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Kongress DOG 2009

Interview mit Prof. Dr. Peter Wiedemann
Zum 107. DOG-Kongress wird in diesem Jahr vom 24. bis 27. September ausnahmsweise nicht nach Berlin, sondern nach Leipzig geladen. Unter dem Schwerpunktthema „Lebenslang gut sehen – weil Augenärzte forschen, lehren, heilen und helfen“ sollen diagnostische Strategien und therapeutische Konzepte diskutiert werden, die für möglichst viele Menschen ein lebenslanges gutes Sehen ermöglichen. DER AUGENSPIEGEL sprach mit dem diesjährigen DOG-Präsidenten Prof. Dr. Peter Wiedemann.

Bild DER AUGENSPIEGEL:
Die DOG tagt traditionell in Berlin. Wie kam es zu der Entscheidung für den diesjährigen Standortwechsel?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Anlass ist das 600-jährige Bestehen der Universität Leipzig, der zweitältesten deutschen Universität in ununterbrochener Tätigkeit.

DER AUGENSPIEGEL:
Das diesjährige Schwerpunktthema lautet „Lebenslang gut sehen – weil Augenärzte forschen, lehren, heilen und helfen“. An welchen Aspekten in der Augenheilkunde ist Ihnen dabei besonders gelegen?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Ich habe das Thema gewählt, weil es einerseits zeigen soll, was unsere Patienten wirklich wollen, nämlich ein ganzes Leben lang gut sehen. Und es soll zeigen, was wir Augenärzte spezifisch dazu beitragen: Wir erforschen Krankheitsursachen, wir bilden junge Ärzte und andere Mitarbeiter aus, wir heilen durch Medikamente und Operationen und helfen durch Rehabilitationsmaßnahmen. Das beschreibt auch das Selbstverständnis der DOG. Es klingt vielleicht theoretisch, aber Sie werden sehen, dass im Programm insbesondere am Samstag und Sonntag praktisch-klinische Themen vorherrschen. Mir selbst ist natürlich besonders an den Aspekten der Retinologie gelegen.

DER AUGENSPIEGEL:
In Ihrer Rede zur Eröffnung gehen Sie der provokanten Frage nach, ob wir Universitäts-Augenkliniken noch brauchen. Worin sehen Sie derzeit die größte Bedrohung für die Kliniken?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Kliniken wie Praxen stehen unter großem ökonomischem Druck. Ich glaube, dass die größte Bedrohung für unser Fach und damit auch für die Augenkliniken in einer Abkopplung der Augenheilkunde vom Rest der Medizin liegt. Die wirklich bedeutsamen Fragen der heutigen Medizin können nicht durch einzelne Chirurgen gelöst werden, so spektakulär gewisse operative Erfolge auch sind. Hier muss der Augenheilkunde immer bewusst bleiben, dass sie ein sehr schönes und wichtiges Gebiet der Medizin ist, aber dass Katarakt‑ und Netzhautchirurgie alleine bei weitem nicht die ganze Dimension des Faches umfassen.

DER AUGENSPIEGEL:
Wie können Lösungen gestaltet werden?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Universitätskliniken sind kein Selbstzweck. Den Bedürfnissen der Patienten und der Studenten wird man die Struktur und Organisation von Patientenversorgung sowie Forschung und Lehre anpassen müssen. Ohne stationäre Behandlung wird man auch in Zukunft nicht auskommen können.

DER AUGENSPIEGEL:
Wäre ein Klinik-Szenario vorstellbar, in dem Krankenversorgung und Forschung getrennt sind?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
An einer Universitäts-Augenklinik gehören Krankenversorgung und Forschung zusammen. Man sagt: „Krankenversorgung für heute, Forschung für morgen.“ Das bedeutet nicht, dass die Organisation nicht in der Form eines Departments erfolgen kann, in dem es einen Bereich gibt, der sich speziell der Forschung widmet und einen, der sich vornehmlich der Krankenversorgung widmet. Die Interaktion der beiden Bereiche muss aber gewährleistet sein.

