicklung von Therapimöglichkeiten bedeutsam sein kann.

Neuere Untersuchungen haben jetzt gezeigt, dass Retinitis pigmentosa mit Defekten in einem zentralen zellulären Vorgang zusammenhängt, dem so genannten prä-mRNA-Spleißen. In höheren Organismen ist die Mehrzahl der Gene auf der DNA im Zellkern mosaikartig verteilt: Zwischen wichtigen Genabschnitten, die für bestimmte Proteinbereiche kodieren (Exons), liegen Abschnitte, die keine Protein-kodierende Information tragen (Introns). Daher müssen aus einer prä-mRNA, der ersten Abschrift eines Gens, die im Zellkern angefertigt wird, die Introns herausgeschnitten und im gleichen Zuge die Exons zu einer kontinuierlichen, „reifen“ mRNA zusammengefügt werden – ein molekularer Prozess, den man als Spleißen bezeichnet. Diese reife mRNA kann dann aus dem Zellkern ausgeschleust und im Zytoplasma der Zelle als Bauanleitung für die Produktion von Proteinen verwendet werden. Das prä-mRNA-Spleißen wird von einer komplexen molekularen Maschinerie, dem Spleißosom, bewerkstelligt, das aus weit über 100 verschiedenen Protein- und RNA-Molekülen zusammengesetzt ist.

Gerade bei Patienten mit verschiedenen Formen von Retinitis pigmentosa sind nun in einer Reihe von Proteinbestandteilen des Spleißosoms Mutationen, also Veränderungen in der Abfolge der Aminosäurebausteine, gefunden worden. Das größte Protein im Spleißosom ist das so genannte Prp8. Prp8 unterhält Kontakte mit vielen anderen funktionell wichtigen Proteinen und RNA-Molekülen der Spleißmaschinerie und wird daher als eine Art Fundament des Spleißosoms angesehen. Bei einer besonders aggressiven Form der Retinitis pigmentosa, die als RP13 bezeichnet wird, finden sich eine Reihe von Punktmutationen, also Veränderungen einzelner Aminosäuren, in einer kurzen Region an einem Ende des Prp8-Proteins. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt konnten Wissenschaftler um Dr. Markus Wahl und Prof. Reinhard Lührmann vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie nun die atomare, dreidimensionale Struktur von diesem Teil des Prp8-Proteins mit dem Verfahren der Röntgenkristallographie aufklären (s. Abb.).

BildAbb.: Dreidimensionale Struktur eines Endstückes von Prp8. Der rote Bereich bezeichnet den Teil des Moleküls, der bei Patienten mit der RP13-Form von Retinitis pigmentosa verändert ist (Foto: Dr. Markus Wahl).

Die atomare Struktur des Proteins zeigte, dass alle Aminosäuren, die bei Patienten mit der RP13-Form von Retinitis pigmentosa verändert sind, in einem ausgedehnten Fortsatz am Ende von Prp8 liegen (s. Abb.). Mit einem weiteren gentechnischen Verfahren testeten die Wissenschaftler die Funktion dieses Fortsatzes. Wenn dieser Proteinbereich komplett entfernt wurde, war das Andocken von zwei anderen Proteinen des Spleißosoms an den untersuchten Teil von Prp8 unterbunden. Auch wenn einzelne Aminosäuren in einer Art und Weise verändert wurden, wie es bei Retinitis pigmentosa-Patienten zu beobachten ist, stellten die Forscher eine Abschwächung dieser Protein-Protein-Interaktionen fest. Diese Ergebnisse belegen, dass der Fortsatz am Ende von Prp8 als Bindestelle für andere Bausteine des Spleißosoms dient, vergleichbar mit einer Wäscheleine, an der mehrere Kleidungsstücke aufgehängt werden können. Wenn diese Aufhängevorrichtung wie im Falle von RP13-Patienten defekt ist, ist zu erwarten, dass die Spleißmaschine nicht reibungslos funktioniert und letztendlich die Produktion eines netzhautspezifischen Proteins gestört sein könnte. Mit diesen Befunden halte man noch keinen Schlüssel zu einer Therapie in der Hand. Es sei aber zu erwarten, dass derartige grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse in der Zukunft zu Ideen für eine Therapie beitragen, so das Institut.

Weitere Informationen:
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
http://www.mpibpc.mpg.de

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