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Kongress AAD 2016

Interview mit BVA-Vorsitzendem Prof. Bernd Bertram
„Augenheilkunde im Spannungsfeld zwischen Studien und ‚real life‘“ lautet das Hauptthema der diesjährigen Augenärztlichen Akademie Deutschlands (AAD), die als gemeinsame Fort- und Weiterbildungsveranstaltung von BVA und DOG vom 8. bis 12. März wieder nach Düsseldorf ins CCD einlädt. Neben den wissenschaftlichen und praxisrelevanten Fachthemen, die in Kursen und Vorträgen dargestellt werden, gibt es auch einige Neuerung in diesem Jahr: So werden sich erstmals Keynote Lectures und Paneldiskussionen an die Einzelvorträge in den Vorlesungen anschließen. Die berufspolitische Diskussion aktueller Fragen bildet einen besonderen Schwerpunkt im Programm. DER AUGENSPIEGEL sprach mit dem BVA-Vorsitzenden Prof. Bernd Bertram (Aachen) über die aktuelle Diskussion um die Novellierung der GOÄ und weitere Aspekte zur Honorierung und Versorgung in der Augenheilkunde.

Herr Professor Bertram, das diesjährige AAD-Hauptthema lautet „Augenheilkunde im Spannungsfeld zwischen Studien und ‚real life‘“. Hierbei handelt es sich um ein Thema aus der Versorgungsforschung, die gezeigt hat, dass sich Ergebnisse aus klinischen Studien nicht unbedingt auf den klinischen Alltag übertragen lassen, da die standardisierten Bedingungen des Studiendesigns nicht den Alltagsbedingungen entsprechen. Bei welchen Aspekten augenheilkundlicher Versorgung macht sich diese Problematik besonders deutlich bemerkbar? Was bedeutet das für den behandelnden Arzt in der Praxis?
Zunächst mal fehlen uns für einen Teil der Fragen im augenärztlichen Alltag hochkarätige Studien, sodass wir dann auf Lehrbuchwissen und klinische Erfahrung angewiesen sind. Für viele klinische Fragen insbesondere im Therapiebereich können wir zunehmend auf Studiendaten zurückgreifen, aber diese helfen oft im Alltag nur bedingt weiter. Die Studiendaten gelten primär nur für Patienten, die die Ein- und Ausschlusskriterien der Studie erfüllen, sie sind meist vom Beobachtungszeitraum nur relativ kurz oder haben keine Vergleichsgruppe mit einer anderen potentiellen Vergleichstherapie. Der Augenarzt im Alltag von Klinik oder Praxis hat es aber mit einem individuellen Patienten zu tun, der eventuell multimorbide oder immobil ist oder eine untypische Verlaufsform der Erkrankung hat. Es kann sich auch eine Therapie etabliert haben, die vom Studiendesign abweicht und sinnvoller erscheint. Ein Beispiel dafür ist die IVOM-Therapie mit bedarfsabhängiger Gabe der Medikamente, während die Zulassungsstudien monatlich therapieren. Hinzu kommt, dass bei vielen IVOM-Studien Time-Domain-OCT verwendet wurden und nicht die heutigen SD-OCT.

Wie lässt sich dieses erforderliche „real life“-Wissen in der Praxis vermitteln und neben den Studiendaten etablieren?
Wichtig ist dazu, dass Daten aus dem Alltag mit Hilfe der Versorgungsforschung erhoben und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse den Kollegen vermittelt werden. Für die Etablierung des „real life“-Wissens sind die entscheidenden Maßnahmen: zum einen gut gemachte und alltagstaugliche Leitlinien und Empfehlung der Fachgesellschaften sowie zum anderen entsprechende Fortbildungsveranstaltungen wie zum Beispiel im Rahmen der AAD.

Die AAD als erster großer Kongress im Frühjahr bietet auch immer die Möglichkeit, berufspolitisch das letzte Jahr zu bilanzieren und nach vorne zu denken. Eher selten geschehen bereits zu Jahresbeginn „auf der großen Bühne“ gesundheitspolitisch aktuelle und brisante Ereignisse. Das ist diesmal anders: Am 23. Januar fand nach monatelangen Auseinandersetzungen um die GOÄ-Novelle ein außerordentlicher Ärztetag statt. Was sind die neuralgischen Punkte beim derzeitigen Verhandlungsstand zur GOÄ?
Problematisch ist vor allem die Änderung der Bundesärzteordnung mit der Etablierung der Gemeinsamen Kommission GeKo, die zu einer erheblich Angleichung der PKV an die GKV und letztlich zum Münden in eine einheitliche Bürgerversicherung führen könnte. Beim GOÄ-Paragrafenteil stört vor allem die Neuregelung der Steigerungsfaktoren. Natürlich interessiert die Augenärzte insbesondere, wie die Ziffern in der neuen GOÄ honoriert werden. Wir konnten dazu zwar die BÄK beraten, aber was letztlich für Preise umgesetzt werden und wie diese dann nach den drei Jahren Probebetrieb mit Änderungsmöglichkeiten für die GeKo aussehen, sehen wir skeptisch.

