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EVRS – Brückenschlag zwischen Netzhaut- und Glaskörperchirurgie

Über eine „gewisse Philosophie“ und ein ungewöhnliches Tagungskonzept
Die European VitreoRetinal Society (EVRS) wurde 2001 als Brückenschlag zwischen der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie Euopas und der USA von Prof. Dr. Frank Koch (Frankfurt) gegründet. Dr. Michael Koss berichtet über Themen und Highlights der letzten Tagung in Venedig, zu der sich rund 850 Teilnehmer einfanden.

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EVRS, werden Sie sich jetzt eventuell fragen, was soll das sein? Im stetig wechselnden Kürzel-Dschungel, nicht nur bei unserem Berufsstand, könnte man an ein neues 23-Gauge-Vitrektom ebenso wie an eine der vielen Sektionen unserer Berufsverbände denken. Und dann auch noch „A Certain Philosophy“, wie es im Untertitel des Logos heißt, also eine Selbstverpflichtung als Marketing?

EVRS steht für European VitreoRetinal Society und ist eine von italienischen, spanischen, ungarischen, polnischen, französischen und deutschen Vitreoretinalchirurgen gegründete Gesellschaft. Sie wurde 1999 beim Rückflug von der amerikanischen Academy of Ophthalmology auf einem Flugzeuggang inoffiziell aus der Taufe gehoben. Seitdem hat sie – unkonventionell und innovativ – fest einen besonderen Platz in der internationalen Augenszene eingenommen. Doch es scheint, dass dieser Platz mehrheitlich von unseren europäischen Nachbarn und weniger von den deutschen Retina-Spezialisten eingenommen wird. Um das „Warum“ zu klären, sollte man einen Blick in die Vergangenheit bemühen.

Die EVRS – „A Certain Philosophy“

Die letzte Jahrestagung fand zwei Wochen vor der DOG in Venedig statt, nachdem man sich in den Jahren davor in Biarritz, Istanbul, Cannes getroffen hatte. Die Auflistung der Orte erfolgt nicht per se den Anforderungen der Industrie, sondern soll unverblümt schöne Orte mit der „certain philosophy“ kombinieren. Was soll das mit der „certain philosophy“? Auf dem bereits erwähnten Transatlantikflug kam man überein, dass es in Europa an der anglosächsischen Mentalität zu lehren und zu trainieren fehlt und auch auf Kongressen zuwenig offen diskutiert werde. Dies sollte geändert werden! Ohne Rücksicht auf berufspolitischen Dünkel einigte man sich auf die Gründung der Gesellschaft. Die Treffen sollten nicht von den eingeladenen Referenten beziehungsweise exklusiven Abendessen für die Vortragenden geprägt sein, sondern vielmehr ein Forum für den Austausch zwischen jungen und erfahrenen Kollegen darstellen. Ein Ort, an dem man sich aktiv äußern kann und soll, um die eigenen beruflichen Fähigkeiten zu erweitern und substantiell zu verbessern.

Diese Ziele kommen nicht von ungefähr, wenn man sich die Protagonisten der EVRS-Gründerzeit genauer anschaut: Da ist von französischer Seite Professeur Ducournau aus Nantes, einer der Pioniere französischer Vitreoretinalchirurgie und scheidender Präsident der EVRS. Er verwendet beispielshaft zur Illumination für sämtliche seiner Operationen, speziell die Makulachirurgie, eine konventionelle Spaltlichtquelle, die an seinem Operationsmikroskop zirka 20 cm über dem Auge am Mikroskop befestigt ist. Oder die internationalen Aushängeschilder okulärer Traumachirurgie, die Professoren Forlini aus Ravenna (Italien) und Fernec Kuhn aus Pecs (Ungarn bzw. Birmingham/USA). Und dabei liegt es nicht ausschließlich an dem Thema „Trauma“ und den damit verbundenen Bildern, dass es immer wieder ein Vergnügen ist, ihren Vorträgen auch wegen des speziellen trockenen Humors beizuwohnen. Von deutscher Seite ist die EVRS von den Professoren Lucke und Bopp aus Bremen und Koch aus Frankfurt repräsentiert und maßgeblich geprägt worden.

