Abstimmungsvorgang zwischen Gleichgewichtssinn und Auge verstanden

Damit unser Auge ein scharfes und ruckelfreies Bild liefert, muss es eng mit dem Gleichgewichtssinn gekoppelt sein. Ist die Abstimmung gestört, kommt es zu unscharfem Sehen und Schwindelgefühlen. Ob Nervenzellen dieser Einheit Informationen über den Beginn oder die Dauer einer Kopfbewegung an die Augenmuskeln leiten, hänge von einem einzigen Membran-Kanaltyp und der Vernetzung der Zellen untereinander ab, so das Ergebniss von Studien einer Forschergruppe aus München.

Die Arbeitsgruppe um Dr. Stefan Glasauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bernstein Zentrum München und an der Ludwig-Maximilians-Universität München, und sein Doktorand Christian Rössert in Zusammenarbeit mit Professor Hans Straka, Neurobiologe an der LMU nutze für ihre Studien, die sie im Journal of Neuroscience veröffentlichten, das bereits gut verstandene Gleichgewichtsorgan bei Grasfröschen.

Auf Grundlage experimenteller Daten erstellten die Wissenschaftler am Computer Simulationen, welche die Informationsverarbeitung der Nervenzellen nachbildeten: „In der Simulation können wir die Zellen in beliebiger Weise mit Ionenkanälen bestücken, zusammenschalten und messen“, erklärt Glasauer die Vorteile der Modelle. Und mehr noch: „Wir können den simulierten Frosch sogar hüpfen lassen, um die Datenverarbeitung zu testen“, so Glasauer. Zuerst untersuchten die Forscher in einer simulierten Einzelzelle, welchen Einfluss bestimmte Membrankanäle auf die Weiterleitung eingehender Reize haben. Dabei zeigte sich, dass zwei Versionen eines Kanalproteins den Zellen unterschiedlichen Funktionen verleihen: Zellen mit dem einen Kanaltyp erwiesen sich als geeignet für die Weiterleitung des genauen Startzeitpunkts, während Zellen mit dem anderen Typ für die gesamte Dauer des Reizes feuern. In einer Simulation mehrerer Nervenzellen fanden die Forscher zudem, dass die Verschaltung der Zellen eine wichtige Rolle für die Verarbeitung spielt. „Die Kombination von experimenteller Biologie und Modellbildung half entscheidend dabei, wichtige Grundlagen der Verarbeitung von Bewegungsinformationen zu verstehen“, erläutert Glasauer. Auch für die klinische und technische Forschung seien die Ergebnisse von Bedeutung, heißt es weiter.

Von den Forschungsergebnissen könnten unter anderem Patienten mit Kleinhirnschädigungen profitieren. Betroffene können bei schnellen Kopfbewegungen nicht mit den Augen gegensteuern, gleichmäßige Bewegungen aber richtig verarbeiten. Möglicherweise liege dabei die Schädigung eines der Zelltypen vor. Auch für wackelfreie Kamerasysteme, wie sie zum Beispiel in Fahrerassistenzsystemen in Autos oder Hubschraubern eingesetzt werden, könnte die hocheffiziente neuronale Verarbeitung als Vorbild dienen, so die Wissenschaftler.

Originalpublikation:
Rössert C, Moore L, Straka H, Glasauer S (2011), Cellular and network contributions to vestibular signal processing: impact of ion conductances, synaptic inhibition, and noise, J Neurosci, Volume 31, issue 23, 8359-8372

Weitere Informationen:

http://www.bccn-munich.de Bernstein Center Munich
http://www.nncn.de National Bernstein Netwerk Computational Neuroscience
http://www.lmu.de Ludwig-Maximilians-Universität München

Quelle: LMU München

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