Gliazellen setzen wie Nervenzellen Botenstoffe frei

Wissenschaftler der Universität Leipzig konnten im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts den Nachweis führen, dass Nervenzellen und Gliazellen ähnliche Wirkmechanismen haben, teilt die Universität Leipzig mit. Beide setzen zur Kommunikation Botenstoffe frei, was Gliazellen bislang abgesprochen wurde.

Der Nachwuchswissenschaftlerin Dr. Antje Grosche vom Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung der Medizinischen Fakultät ist der Beweis dafür gelungen, das Gliazellen vesikulär den Botenstoff Glutamat freisetzen können. In weiteren Experimenten konnte gezeigt werden, dass diese Glutamatfreisetzung für die schnelle Volumenregulation der Netzhautzellen unabdingbar ist. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen soll in zukünftigen Experimenten der Einfluss einer gestörten Glutamatfreisetzung aus Gliazellen auf die Entstehung von Netzhautödemen, die als Komplikation zahlreicher Netzhauterkrankungen zur Erblindung führen, untersucht werden.

Im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts konnten Wissenschaftler des Leipziger Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung nun den entscheidenden Schritt beisteuern, um den endgültigen Beweis für eine umstrittene Hypothese zu liefern: Ebenso wie Nervenzellen können Gliazellen Botenstoffe freisetzen und damit Informationen an Nachbarzellen weitergeben.

Für den Nachweis, dass Gliazellen ebenso wie Nervenzellen Botenstoffe freisetzen können, wurde die lähmende Wirkung von Botox genutzt, das in Nervenzellen verhindert, dass die Synapsen aktiv und Botenstoffe aus den Bläschen freigesetzt werden. Hierfür wurden in Frankreich Mäuse mit Gliazellen gezüchtet, die Botox künstlich selbst herstellen und somit auch vermutete Mechanismen der Informationsverarbeitung in sich blockieren. „Wenn das Gift schlicht von außen draufgegeben worden wäre, hätte es sowohl Nerven- als auch Gliazellen erreicht und ein spezifischer Effekt auf die Gliazellen wäre nicht nachweisbar gewesen“, heißt es in dem Bericht der Universität.

In einem nächsten Schritt galt es, normale Gliazellen und die mit Botox manipulierten zu vergleichen. Dafür habe Dr. rer. nat. Antje Grosche (30) in Leipzig aus verschiedenen Techniken eigens eine neue Methode entwickelt, um frische Gliazellen zu isolieren und beobachten zu können, wie sie Botenstoffe über den Bläschenmechanismus freisetzen. „Von der Größe her arbeitet man dabei absolut an der Nachweisgrenze.“ Tatsächlich konnte sie bei Gliazellen aus der Netzhaut feststellen, dass sie den Botenstoff Glutamat freisetzen.

Das Ergebnis sei gewesen: Normale Gliazellen hätten Botenstoffe freigesetzt, Botox-Gliazellen seien dagegen völlig blockiert gewesen und hätten einen teilweisen Funktionsverlust gezeigt. In ihnen sei die Interaktion zwischen Glia- und Nervenzellen ebenso gestört wie der Abtransport von Flüssigkeit aus der Netzhaut, was lebensbedrohlich für die Zellen sei, weil sie drohten anzuschwellen und zu platzen.

Schlussfolgerungen

„Die Ergebnisse der Mausstudie sind auf den Menschen übertragbar. Wir besitzen also zwei Sorten ziemlich cleverer Zellen im Nervengewebe, die gut zusammenarbeiten, damit wir als Ganzes gut funktionieren“, fasst Arbeitsgruppenleiter Professor Andreas Reichenbach die Ergebnisse zusammen. „Bildhaft kann man sagen, Nervenzellen verdienen das Geld in der Familie, sind aber zu beschäftigt, um sich um den Haushalt zu kümmern. Die wichtigen Aufgaben, Nahrungsbeschaffung und Aufräumen, also Nährstoffe heran- und verbrauchte Botenstoffe nach der Informationsvermittlung wegzuschaffen, übernehmen die Gliazellen.“

Beide seien fast mit demselben Satz an Genen ausgestattet, würden sie entsprechend ihrer Aufgaben jedoch jeweils mehr oder weniger nutzen. „Wir haben herausgefunden, dass beides sehr differenzierte Zellen sind, trotzdem können sie sich gegenseitig nicht ersetzen“, ergänzt Dr. Antje Grosche. Zur Bedeutung der Ergebnisse sagt Professor Reichenbach: “Für diese Art herausragende Grundlagenforschung, ist es meist nötig, dass mehrere Arbeitsgruppen zusammenarbeiten. Niemand hat alle Techniken perfekt zur Verfügung. Kooperationen umfassen wie in unserem Fall häufig mehrere Länder. Wir hatten das Glück, dass wir am Ende den wichtigsten Teil beisteuern konnten.”

Die Forschungsergebnisse wurden aktuell im Wissenschaftsjournal „NEURON“ veröffentlicht:

Relevance of Exocytotic Glutamate Release from Retinal Glia”
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S089662731200335

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Andreas Reichenbach
Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung
E-Mail: .(Javascript muss aktiviert sein, um diese Mail-Adresse zu sehen)
http://www.uni-leipzig.de/~pfi

 

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