Wie wird es nun nach dem außerordentlichen Ärztetag weitergehen?
Die Bundesärztekammer wird weiter mit PKV, BMG und Beihilfevertretern intensiv verhandeln. Ob die neue GOÄ am 1. Oktober 2016 in Kraft tritt, finde ich eine sehr ambitionierte Planung und halte dies nur für möglich, wenn sich die Koalition schnell einigt, indem die CDU der Wiederherstellung der Parität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beim Krankenkassenbeitrag zustimmt und im Gegenzug die SPD der neuen GOÄ.

Inwieweit war der BVA an der Entwicklung der GOÄ involviert beziehungsweise auch informiert?
Der BVA war nur bei der Legendierung der augenärztlichen Ziffern und teilweise bei deren Bewertung eingebunden. Jetzt können wir uns auch dazu äußern, bei welchen Gegebenheiten wir eine Steigerungsmöglichkeit des Faktors empfehlen würden.

Teilen Sie die besorgte Einschätzung vieler Mediziner, dass Ärzte in GOÄ-Fragen künftig mehr Einflussnahme durch Kostenträger und Politik hinnehmen müssen?
Ja!

Auf ihrer Klausurtagung kurz vor dem Sonderärztetag formulierte die SPD den Vorwurf, eine GOÄ-Novelle würde das System der Zwei-Klassen-Medizin zementieren und forderte die Verhinderung. Plädiert wird für ein einheitliches Vergütungssystem sowie die Streichung des kassenindividuellen prozentualen Zusatzbeitrages für eine paritätische und solidarische Finanzierung. Wäre das überhaupt realisierbar oder ist es nur Wahlkampfgetöse, das sinnvolle Lösungen zum notwendigen Zeitpunkt verhindert?
Ob der Krankenkassenbeitrag paritätisch oder wie bisher bezahlt wird, ist völlig unabhängig sowohl von einer neuen GOÄ als auch von der geplanten Änderung der Bundesärzteordnung mit Einführung der GeKo und an den EBM und die GKV erinnernden weiteren Werkzeugen. Eine ersatzlose Abschaffung der GOÄ ist nicht möglich, denn die Politik muss die Honorierung der Leistungen außerhalb des GKV-Leistungskataloges regeln und kann auch nicht beispielsweise EBM-Quartalspauschalen für die Behandlung von Ausländern in Deutschland verordnen. Wenn ein Patient nur einen Ishihara-Farbsehtest als Privatleistung braucht, kann man doch nicht das gleiche Honorar verlangen wie für einen Ausländer, der sich ein Quartal lang mit komplizierter Uveitis behandeln lässt.
Weiterhin wird immer wieder übersehen, dass SPD und Grüne bei der letzten Bundestagswahl auch bei Einführung der Bürgerversicherung die Beihilfe weiter bestehen lassen wollten, da eine Integration der Beamten in die GKV für den Staat deutlich teurer würde. Die Beamten verdienen deutlich mehr als der Durchschnitt und deswegen käme der GKV-Arbeitgeberanteil für die Beamten den Staat teurer als das bisherige Beihilfesystem. Außerdem hat das Thema Bürgerversicherung SPD und Grünen bei der letzten Bundestagswahl wenig genützt.

Inwieweit wird das Thema GOÄ-Novelle das Berufspolitische Seminar des BVA zur AAD beschäftigen? Was werden Sie für die aktuelle Diskussion auf die Agenda stellen?
Im zweiten Teil der Veranstaltung am AAD-Freitag von 18.00 bis 19.30 Uhr wird Herr Dr. Rochell uns zum aktuellen Stand der GOÄ-Novellierung berichten. Davor werden die BVA-Vorsitzenden andere aktuelle Aspekte wie EBM-Reform, Terminservicestellen und die laufenden G-BA-Verfahren zu OCT und Cross-Linking ansprechen. Diese Themen werden wir mit den Kolleginnen und Kollegen diskutieren.

