DNA-transponierbare Elemente als Ursache für AMD identifiziert

Forschende des Paul-Ehrlich-Instituts haben in einem internationalen Forschungsverbund einen grundlegenden Mechanismus aufgeklärt, der über die Aktivierung im Genom vorhandener mobiler genetischer Elemente (Retrotransposons) dazu führen kann, dass bei trockener AMD Zellen in der Netzhaut des Auges absterben. Eine ebenfalls durchgeführte Metanalyse von Behandlungsdaten mit Medikamenten, die diesen Mechanismus unterbinden, untermauert dies. Über die Ergebnisse berichtet PNAS in seiner Online-Ausgabe vom 1. Februar.

Wie das Forscherteam zeigen konnte, reichert sich bei der trockenen Makuladegeneration im Zytoplasma der RPE-Zellen die DNA (Desoxyribonukleinsäure) so genannter transponierbarer Alu-Elemente an. Transponierbare (engl. transposable, umstellbar, vertauschbar) Elemente sind bewegliche DNA-Abschnitte, die sich im Genom individueller Zellen ausbreiten können. Anreicherung der Alu-DNA erfolgt durch das Umschreiben von Alu-RNA in Alu-DNA im Zytoplasma dieser Zellen durch Proteine der LINE1-Elemente, einer weiteren Gruppe von transponierbaren Elementen. Die angereicherte Alu-DNA schädigt die Zellen, die schließlich absterben – es ist plausibel, dass es so zur geographischen Atrophie kommt, der Spätform der altersbedingten Makuladegeneration. Auch wie dieses Umschreiben geschieht, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufklären. Die Ergebnisse zeigen zudem erstmalig, dass Alu-RNA aufgrund ihres besonderen Aufbaus im Zytoplasma der RPE-Zellen durch Enzyme dieser Wirtszelle in DNA umgeschrieben werden kann. Es gibt keine Hinweise, dass diese DNA in den Zellkern gelangt und dort das Zellgenom modifiziert.

Aufgrund dieser neuen Erkenntnis, dass die Aktivität transponierbarer Elemente mit dem Prozess des Umschreibens der Alu-RNA in DNA für den Verlust des Sehvermögens bei trockener AMD verantwortlich sein können, gerieten bekannte Medikamente als mögliche Therapieoptionen in den Blick, die normalerweise zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit HIV (Humanes Immundefizienz-Virus)-Infektionen eingesetzt werden. Diese Arzneimittel hemmen die reverse Transkriptase und damit das Enzym, das RNA in DNA umschreibt. Tatsächlich hemmen diese als Nukleosidische-Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI) bezeichneten Arzneimittel auch die Aktivität der Reversen Transkriptase, die für die oben beschriebenen Prozesse verantwortlich ist. Dass diese Arzneimittel ein vielversprechender Therapieansatz sein könnten, zeigt die Auswertung von vier Datenbanken unterschiedlicher US-amerikanischer Krankenversicherungen, in die mehr als 100 Millionen Patientinnen und Patienten über einen Zeitraum von 20 Jahren eingeschlossen waren. Innerhalb der Gruppe der mit NRTIs behandelten Personen erkrankten 40 % weniger an trockener AMD als Personen ohne NRTI-Behandlung.

Vorbereitungen für erste klinische Prüfungen zur Anwendung von NRTIs bzw. ihrer verträglicheren, als Kamuvudine bekannten Derivate wurden bereits initiiert.

Die Arbeitsgruppe um Prof. G. Schumann, Abteilung Medizinische Biotechnologie des Paul-Ehrlich-Instituts, ist Teil eines internationalen Forschungsverbund, der von Dr J. Ambati, University of Virginia School of Medicine, Charlottesville, VA, USA, und Dr F. Gage, Salk Institute for Biological Studies, La Jolla, CA, USA, koordiniert wurde. Ziel ist, den Mechanismus aufzuklären, der ursächlich für die geographische Atrophie bei trockener AMD verantwortlich ist.

Originalpublikation:

Fukuda S, Varshney A, Fowler BJ, Wang S, Narendran S, Ambati K, Yasuma T, Magagnoli J, Leung H, Hirahara S, Nagasaka Y, Yasuma R, Apicella I, Pereira F, Makin RD, Magner E, Liu X, Sun J, Wang M, Baker K, Marion KM, Huang X, Baghdasaryan E, Ambati M, Ambati VL, Pandey A, Pandya L, Cummings T, Banerjee D, Huang P, Yerramothu P, Tolstonog GV, Held U, Erwin JA, Paquola ACM, Herdy JR, Ogura Y, Terasaki H, Oshika T, Darwish S, Singh R, Mozaffari S, Bhattarai D, Kim KY, Hardin JW, Bennett CL, Hinton DR, Hanson TE, Röver C, Parang K, Kerur N, Liu J, Werne PNAS 118: e2r BC, Sutton SC, Sadda SR, Schumann GG, Gelfand BD, Gage FH, Ambati J (2021): https://doi.org/10.1073/pnas.2022751118

Quelle:
Paul-Ehrlich-Institut – Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel

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