Bonn: Einzelne Lichtsinneszellen bei Testpersonen stimuliert

In einem menschlichen Auge gibt es rund 120 Millionen lichtempfindliche Sinneszellen. Forschern der Universität Bonn, der University of California und der University of Alabama ist es nun erstmals gelungen, bei lebenden Personen einzelne dieser Zellen gezielt zu beleuchten. Die bahnbrechende Methode verspreche neue Antworten auf die Frage, wie das Auge Lichtreize zu Bildern verarbeitet, teilt die Universität Bonn. Außerdem erwarten sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse dazu, was bei Krankheiten mit den Lichtsinneszellen passiert. Auch die Wirkung von Medikamenten lässt sich möglicherweise direkt sichtbar machen. Die Arbeit erscheint im „Journal of Neuroscience“.

Die Funktion einzelner Lichtsinneszellen ließ sich bislang nur an Gewebepräparaten studieren. Welcher Sinneseindruck im Menschen entsteht, wenn man ganz gezielt bestimmte Zellen beleuchtet, lässt sich so jedoch nicht erforschen, heißt es in dem Bericht der Universität. Das deutsch-amerikanische Forscherteam habe diese Frage nun erstmals beantwortet. Mit einer ausgeklügelten Apparatur konnten die Wissenschaftler bei vier Testpersonen einzelne Farbsinneszellen (so genannte Zapfen) im Auge stimulieren. Der Erfolg sei bahnbrechend, weil er einen völlig neuen Einblick in die Bildentstehung erlaube: Die Sinneszellen in der Netzhaut sind durch Nervenzellen miteinander verschaltet. Hier finden bereits grundlegende Schritte der Bildverarbeitung statt – die Netzhaut ist also streng genommen schon Teil des Gehirns. Mit der neuen Methode lässt sich untersuchen, auf welche Weise die Signale einzelner Zapfen miteinander verrechnet werden.

In der Studie nahmen die Probanden schon dann einen Lichtreiz wahr, wenn bei ihnen ein einzelner Zapfen mit Laserlicht beleuchtet wurde. Das galt aber nur, wenn die Lichtintensität eine bestimmte Schwelle überschritt. Zudem sind die Zapfen keineswegs überall gleich empfindlich. An ihrem Rand (also dort, wo sie mit anderen Zapfen zusammenstoßen) nimmt ihre Sensitivität deutlich ab. „Wir konnten zudem zeigen, dass die Wahrnehmungsschwelle am Rande des Sehfeldes erheblich höher liegt“, erklärt Dr. Wolf Harmening von der Universitäts-Augenklinik Bonn. „Das war auch zu erwarten. Man weiß, dass in der Netzhaut-Peripherie die Reize mehrerer Sinneszellen miteinander verrechnet werden, bevor sie weiter geleitet werden. Im Zentrum der Netzhaut ist das anders. Wir konnten diese Verschaltung nun erstmals auf der Ebene einzelner Zellen direkt untersuchen.“

Bessere Erforschung von Augenkrankheiten

Hohe Erwartungen weckt die neue Methode für die Erforschung von Augenkrankheiten. „Bislang konnten wir nur sehen, wie sich die Netzhaut auf Zellebene verändert – ob beispielsweise die Zahl der Zapfen abnimmt“, erklärt Dr. Harmening. „Nun können wir prüfen, ob die Funktion der Zellen bereits im Vorfeld beeinträchtigt ist.“ Auch die Wirkung von Medikamenten lässt sich so direkt sichtbar machen – etwa, ob diese den Funktionsverlust der Sehzellen aufhalten oder zumindest bremsen können. Bislang ist man für derart detaillierte Untersuchungen auf Präparate aus verstorbenen Patienten oder auf Tiermodelle angewiesen.

Hitech-Methoden aus der Astronomie

Einzelne Lichtsinneszellen zu stimulieren, ist alles andere als trivial. Einerseits sind unsere Augen nie wirklich ruhig, auch wenn wir einen Punkt fixieren. Die Sehzelle, die beleuchtet werden soll, bewegt sich also ständig hin und her. Diese Bewegung – Wissenschaftler sprechen von Mikrosakkaden – lässt sich willentlich nicht unterbinden. Andererseits ist das Auge aus optischer Sicht keineswegs perfekt: So ist die Linse nicht so geformt, dass sie ein absolut scharfes Bild erzeugen würde. Zudem wird das einfallende Licht wie durch ein Prisma in alle Regenbogenfarben aufgefächert und beim Weg durch den Augapfel weiter gestreut. Aus einem scharfen Punkt wird so auf der lichtempfindlichen Netzhaut ein verschmierter Fleck.

Mit Computerhilfe lässt sich für jede Testperson individuell bestimmen, wie der Laserstrahl zu fokussieren ist, damit er trotz dieser optischen Schwächen nicht verschmiert. Dabei kommt ein biegsamer Spiegel zum Einsatz – ähnlich wie bei Hightech-Teleskopen in der Astronomie. Ein weiteres Computerprogramm überwacht die Augenbewegung. Es schießt den Laserstrahl immer dann ab, wenn sich die gewünschte Zelle an der passenden Position befindet. „So stellen wir sicher, dass wir genau eine Zelle wiederholt beleuchten“, betont Dr. Harmening. „Nur so können wir sie individuell untersuchen.“

Publikation: Mapping the Perceptual Grain of the Human Retina; Wolf M. Harmening, William S. Tuten, Austin Roorda und Lawrence C. Sincich; The Journal of Neuroscience, DOI: 10.1523/JNEUROSCI.5191-13.2014

Quelle:
Universitäts-Augenklinik Bonn

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