Das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, das GKV-VSG, ist seit Sommer letzten Jahres in Kraft. Ein Hauptkritikpunkt im Vorfeld war, dass es die wohnortnahe, ambulante Versorgung durch freiberuflich tätige Ärzte in Frage stelle. Einiges wurde ja nachgebessert und so ist zumindest positiv die Ausweitung der Weiterbildungsförderung auf den fachärztlichen ambulanten Bereich mit etwa 1.000 Stellen zu vermerken. Wie ist der erste Eindruck und mit welchen zukünftigen Auswirkungen des GKV-VSG rechnen Sie?
Der Hauptaufreger Terminservicestellen wurde eingeführt mit der erwarteten geringen Inanspruchnahme durch die Bevölkerung und trotz der im internationalen Vergleich in Deutschland erfreulich niedrigen durchschnittlichen Wartezeiten auf Facharzttermine. Die Etablierung der Weiterbildung in Augenarztpraxen der Basisversorgung wurde bisher nur vereinzelt realisiert und wird hoffentlich ausgebaut, wobei ich hier besonders in Verbundweiterbildungen von Kliniken und Praxen der augenärztlichen Grundversorgung eine Verbesserung sehe. Dass die Politik die ambulante fachärztliche Versorgung immer weiter in Richtung einer Trägerschaft von Krankenhäusern und MVZ-Ketten steuert zu Lasten von freiberuflichen Praxen, ist offensichtlich und erfolgt schleichend. Ich beobachte mit Sorgen, dass es für junge Augenarztkollegen immer schwieriger wird, eine Praxis als Selbständiger zu übernehmen oder als Partner in eine Praxis einzusteigen. Die MVZ und Großpraxen kaufen viele Kassensitze auf, um diese als Zuweiser für Katarakt-OP und IVOM zu erhalten oder zu bekommen, sodass den jungen Kollegen nur eine Angestelltentätigkeit übrig bleibt.

Insbesondere in der Kritik des BVA steht die Strukturpauschale für die augenärztliche Fachgruppe, die nach Ansicht eines Gutachtens vom Institut des Bewertungsausschusses (InBA) zu einer veränderten augenärztlichen Versorgung und einer Verbesserung des Honorars in der konservativen Augenheilkunde geführt hat – und deren Rechtmäßigkeit jüngst in einem Urteil bestätigt wurde. Der BVA sieht dies anders und verlangt eine Stärkung der konservativen wohnortnahen Grundversorgung „auf anderen Wegen“. Welche könnten das sein? Und: Welche Chancen auf Umsetzung haben diese Maßnahmen?
Nach dem Urteil sehe ich in naher Zukunft keine Chance auf Abschaffung der Strukturpauschale. Dass die Strukturpauschale zu einer Veränderung der augenärztlichen Versorgung führte, kann ich nicht bestätigen. Die Entwicklung aller Zahlen zeigen, dass nicht-operierende Kollegen dadurch ein etwas höheres Honorar erhalten, aber deren GKV-Honorar weiter ziemlich am Ende im Vergleich der Fachgruppen liegt und nicht-operierende Praxen nur mit PKV- und IGeL-Einnahmen gut zu betreiben sind. Dass Kollegen, die vorher nur Lider oder Schieler oder sehr wenige Katarakte operierten, durch die Strukturpauschale das Operieren einstellten, kann man doch wohl nicht ernsthaft als Erfolg verkaufen. Heutzutage sehen viele junge Kollegen eine Zukunft nur mit auch einer gewissen operativen Tätigkeit. Deswegen sehe ich es als einen Erfolg des BVA an, dass zumindest die IVOM nicht mehr zum Verlust der Strukturpauschale führt. Das macht den Übergang in eine Praxis für junge Augenärzte wieder attraktiver. Trotzdem bleibt es unverständlich und ärgerlich, dass Operateure für die Grundpauschale, also die augenärztliche Grundversorgung, bei gleicher Leistung deutlich weniger Honorar erhalten als Nicht-Operateure.

