Zur 16. SATh-Jahrestagung
Neue Erkenntnisse und Entwicklungen bei Notfällen am Auge
100 Jahre nach der Gründung der ersten Vereinigung der Augenärzte von Sachsen-Anhalt und Thüringen am 9. Juni 1907 trafen sich im Juni dieses Jahres etwa 300 Fachvertreter sowie mehr als 100 Angehörige des Pflegepersonals in der zur Martin-Luther-Universität gehörenden ehemaligen Pädagogischen Hochschule in Halle/Saale. Fünf der sechs wissenschaftlichen Sitzungen der 16. Jahrestagung waren dem Generalthema „Notfälle am Auge“ gewidmet. Ein zusammenfassender Bericht des Tagungspräsidenten Prof. Dr. Hans Gert Struck.
In ihrem Festvortrag würdigte Frau Prof. Dr. Jutta Herde, Halle, das hundertjährige Jubiläum und spannte den Bogen von der ersten Zusammenkunft von 30 Augenärzten in Halle/Saale über die wechselvolle Geschichte der augenärztlichen Standesvertretungen in Sachsen-Anhalt und Thüringen und der Neugründung der Gesellschaft durch das heutige Ehrenmitglied Prof. Dr. _Manfred Tost, ebenfalls in Halle, bis hin zur aktuellen Situation.
Abb. 1: Eröffnungssitzung zur 16. Jahrestagung der Gesellschaft der Augenärzte Sachsen-Anhalts und Thüringens e. V. (SATh).
Epidemiologie von Notfällen bei Augenverletzungen und bei Kindern
Priv.-Doz. Dr. W. Schrader, Würzburg, gab in seinem Referat anhand der epidemiologischen Aufarbeitung der Augenverletzungen der Universitäts-Augenkliniken Freiburg und Würzburg der letzten 20 Jahre einen fundierten Überblick über Augenverletzungen in Beruf und Freizeit. Die vorgestellten Daten ließen eine gering rückläufige Inzidenz augapfeleröffnender Verletzungen bei derzeit etwa drei Verletzungen je 100.000 Personen jährlich erkennen. Auch trat in diesem Zeitraum ein teilweise erheblicher Wandel der Verletzungsumstände ein.
Über allgemeine kinderophthalmologische Notfälle berichtete Dr. Viktoria Bau, Halle, während sich Dr. Brigitte Jäger, Jena, den Notfällen in der Strabologie und Dr. Synke Meltendorf, Magdeburg, den malignen Tumoren im Kindesalter widmeten. „Jede akute Abweichung der Augenstellung ist zunächst als Notfall zu behandeln“, so Jäger. Bau verwies insbesondere auf die Probleme bis in das Vorschulalter, wo oft nur fremdanamnestische Angaben zu nutzen sind sowie eine verlässliche Funktionsprüfung nicht möglich ist und die Untersuchung häufig nur in Sedierung oder Narkose gelingt.
Traumatologie
Die Weichenstellung des Schicksals einer Augenverletzung durch die Notfallmaßnahmen betonten gleich mehrere Autoren, so Prof. Dr. Frank Wilhelm, Schwerin, und Prof. Dr. Hans Gert Struck, Halle. Wilhelm kam zu dem Schluss, dass „bei Verletzungen des Augenvorderabschnittes die erste Konsultation beim Augenarzt und mehr noch die primäre operative Versorgung für das Ergebnis entscheidend sind“, während Struck darauf verwies, dass die rasche und richtige Ersttherapie das Schicksal von Verätzungen und Verbrennungen der Augen entscheidet. Im Zentrum der Akut- und Frühversorgung der Augenverätzung steht die unverzügliche, konsequente und wiederholte Augenspülung (Abb. 2).
Abb. 2: Natronlaugeverätzung Grad IV (n. Reim) und Glassplitterverletzung linkes Auge, erster Tag.
