11. Tagung der Bielschowsky-Gesellschaft

Strabologie/Neuroophthalmologie
Zur 11. Tagung der Bielschowsky-Gesellschaft für Schielforschung und Neuroophthalmologie kamen auf Einladung von Prof. Dr. Herbert Kaufmann internationale Referenten mit hochkarätigen Vorträgen nach Gießen. Rund 700 Teilnehmer besuchten die Tagung, die diesmal, wie alle drei Jahre, gemeinsam mit der Tagung des Berufsverbands der Orthoptistinnen Deutschlands (BOD) stattfand. Schwerpunktthemen waren Neuroophthalmologie, Sehschärfe, Amblyopie sowie operative Schielbehandlung. Dr. Klaus-Heiko Wassill fasst vier ausgewählte Beiträge zusammen.

Das Referat von Prof. Dr. Gian Paolo Paliaga (Como) über Sehschärfenprüfung war derart prägnant, dass allein dieser Vortrag gereicht hätte, ihn zum Ehrenmitglied der Bielschowsky-Gesellschaft zu ernennen. Zum Grundwissen der Augenärzte sollte gehören, dass die einfache Erhebung des Visus eine Messung von Empfindungen ist, somit alle Regeln der Psychophysik gelten. Paliaga betonte die Gefahren, die von einer Numerophobie oder von einem numerischen Analphabetismus ausgehen. Brüche bei der Beschreibung des Visus sind obsolet, auch beim Visus selbst sollte der Untersucher dran denken, dass der wahre Visus vom Optotypen, von der Tafel, vom Abbruchkriterium und vielen anderen Bedingungen abhängt. Die Präzision einer Messmethode ist proportional zur Streuung der wiederholten Messung, Wenn man den Erfolg einer Behandlung oder den Verlauf einer Krankheit anhand des Visus beurteilen will, muss die Wiederholungsgenauigkeit, die Präzision und die Empfindlichkeit der Visusbestimmung kontrolliert werden. Grundrechenarten wie die Bildung von Mittelwerten und Durchschnitten sind mit den üblichen Dezimalwerten des Visus schlichtweg verboten, wie übrigens auch für die Prismendioptrien. Einziger Ausweg für die Berechnung von Mittelwerten verschiedener Visuswerte ist die Bestimmung des logMar-Visus, der auch nur mit einer logMar-Tafel erhoben werden sollten.

Paliaga betonte, dass ein guter Visus noch kein Garant für eine normale Lesegeschwindigkeit sei. Er fasste den Vortrag zusammen:

  1. Es gibt keine „einzig wahre“ Methode die Sehschärfe zu messen, es gibt aber eine Methode, die als Standard anerkannt wird (EN ISO 8597).
  2. Wer den Visus wissenschaftlich misst, der sollte auch genau die Methode, die Vorgehensweise und die Abbruchkriterien beschreiben.

Es bestätigte sich so die wieder die alte Weisheit der Messtechniker: „Wer viel misst, misst weniger Mist.“ Prof. Dr. G. P. Paliaga ist Autor des Standardwerkes zum Thema Sehschärfe „Die Bestimmung der Sehschärfe“ in der Übersetzung von Dr. Ivo Baldissera, Quintessenz Verlag (ISBN 3-86128-204-6).

Endophthalmitis nach Schieloperationen

Frau Dr. A. Thiadens aus Rotterdam referierte über den Fall einer Endophthalmitis nach Schieloperationen. Diese Komplikation tritt meist ohne Perforation auf, wobei rezidvierende Atemwegsinfektionen das Risiko erheblich erhöhen sollen. Auch die Konzentration der präoperativen Povidon-Jodlösung spielt eine wichtige Rolle. Thiadens berichtete über ein zweijähriges Mädchen mit Otitis media, Sinusitis und Mastoiditis in der Vorgeschichte. Die Desinfektion erfolgte mit einprozentiger Povidon-Jodlösung. Am dritten postoperativen Tag befanden sich Fibrin und Zellen in der Vorderkammer. Nach vier Stunden erfolgte eine Glaskörperbiopsie mit Antibiotikaistillation. Im Abstrich war Haemophilus influenza nachweisbar. Am 27. postoperativen Tag wurde die Vitrektomie mit Silikonöl notwendig. Der Visus liegt bei Lichtschein. Auch beim zweiten geschilderten Fall war als erstes Merkmal eines atypischen Heilungsverlaufes eine Motilitätseinschränkung des operierten Muskels zu beobachten.