Im letzten Sommer stand Gassen sehr in der Kritik aus den eigenen Reihen und musste sich durch einige KV-Chefs vorwerfen lassen, er schwäche die Stellung der KBV „anstatt endlich Ruhe in den Vorstand der KBV und das KV-System zu bringen“. Nun kündigt er ein Konzept an: „KBV 2020: Voller Einsatz für eine hochwertige ambulante Versorgung“ und fordert Einigkeit. Denn die Politik habe einen „Masterplan“, der einen Rückbau ambulanter Strukturen und die Entmündigung des freien Arztes vorsehe. Hat er ein gutes Gegenrezept ersonnen? Oder ist seine Ankündigung eher KBV-„Innenpolitik“?
Die Streitereien in der KBV und zwischen den KV-Chefs sind unerträglich und schwächen das ganze KV-System. Dadurch sieht die Politik die Vertreter der niedergelassenen Ärzte kaum mehr als Gesprächspartner an. Der Beginn dieser Streitereien liegt schon weit vor der Ära Gassen und geht maßgeblich auf die Politik des Hausarztverbandes zurück. Hinzu kommen persönliche Eitelkeiten und Befindlichkeiten. Leider bieten auch die KV-Wahlen in diesem Jahr nur wenig Grund zur Hoffnung auf eine Besserung, denn in den meisten KVen werden die gleichen Personen für den Vorsitz kandidieren, sodass sich an der festgefahrenen Situation in der KBV-Vertreterversammlung voraussichtlich nicht viel ändern wird. Dass Herr Gassen jetzt versucht, die KBV-VV zur Sacharbeit und zu dem von Ihnen genannten gemeinsamen Konzept zu bewegen, begrüße ich sehr und werde ihn als stellvertretendes Mitglied der KBV-VV dabei unterstützen. Da die Klausursitzung der KBV-VV erst Ende Februar stattfindet (Anmerk. d. Red.: nach Red.schluss dieser Ausgabe), kann ich derzeit nichts zu konkreten Aspekten sagen. Prinzipiell ist aber Stärkung der Ärzte im ambulanten System und eine Stärkung der selbständigen Ärzte sehr wünschenswert. Wie schon bei der vorletzten Frage ausgeführt, übernehmen sonst die Krankenhausträger und externe Kapitalgeber immer stärker die Steuerung der ambulanten Versorgung.

Angesichts der vielfältigen Themen muss man sagen, 2015 gehörte berufspolitisch nicht gerade zu den ruhigen Jahren und einiges entzog sich auch der Einflussnahme durch den Fachverband: Wie ist Ihre Bilanz für den BVA zum letzten Jahr? Und welche Aufgaben stehen in 2016 an?
Das vergangene Jahr verlief relativ erfreulich, wenn wir dies von der Honorierung her sehen, denn die augenärztlichen GKV-Honorare zeigten eine steigende Tendenz, fast alle IVOM-Verträge konnten trotz EBM-Ziffer fortgeführt werden und es wurden sogar weitere Verträge geschlossen. Bei der GOÄ-Reform und der EBM-Reform konnten wir unsere Vorstellungen bei Bundes­ärztekammer beziehungsweise KBV vor- und teilweise einbringen, Regresse konnten weitgehend abgewendet werden und in vielen kleinen Detailthemen konnten wir Kollegen helfen, weil der BVA von vielen Stellen als zuverlässiger und kompetenter Gesprächspartner geschätzt wird. Unsere Fortbildungsveranstaltungen waren sehr erfreulich mit großen Teilnehmerzahlen und guter Qualität. Durch die sehr gute Zusammenarbeit mit der DOG konnten wir uns zu einigen Themen beim GBA einbringen. So positiv die neue NVL zu diabetischen Augenkomplikationen zu sehen ist und uns bei der Überarbeitung des Diabetes-DMP sehr hilft, so unerfreulich ist die Ablehnung des Amblyopiescreenings. Dass der G-BA entscheidet, es gäbe keine Evidenz für ein augenärztliches Amblyopiescreening, ist für mich eine der unerfreulichsten Entwicklungen während meiner gesamten berufspolitischen Tätigkeit. Dieses dann beim Kinderarzt auszubauen, ist noch unverständlicher.
2016 wird sicherlich wieder ein arbeitsreiches Jahr mit vielen wichtigen Themen. So stehen neben den Dauerthemen Stärkung der augenärztlichen Grundversorgung, EBM, Strukturierung der augenärztlichen Versorgung einschließlich Regelung der Sektorengrenzen, Förderung des augenärztlichen Nachwuchses in 2016 wichtige Entscheidungen des G-BA zur EBM-Aufnahme des Cross-Linking und der OCT im Rahmen des IVOM-Managements und eine neue Runde der Novellierung der Muster-Weiterbildungsordnung an. Wichtig sind – trotz der schon genannten Skepsis – die KV-Wahlen Mitte des Jahres, denn bei guter augenärztlicher Repräsentanz in den KV-Vertreterversammlungen kann der BVA seine Politik viel besser umsetzen.

Herr Professor Bertram, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Ulrike Lüdtke M.A.
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