„Meilenstein in der Langzeitkultivierung von Gewebe gesetzt“
Forschern der Universität Leipzig ist es erstmals gelungen, mit einem neu entwickelten Verfahren adultes Gewebe über einen längeren Zeitraum zu erhalten. Wirkstoffe können so direkt in der Petrischale getestet werden. Tierversuche und klinische Studien am Menschen werden dadurch überflüssig. Eine komplette Netzhaut etwa kann nun im Labor kultiviert und erforscht werden.
„Ein Meilenstein in der Langzeitkultivierung von adultem Gewebe“, das vermeldet ein interdisziplinäres Forscherteam der Universität Leipzig. „Wir können erstmals spezielle nanostrukturierte Substrate aus Titandioxid-Nanoröhrchen erzeugen und die Oberflächenparameter so anpassen, dass sie eine Langzeitkultivierung adulter neuronaler Gewebeschnitte ermöglichen“, erklärt die Leipziger Biophysikerin Dr. Mareike Zink, die das neue Verfahren gemeinsam mit der Doktorandin Valentina Dallacasagrande, betreut von Prof. Dr. Josef Alfons Käs von der Fakultät für Physik und Geowissenschaften und Prof. Andreas Reichenbach vom Paul-Flechsig-Institut, sowie zusammen mit der Arbeitsgruppe von Prof. Stefan Mayr vom Leibniz-Institut für Oberflächenmodizifierung e.V. und dem Translationszentrum für regenerative Medizin (TRM) entwickelt hat. „Unsere Arbeit bietet vielfältige neue Möglichkeiten, etwa Wirkstofftests in vitro, also im Reagenzglas oder in der Petrischale“. Ein ausführlicher Artikel dazu erschien gerade im renommierten Fachmagazin „Advanced Materials“. Im Sommer letzten Jahres wurde bereits ein europäisches Patent beantragt.
Die organotypische Kultivierung von entnommenem Gewebe bietet nicht nur Möglichkeiten, die Gewebestrukturen in der Petrischale zu erforschen, sondern auch den Einfluss externer Stimuli wie den Einfluss von Wirkstoffen auf Zellfunktionen zu beobachten. Bei dieser Form der Kultivierung wird das Gewebe vollständig in seiner ursprünglichen Form erhalten. Somit bilden organotypische Kulturen einen „Kompromiss“ zwischen In-vivo-Experimenten und typischen Zellkulturen. Ein weiterer Vorteil sei die Kosten- und Zeitersparnis im Vergleich zu Tierexperimenten. Außerdem seien sie ethisch weniger bedenklich und bergen weniger Risiken als klinische Studien am Menschen. Ein wichtiges Beispiel ist die organotypische Kultivierung einer kompletten Netzhaut, um Augenerkrankungen zu verstehen oder von neuronalem Gewebe wie Hirnschnitten, etwa zur Erforschung von Veränderungen des Nervensystems und der Bildung von Synapsen, sowie von Regenerationsmechanismen des Gehirns.
Viele Forschungsvorhaben können nur an adultem, vollständig ausdifferenziertem Gewebe erforscht werden, da viele zelluläre Eigenschaften und Interaktionen erst im erwachsenen Gewebe ausgebildet sind. Das Problem hierbei ist, das adultes Gewebe – zum Beispiel des Gehirns oder der Netzhaut – sich innerhalb weniger Stunden oder Tage verändert und schließlich abstirbt, wenn es außerhalb des Körpers kultiviert wird. Probleme ergeben sich auch in der Versorgung des Gewebeschnitts mit Nährstoffen, da zum einen genügend Kultivierungsmedium zugeführt werden muss, um das Überleben der Zellen zu sichern. Andererseits darf das Gewebe nicht mit Nährflüssigkeit bedeckt sein, um einen ausreichenden Gasaustausch mit der Umgebung zu garantieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die gute Anhaftung des Gewebes an der Substratunterlage, das die Grundlage für den Strukturerhalt und der Verhinderung des Zelltods bildet. Seit Jahrzehnten werden diese Probleme dadurch gelöst, dass das Gewebe auf einer Membran platziert wird, die von unten mit Nährflüssigkeit versorgt wird. Diese dringt durch den Filter und versorgt so das Gewebe. Neueste Techniken benutzen solche Filter in Kombination mit Perfusionssystemen. Dennoch konnten komplexe neuronale Gewebestrukturen bislang nur wenige Tage erhalten werden.
Die neuen nanostrukturierten Substrate bieten nicht nur die Möglichkeit, das neuronale Gewebe über einen Zeitraum von zwei Wochen vollständig zu erhalten, sondern auch die Zufuhr des Nährmediums aufgrund der Oberflächeneigenschaften neu zu optimieren. Die Nutzung technisch aufwendiger Perfusionssysteme wird dadurch überflüssig.
Quelle: Universität Leipzig
Weitere Informationen:
Dr. Mareike Zink
E-Mail: .(Javascript muss aktiviert sein, um diese Mail-Adresse zu sehen)