DER AUGENSPIEGEL:
Innovationsdruck, Kooperationen, ambulante Versorgung und betriebswirtschaftliche Ausrichtung sind nur einige der Herausforderungen, die sich gegenwärtig für Kliniken stellen. Werden sich die Kliniken in diesem Spannungsfeld behaupten?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Innovationsdruck hat es immer gegeben und wir sind damit zurechtgekommen. Sonst wäre die Universität nicht 600 Jahre alt geworden und ebensowenig zum Beispiel die Leipziger Universitätsaugenklinik über 150 Jahre. Gerade die Universitätsmedizin hat alle Möglichkeiten mit anderen Gebieten der Biomedizin bei der Lösung wesentlicher Fragestellungen zu kooperieren. Die ambulante Versorgung ist notwendig und sollte die stationäre ersetzen, wo immer dies möglich ist. Vor der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung habe ich auch keine Sorgen. Unser Klinikum zum Beispiel erzielt schwarze Zahlen. Die Ökonomisierung der Medizin hat ihre Grenzen am Wohl der Patienten. Ein Krankenhaus ist keine Fabrik. Pragraph 1 der Bundesärzteordnung lautet: Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des ganzen Volkes.

DER AUGENSPIEGEL:
Welchen Spielraum zur Einflussnahme auf die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen des Faches bzw. der Situation an den Kliniken hat die DOG als wissenschaftliche Gesellschaft?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Ich sehe die DOG als die zentrale Repräsentation der deutschen wissenschaftlichen Augenheilkunde. Da muss sie vielleicht mehr als bisher zu allen wichtigen und aktuellen klinischen Fragestellungen Stellung nehmen. Dies erfordert natürlich auch einen Ausbau ihrer Organisation. Die Therapiefreiheit des einzelnen Arztes ist ein hohes Gut, aber keiner kann sich heute gegen die evidenzbasierte Medizin stellen. Das große Fachwissen, das in den Sektionen der DOG und den assoziierten Gesellschaften vorhanden ist, müssen wir noch stärker zur Geltung bringen.

DER AUGENSPIEGEL:
Zur letztjährigen DOG sind mit der DOG-Roadmap Zielsetzungen und künftige Aktivitäten als Leitlinien formuliert worden, zu denen auch Ziele wie Forschungsförderung, Nachwuchsförderung, Aus- und Weiterbildung zählten. Was hat sich in der Zwischenzeit getan?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Die in der Roadmap formulierten Ziele wurden und werden auch in den wirtschaftlich angespannten Zeiten konsequent weiterverfolgt. Die DOG hat in den letzten Monaten einige wichtige Initiativen zur Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Augenheilkunde unternommen. Ein erster Schritt war die Einrichtung einer Plattform für junge Ophthalmologen, die sich in Forschung und Wissenschaft engagieren wollen. Die AG entsendet einen Sprecher in das Gesamtpräsidium, um den Austausch mit dieser Gruppe zu intensivieren. Nach wie vor fördert die DOG natürlich auch Forschungsprojekte gerade von jungen Wissenschaftlern in erheblichem Umfang. Um die Studenten so früh wie möglich für die Augenheilkunde zu begeistern, hat die DOG eine Internetseite „A wie Augenarzt“ ins Leben gerufen, die wichtige Inhalte für das Studium und Informationen zum Fachgebiet liefert. Dieses Angebot wird kontinuierlich ausgebaut. Gemeinsam mit dem Berufsverband positioniert sich die DOG zu den neuen Anforderungen der Facharztausbildung.

DER AUGENSPIEGEL:
Ein weiterer Festvortrag widmet sich dem Thema „Potentiale eines längeren Lebens“. In der Medizin spricht man ansonsten wenig charmant von der Überalterung der Gesellschaft als einer Herausforderung für die ärztliche Versorgung. Ist der Vortrag der Psychologin Ursula Staudinger ein positiver Gegenentwurf zu diesem Bild einer Gesellschaft von potentiellen Patienten?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Frau Professor Staudinger befasst sich mit Entwicklungs­möglichkeiten, Lebenssinn und Weisheit in den einzelnen Lebensphasen und hat gerade im Auftrag der Bundesregierung Empfehlungen zum Altern in Deutschland vorgelegt. Ich bin ganz sicher, dass sie nicht die Tristesse des Alterns betonen wird, sondern vielmehr die Möglichkeiten aufzeigt, die man auch im höheren Alter haben kann. Höheres Alter ist ja lange Zeit relativ. Ich denke daher, dass das Thema des Festvortrags alle sehr interessieren wird, denn auch der Nachwuchs wird jeden Tag älter. Der Vortrag passt so gesehen sehr gut zum Thema des Kongresses.