Nach aktuellen Erkenntnissen führen amphotere hyperosmolare Spüllösungen im Vergleich zu anderen zu einer schnelleren Normalisierung des pH-Wertes in der Augenvorderkammer und zu einer geringeren Zytolyse. Zu den operativen Optionen der Frühversorgung einer Augenverätzung zählt die Amnionplastik, worüber in einem ergänzenden Vortrag Dr. Sven Walter, Magdeburg, berichtete. Das Management von Bulbusrupturen als Folge schwerer stumpfer Augapfelverletzungen und deren insgesamt schlechte funktionelle Prognose erläuterte Dr. Arne Viestenz, Magdeburg, in seinem Referat.
Auch chirurgische Eingriffe können notfallmäßige Konsequenzen haben. Zu den Notfällen nach Hornhautoperationen und den Therapieoptionen berichtete in einem Übersichtsreferat Priv.-Doz. Dr. Thomas Hammer, Halle. Prof. Dr. Jürgen Strobel, Jena, stellte ein neues Verfahren zur Rehabilitation mit einer irisfixierten Hinterkammerlinse vor.
Notfälle des hinteren Augenabschnittes und der Sehbahn
Der Netzhautablösung als Notfall widmete sich Prof. Dr. Ekkehart. Königsdörffer, Jena, und betonte, dass dessen Einschätzung schon bei der telefonischen Terminabsprache mit der Arzthelferin beginnt.
Mit großem Interesse wurde von den Zuhörern die interdisziplinäre Betrachtung verschiedener Notfälle des hinteren Augenabschnittes und der Sehbahn aufgenommen. So referierten Prof. Dr. Albert Krause, Halle, als Augenarzt und Dr. Axel Schlitt, Halle, als Internist zu den Gefäßverschlüssen im hinteren Augenabschnitt und im Sehnerven und ergänzten sich in ihrem Managementkonzept. Ebenso wurden die neuroophthalmologischen Notfälle einmal aus neurologischer Sicht (Priv.-Doz. Dr. Michael Krasnianski, Halle) und aus ophthalmologischer Sicht (Prof. Dr. Helmut Wilhelm, Tübingen) betrachtet. Dabei besprach Wilhelm besonders die Erkrankungen, bei denen eine Verzögerung der Diagnose und Therapie katastrophale Folgen haben kann, wie die Arteriitis temporalis, das Aneurysma im Schädelbasisbereich und der Hypophysenapoplex.
Entzündungen und Infektionen
In seinem sehr übersichtlichen und klaren Referat gab Prof. Dr. Wolfgang Behrens-Baumann, Magdeburg, eine zusammenfassende_ Darstellung der Symptome und der aktuell empfohlenen Therapie der Endophthalmitis. Hierbei ist neben der differenzierten antibiotischen Therapie auch die systemische Gabe von Steroiden entscheidend für die funktionelle Prognose.
Für den praktisch tätigen Augenarzt besonders wertvoll war das Konzept zum diagnostischen Vorgehen und zur Therapie der akuten Uveitis, das Prof. Dr. Uwe Pleyer, Berlin, in seinem Referat vorstellte. Seine Übersicht vereinigte Aspekte der Differenzialdiagnose der Erkrankung, der Leitbefunde, des Stellenwertes der intraokularen Diagnostik und der interdisziplinären Kooperation sowie der Therapieoptionen in der Akutsituation.
Mit infektiösen Notfallsituationen außerhalb des Bulbus, nämlich im Lid-, Orbita- und Tränenwegsbereich beschäftigte sich in einem sehr ausführlichen Referat Dr. Anke Habermann, Halle. Sie stellte die klinischen Befunde auch unter differenzialdiagnos-tischen Aspekten und möglichen Komplikationen dar und gab Therapieempfehlungen.
