Neue Studienergebnisse zum Netzhautimplantat

Wissenschaftler des Departments für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Tübingen konnten in einer Studie erstmals zeigen, dass ein unter die Netzhaut eingepflanzter, lichtempfindlicher Chip bei erblindeten Menschen Sehleistungen wiederherstellen kann, die bis hin zur Erkennung von Buchstaben und Wörtern reichen, teilte die Universität mit.

Das subretinale elektronische Netzhautimplantat, das von der Firma Retina Implant AG, Reutlingen, produziert wird, arbeitet mit 1500 lichtempfindlichen Dioden, Verstärkern und Elektroden auf einem drei mal drei mm großen Chip, der das Bild in ein Raster von elektrischen Impulsen umwandelt, die über Netzhautneurone an das Gehirn weiterleitet werden. Bisher blinde Patienten hätten damit Lichtquellen oder helle Gegenstände (z.B. Teller, Tasse) lokalisieren und erkennen können. Einer der Patienten sei in der Lage gewesen, auch unbekannte Objekte korrekt zu identifizieren oder die Zeigerstellung einer großen Uhr abzulesen. Darüber hinaus habe er einzelne Buchstaben erkannte und hätte daraus Wörter bilden sowie 7 verschiedene Graustufen unterscheiden können, heißt es in der Mitteilung der Universität.

Allerdings sei ein solcher Chip nicht einsetzbar, wenn die Netzhaut in weit fortgeschrittenen Stadien der Netzhautdegeneration stark vernarbt und nicht mehr durchblutet ist oder der Sehnerv massiv beschädigt ist. Ziel der Forschungsarbeiten ist es, bei Blinden, deren Stäbchen und Zapfen in der Netzhaut degeneriert sind – beispielsweise durch Retinitis Pigmentosa – diese verlorene Funktion durch ein Netzhautimplantat zu ersetzen.

Im Zuge der langjährigen, wissenschaftlich von Prof. Dr. Eberhart Zrenner vom Forschungsinstitut für Augenheilkunde der Universität Tübingen geleiteten Forschungsarbeiten seien zahlreiche Untersuchungen erforderlich gewesen, um beispielsweise die richtigen Materialien zu finden, die zum einen im Menschen bioverträglich sind und gleichzeitig der empfindlichen Elektronik ausreichend Schutz bieten, heißt es weiter. Es mussten die minimalen und maximalen Reizströme bestimmt werden, die über die Netzhaut und die nachgeschalteten Nervenstrukturen zu einer Erregung in der Sehbahn führen, die dann die Information an das Gehirn weiterleitet. Augenchirurgen mussten eine neue Implantationstechnik entwickeln, die es erlaubt, den Chip weit nach hinten unter die Netzhaut zu schieben – und gleichzeitig eine Kabelverbindung zu einem Ort hinter dem Ohr für Stromversorgung und Chipsteuerung zu schaffen.

Bisherige und künftige Studien

In einer Pilotstudie wurden elf Patienten operiert, die zwischen zwei und fünfzehn Jahre lang blind waren. Wie es seitens der Universität heißt, konnten bereits dem ersten Patienten mit einem separaten Elektrodenfeld an der Spitze des Implantates die Wahrnehmung heller Balken, zusammengesetzt aus einzelnen Bildpunkten, ermöglicht werden. Fünf der elf operierten Patienten hätten das Implantat nutzen können, um Lichtquellen oder große helle Objekte zu erkennen und zu lokalisieren. Bei den letzten, in der Publikation vorgestellten drei Patienten sei der Chip unter oder in der Nähe der Makula, also der Stelle des vormals schärfsten Sehens, implantiert worden. Der letzte Patient, dessen Ergebnisse in der vorliegenden Publikation detailliert beschrieben werden, habe auch unbekannte Objekte korrekt identifizieren (z.B. eine Banane oder Apfel) können, eine große Uhr ablesen sowie einzelne Buchstaben und Wörter erkennen.

Die aktuell vorliegende Publikation fasst die Ergebnisse von zwei männlichen und einer weiblichen blinden Patientin im Alter von 40, 44 und 38 Jahren zusammen, die alle ihre Lesefähigkeit mindestens fünf Jahre vor der Implantation verloren hatten. Eine europaweite Hauptstudie mit weiteren 25 Patienten und einer überarbeiteten, komplett unter der Haut liegenden Version des Implantates hat nach Angaben der Universität inzwischen begonnen.

Titel der Originalpublikation

Journal: Proceedings of the Royal Society B Subretinal electronic chips allow blind patients to read letters and combine them to words doi: 10.1098/rspb.2010.1747

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