DER AUGENSPIEGEL:
In diesem Jahr wird es keine Podiumsdiskussion geben. Seit der ersten Podiumsdiskussion vor drei Jahren ging es immer um die Forschungssituation an den Universitäts-Kliniken. Sind die Themen damit erschöpft?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Themen zur Forschungssituation an den Universitätskliniken sind natürlich nicht erschöpft. Man kann in einer halben Stunde mit mehreren Diskutanten nicht alle Probleme einer Lösung zuführen. Deswegen und auch zur Abwechslung haben wir uns dieses Jahr für einen Festvortrag entschieden.

DER AUGENSPIEGEL:
Zur Eröffnung wird ein Kooperationsvertrag mit der OSEA, der Ophthalmological Society of East Africa, unterzeichnet. Damit erfüllt sich auch ein Wunsch, den Dr. Ilako, Leiterin der Universitäts-Augenklinik Nairobi, zur Eröffnung der DOG 2007 geäußert hat. Welche Bedeutung kommt der Zusammenarbeit zu und welche Aktivitäten wird es geben?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Der Kooperationsvertrag mit der OSEA zeigt auf, dass die DOG, die ja die deutsche Augenheilkunde auch international vertritt, sich in den nächsten Jahren spezifisch um Afrika, und zwar besonders um Ostafrika, kümmern möchte. Damit sollten Kräfte und Ressourcen gebündelt und konzentriert zum Einsatz gebracht werden, wie es auch das ICO den nationalen Fachgesellschaften nahelegt. Mit Afrika, insbesondere Ostafrika, unterhält die DOG bereits intensive Kontakte. Zu den Projekten, die geplant sind, zählen u.a. die Koordinierung und Förderung gemeinsamer Forschungsvorhaben, der Austausch von Nachwuchskräften und eine enge Kooperation in Fragen der Aus-, Fort- und Weiterbildung.

DER AUGENSPIEGEL:
Das wissenschaftliche Programm umfasst alle Themenbereiche des ophthalmologischen Spektrums. Gibt es Aspekte, die einen besonderen Stellenwert einnehmen?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
Erstmals sind in diesem Jahr ein Symposium mit der AAO und ein Symposium mit der Chinesischen Ophthalmologischen Gesellschaft im Programm, und natürlich gibt es auch wieder eine Gastregion aus Osteuropa – das Baltikum – und das Europäische Symposium. Wir haben zahlreiche bedeutende Referenten aus dem In- und Ausland, zwei so genannte keynote lectures und die von Graefe-Vorlesung. Wichtig erscheint mir auch ganz aktuell ein Symposium zur Patientensicherheit. Das Consilium diagnosticum wird mit interaktiver Beteiligung der Zuhörer mit neuen Experten unter Leitung von Herrn Prof. Seitz stattfinden. Das attraktive Kursprogramm wird beibehalten.

DER AUGENSPIEGEL:
Leipzig begeht besondere Feierlichkeiten. Werden die Teilnehmer des Kongresses Gelegenheit haben, daran teilzunehmen? Was sieht das festliche Rahmenprogramm vor?

Prof. Dr. Peter Wiedemann:
20 Jahre nach der Wende hat sich in der Stadt vieles geändert im Vergleich zum Kongress 1991. Leipzig begeht ein Festjahr mit dem 600-jährigen Bestehen der Universität. Natürlich finden nicht alle Veranstaltungen im Zeitfenster der DOG statt. Aber es gibt eine Ausstellung „Erleuchtung der Welt und Beginn der modernen Wissenschaften“, die sehr sehenswert ist. Das Rahmenprogramm des Kongresses umfasst neben der Eröffnungsparty am Freitag ein Benefizkonzert des Kammerorchesters der DOG in der berühmten Leipziger Thomaskirche zugunsten der Verhütung von Blindheit und am Samstag einen Festabend in der Media City.

DER AUGENSPIEGEL:
Herr Professor Wiedemann, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Ulrike Lüdtke.

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