Glaukom
Dem Referat von Priv.-Doz. Dr. Christian K. Vorwerk, Magdeburg, zum primären Winkelblockglaukom standen zwei Übersichtsbeiträge zum Sekundärglaukom gegenüber. Obwohl es sich beim primären Winkelblockglaukom unstrittig um eine bedrohliche akute Notfallsituation handelt, wird das Beschwerdebild wegen der allgemeinen Symptomatik – insbesondere vom Hausarzt – auch fehlgedeutet. Diesen mahnenden Hinweis verband Vorwerk mit einer didaktisch sehr gut aufbereiteten Darstellung der Ätiopathogenese und dem Aufzeigen der aktuellen Behandlung.
Prof. Dr. Jutta Herde wies in ihrem Beitrag auf die funktionelle Gefährdung durch das Sekundärglaukom nach operativen Eingriffen und Verletzungen hin und erläuterte dies mit einer umfangreichen Darstellung unterschiedlicher kausaler Abläufe, der Klinik sowie entsprechenden Therapieoptionen. Eine ähnliche Gefahr geht vom Sekundärglaukom nach intraokularen Entzündungen aus, wie Dr. Christoph M. E. Deuter, Tübingen, in seinem Beitrag betonte. Verschiedene Pathomechanismen der mit Druckproblemen assoziierten Uveitisformen erfordern auch differierende medikamentöse und operative Therapieformen. Hier zählen Druckanstiege oftmals zu den am schwierigsten zu behandelnden Komplikationen.
Freie Themen und ergänzende Veranstaltungen
In einer abschließenden wissenschaftlichen Sitzung sowie in einer Posterpräsentation berichteten vorwiegend junge Kollegen über die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sowie über praxisbezogene Themen.
Darüber hinaus wurde das mit Spannung für Samstagnachmittag erwartete Roundtable zur Berufspolitik zu einem der Höhepunkte der Jahrestagung. Unter der Moderation von Dr. Hans Biermann, Köln, und einer regen, zum Teil kontroversen Diskussion der Zuhörer setzten sich Prof. Dr. Gernot I. W. Duncker, Halle (DOG-Präsident), Prof. Dr. Bernd Bertram, Aachen (2. BVA-Vorsitzender) und Dr. Olaf Linke, Sangerhausen (Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt des BVA) mit brisanten aktuellen Problemen der Gesundheitsentwicklung im ambulanten und stationären Bereich auseinander.
Zu diesem Zeitpunkt war die Weiterbildungsveranstaltung für Pflegepersonal und Arzthelferinnen bereits beendet. In einem bis auf den letzten Platz gefüllten Hörsaal wurden unter dem Thema „Notfälle am Auge – was ist zu tun?“ krankenpflegerische Aspekte aber auch Fragen der Zusammenarbeit von Ambulanz mit ihren Spezialsprechstunden und stationärem Bereich oder der Pflegeprozesssteuerung erörtert.
Fazit
Der Anspruch der Gesellschaft der Augenärzte Sachsen-Anhalts und Thüringens e.V. mit ihren wissenschaftlichen Veranstaltungen gerade den niedergelassenen Augenärzten eine praxisrelevante Fortbildung anzubieten, ist durch diese Tagung eindrucksvoll umgesetzt worden, so jedenfalls die ersten Einschätzungen vieler Teilnehmer. Zum Gelingen der Tagung trug auch das große Interesse der Industrie bei (36 Industrieaussteller).
Die besten Beiträge wurden jeweils am Ende der Sitzung mit dem bereits traditionellen Vortragspreis beziehungsweise einem Posterpreis ausgezeichnet.
Neue Angebote zur Hospitation an den größeren stationären Einrichtungen in Sachsen-Anhalt und Thüringen sollen das Wir-Gefühl der Mitglieder stärken und die Attraktivität der Gesellschaft für alle Augenärzte in den beiden Bundesländern erhöhen.
Jahrestagung SATh 2008
Die nächste Jahrestagung ist für Oktober 2008 in Gera geplant und wird unter dem Hauptthema Lider, Orbita, Tränenwege von den Augenkliniken Jena und Gera gemeinsam organisiert.