Praxisfall Kontaktlinse
Pseudokeratokonus bei formstabiler Kontaktlinse
Von Dr. Hans-Walter Roth.
Zur Anamnese
Ein 34-jähriger Angestellter sucht am Urlaubsort einen Augenarzt auf, nachdem er auf seinem rechten Auge eine akute Visusminderung bemerkte. Innerhalb weniger Tage kam es hier zu einer raschen Abnahme des Fernvisus, das Sehen in der Nähe blieb dagegen überraschend stabil. Er gibt an, wegen einer Hornhautverkrümmung auf beiden Augen eine Kontaktlinse zu tragen. Diese sei vor etwa sechs Jahren von einem Augenarzt am Heimatort angepasst worden und habe seitdem auch keine Probleme bereitet. Die vereinbarten engmaschigen Nachkontrollen seien daher auch nicht erfolgt.
Der Befund
Bei der fachärztlichen Abklärung zeigt das betroffene rechte Auge einen leichten Reizzustand an den Lidrändern und an der Bindehaut. Bei der Anpasskontrolle zeigt sich das Bild einer klassischen Fehlanpassung. So sitzt die harte Linse zu flach auf, sie hat auf dem Apex Corneae eine Berührungszone von gerade 2 mm2. Nach kaudal und lateral hin findet sich ein Konvolut von Luftbläschen in der Tränenflüssigkeit (s. Abb.) Die Linse rutscht beim Lidschluss und bei heftigen Blickbewegungen über den Limbus hinaus bis auf die Bindehaut. Die Hornradienradien liegen bei 6,5 zu 6.9 mm in schräger Achsenlage, die Pachymetrie liegt bei 411 µm. Der Mosaiktest ist negativ, keine Endothelfalten, keine Striae. Die Aufsteilung der Hornhautradien erklärt die Myopiesierung des Auges um etwa 2 Dioptrien. Das linke Auge zeigt bei normalem Befund der vorderen Augenabschnitte einen guten Linsensitz. Eine Prüfung der beiden getragenen Linsen im Umkehrprisma an der Spaltlampe zeigt keine Änderungen der Materialstruktur, eine topographische Vermessung der Linsenparameter und Vergleich mit den Herstellerdaten aus dem Linsenpass lässt keine Verformungen erkennen.
Die Diagnose
Pseudokeratokonus, durch flach sitzende Kontaktlinsen induzierter Keratokonus.
Die Differentialdiagnose
Akuter genuiner Keratokonus, Hornhautdistorsionssyndrom, Verformung der formstabilen Linse durch Umklappen, vertauschte Linsen, relative oder absolute Fehlanpassung.
Der Kommentar
Alle Kontaktlinsen üben einen gewissen Druck auf die vorderen Augenabschnitte aus, die Orthokeratologie beispielsweise nutzt diesen Effekt um eine Hornhautvorderflächenkrümmung gezielt umzuformen. Bei formstabilen Linsen ist dieser Druck wesentlich höher als bei weichen, bei Steilanpassung geringer als bei Flachanpassung. Wird eine zu flach angepasste formstabile Linse über lange Zeit getragen, so kommt es gelegentlich zur Abnahme der Hornhautmittendicke, durch Vorwölbung der verdünnten Hornhaut entsteht das Bild des Keratokonus, der sich vom echten Konus in der Frühphase nur schwer abgrenzen lässt. Differentialdiagnostisch hilft der Mosaiktest, der wie hier negativ ausfiel. Wichtig sind daher eine sorgfältige fachärztliche Voruntersuchung, die regelmäßige Nachkontrolle der Hornhautstruktur und die Aufklärung des Kontaktlinsenträgers. Er muss das Risiko des unkontrollierten Kontaktlinsentragens beziehungsweise seine möglichen Folgen kennen.
Die Therapie
Die Therapie des Keratokonus wie auch Pseudokeratokonus erfolgt durch Optimierung des Kontaktlinsensitzes. Ein vorübergehender Tragestopp kann hilfreich sein.