Die „spezielle Philosophie“ dieser deutschen Augenchirurgen ist womöglich so manchem Kollegen in den letzten Jahren aufgefallen, der an einem der jährlichen Wet-/Drylabs mit den Eyesi Operationssimulatoren (DOC und DOG) teilgenommen hat. Eben jene Professoren beklagten den Wissenstransfer in der operativen Ausbildung, die nach dem Motto der „stillen Post“ ablaufe und sie investieren seitdem viel Zeit und Herzblut in die Simulation von Netzhaut- und Glaskörperchirurgie. Weniger Simulation, dafür mehr praktisches Herangehen ist bei der von Herrn Lucke und Frau Bopp organisierten European Vitreoretinal Training School (EVRTS) zu sehen, die einmal pro Jahr seit nunmehr sieben Jahren abgehalten wird. Für dieses intensive zweiwöchige Fellowship kamen im Mai 2007 zirka 50 Assistenzärzte und Jungfachärzte aus Süd- und Nordamerika, Afrika, Asien und Europa nach Bremen, um ebenso internationalen europäischen und amerikanischen Experten in offener und direkter Umgebung zu lauschen und sich anschließend über verschiedene Philosophien auszutauschen.

„Errare humanum est“

Da ist sie wieder, diese Philosophie. In Venedig hatte man sich dieses Mal geeinigt, nach dem Motto „Errare humanum est“, über Komplikation und deren Management zu sprechen. Dass es Mut erfordert, vor einer Zuhörerschaft über die eigenen Fehler beziehungsweise unvorhergesehene Verläufe zu referieren, liegt auf der Hand. Doch forderte die EVRS in Venedig ihre Referenten dazu auf, die jeweiligen Komplikationen als Videoaufnahme einzureichen und vorzustellen. Dieses Konzept, einen Kongress praktisch ausschließlich als Videopräsentation abzuhalten, dürfte in vielen Punkten in Europa innovativ sein. Es zahlte sich aus, denn die Teilnahme am Kongress wurde drei Wochen vorher bei 850 zahlenden Teilnehmern vorzeitig geschlossen. Die Beiträge wurden thematisch geordnet und handelten anfangs von technischen Fehlern der Vitrektomie resultierend aus schlechter Lagerung, zu schwacher Anästhesie, Problemen mit der Koordination von Fußschaltern, aber auch iatrogenen Bulbusverletzungen bedingt durch unvorsichtigen Instrumentenwechsel, manchmal auch bedingt durch die beginnende (unterschätzte) Presbyopie des Operateurs.

Im Anschluss wurden Beispiele von intraoperativen PVR-Situationen und der jeweiligen OP-Strategie gezeigt. Bimanuell!! Dabei ging es dann fast nicht mehr um Komplikationen als vielmehr um ein kollegiales Austauschen. Die zirka drei bis vier Minuten langen Beiträge wurden von dem jeweiligen Referenten vorgestellt und im Anschluss kontrovers und mit teils beachtlicher Offenheit einiger Operateure lebhaft diskutiert.

So ist auch das diesjährige Feedback geteilt, wie aus wissenschaftlicher Sicht der Kongress zu werten sei. Venedig war in vieler Hinsicht mehr ein großer klinischer Workshop, der dazu dienen sollte, sich persönlich zu verbessern. Doch das hat auch schon wieder etwas mit der gewünschten Offenheit in der EVRS zu tun. Jedes Mitglied hat Zugriff auf einen geschlossenen Bereich der Homepage http://www.evrs.org. Dort kann man alle Vorträge der letzten Jahre noch einmal von zu Hause ansehen beziehungsweise anhören. In einem Forum werden chirurgische Fragestellungen diskutiert, währenddessen man über eine spezielle digitale Bibliothek international ausgewählte Publikationen nachlesen kann.

„all unusual…“

Der nächste Kongress tagt vom 13. bis zum 16. September 2008 in Prag. Das Motto diesmal lautet „all the unusual ways lead to Prague“ – wie auch bis dato der Weg zur EVRS ein ungewöhnlicher, aber lohnender Weg war.

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Von rechts nach links: Internationale Teilnehmer der EVRS-Tagung, hier: Ivan VELASCO (Ensenada/Mexiko), Daniele GIAMMARIA (Laquila/Italien), Claude Bocher (Paris/Frankreich), Ronnie BHOLA (Sheffield/ England), Michael Koss (Frankfurt am Main).

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