Weil vermutlich mehr Fälle vorkommen, als in der spärlichen Literatur beschrieben werden, begannen die Autoren mit einer anonymisierten Fragebogenaktion, die inzwischen zwölf Rückläufer hat. Die Autorin bittet um die Mithilfe durch Teilnahme und sicherte Anonymität zu.
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Änderungen der Lidspaltenweite

Im Vortrag von Prof. Dr. Wolf Lagrèze (Freiburg) wurde auf die mögliche Änderungen der Lidspaltenweite nach Operation der Augenmuskeln eingegangen. Muskeln, die verkürzt werden, führen zu einer Verkleinerung der Lidspalte. Dies sei eher die Folge einer Höherstellung des Unterlides als durch eine Änderung der Oberlidstellung bedingt. Bei einer Verkürzung eines Augenmuskels von 7 mm ist eine Verkleinerung der Lidspalte von 1 mm zu erwarten. Der maximal beobachtete Effekt lag bei einer Änderung der Lidspalte von 2,5 mm. Bei der Planung der OP können und sollen diese Effekte genutzt oder vermieden werden, dementsprechend muss der Patienten auch informiert werden.

Störungen bei posterioren Sehbahnläsionen

Prof. Dr. Ulrich Schiefer (Tübingen) berichtete über visuelle Störungen bei posterioren Sehbahnläsionen. In Deutschland gibt es pro Jahr etwa 550.000 Neupatienten mit Hirnläsionen, davon gut die Hälfte mit zusätzlicher Beeinträchtigung kognitiver Leistungen, davon wiederum die Hälfte mit Beeinträchtigung des Gesichtsfeldes. Zur Topographie bemerkte Schiefer, dass Läsionen des Cortes nicht zu einer sichtbaren Papillenatrophie führen. Temporale Hirnläsionen projizieren sich in die oberen Gesichtsfeldquadranten, parietale Cortexläsion führen zu Ausfällen im unteren Quadranten.
Acht Prozent der Tübinger Patienten mit Sehbahnläsionen haben bihemisphärische Läsionen, die bei der Perimetrie alle möglichen Kombination der üblichen Ausfälle zeigen. Diese Läsionen beeinträchtigen auch häufig den optokinetischen Reflex zur betroffenen Seite, manchmal erst nach wiederholter Prüfung.

Es ist wichtig, den Patienten mit frischen Gesichtsfeldausfällen zu sagen, dass innerhalb des ersten Jahres Hoffnung auf eine spontane Besserung besteht. Eine aktive Verkleinerung der Gesichtsfeldausfälle durch gezielte Trainingsmaßnahmen wurde von Schiefer kritisch gewürdigt.

Die abschließende Demonstration über selektive Wahrnehmung wird allen Kongressteilnehmern in Erinnerung bleiben: Prof. Schiefer erreichte spontanen Applaus, als das gesamte Auditorium einen ausgewachsenen Gorilla in Lebensgröße während einer 20 Sekunden dauernden Videosequenz nicht wahrnahm. Er erreichte dies durch eine gezielte Ablenkung der Aufmerksamkeit auf völlig andere Filminhalte.

Die 12. Tagung der Bielschowsky-Gesellschaft findet im November 2007 auf Einladung von Prof. Dr. Heimo Steffen in Würzburg statt.



Die Bielschowsky-Gesellschaft für Schielforschung e. V. fördert die wissenschaftliche und praktische Tätigkeit auf dem Gebiet der Strabologie und der Neuroophthalmologie durch Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen und durch Anregung wissenschaftlicher Arbeiten. Darüber hinaus pflegt die Bielschowsky-Gesellschaft die Fortbildung.

Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung wurden vier neue Ehrenmitglieder ernannt und zwei Promotionspreise verliehen:

Die bisherige 1. Vorsitzende Frau Prof. Dr. Birgit Lorenz ernannte zu neuen Ehrenmitgliedern:
Prof. Bruno Bagolini (Rom),
Prof. Gian Paolo Paliaga (Como),
Prof. André Roth (Genf) sowie
Prof. David Simon Zee (Baltimore).

Die Bielschowsky-Promotionspreise (zu je 500 Euro) für hervorragende Dissertationen auf dem Gebiet der Strabologie und Neuroophthalmologie wurden vergeben an:

Dr. Jan Schiller (Tübingen): Untersucher-unabhängige Bestimmung der lokalen statokinetischen Dissoziation (SKD) mittels semi-automatisierter Perimetrie und

Dr. Sabine Schindler (Regensburg): Molekulargenetische Untersuchungen der Fibroblastenwachstumsfaktorrezeptorgene (FGFR) 1-3 bei isolierten und syndromalen Kraniosynostosen.

Auf der Mitgliederversammlung im Rahmen der Tagung wurde für vier Jahre ein neuer Vorstand gewählt:

1. Vorsitzender: Prof. Dr. Joachim Esser (Essen)
2. Vorsitzender: Prof. Dr. Michael Gräf (Gießen)
Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats:
Prof. Dr. Gerold Kolling (Heidelberg)
Beisitzer: Prof. Dr. Hermann-Dieter Schworm (München)
Schriftführer und Kassenwart: Prof. Dr. Heimo Steffen (Würzburg)

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