Cannabis im Straßenverkehr
Zum 1. April wurde in Deutschland für Erwachsene der private Besitz und Konsum von geringen Mengen Cannabis legalisiert. Doch kann man unter THC-Einfluss noch sicher Auto oder Motorrad fahren – oder ist das Sehvermögen zu stark eingeschränkt? Über Störungen der Tiefenwahrnehmung, verlangsamte Reaktionen, Blendungsempfindlichkeit und Linksabbiegerunfälle berichtete der Toxikologe Prof. Frank Mußhoff anlässlich des Kongresses der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG).
Im Rahmen der Einführung des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) ging die Ampelkoalition davon aus, dass es nach Einführung des Gesetzes zu einem höherfrequenten Konsum kommen kann. Sie fand es daher angebracht, die Sanktionshäufigkeit bei Personen, die Konsum und Fahren getrennt haben, zu reduzieren. Dazu kam es zu einer Erhöhung des Grenzwertes für den Wirkstoff Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum von 1 ng/ml auf 3,5 ng/ml. Fachgesellschaften und Polizei sehen das als sehr kritisch an, denn ein Cannabiskonsum kann sich in den ersten sechs Stunden erheblich auf die Fahrsicherheit auswirken. Ein gelegentlicher Konsument, von dem aufgrund fehlender Gewöhnung wohl eine höhere Gefahr ausgeht, liegt nach sechs Stunden durchaus wieder unter einem Wert von 1 ng/ml. Bei einem Grenzwert von 3,5 ng/ml liegt er deutlich früher unter dem Wert, auch wenn er Konsum und Fahren nicht getrennt hat und bei der Verkehrsteilnahme noch deutlich unter der Wirkung steht.
Kritisch für die Teilnahme am Straßenverkehr sind laut Mußhoff unter anderem: 1. Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit, 2. Verlängerung von Reaktions- und Entscheidungszeit, 3. Störung der Bewegungskoordination und 4. Auswirkungen auf das Sehvermögen. Insbesondere die Punkte 1 und 2 stehen bei Auffälligkeiten im Straßenverkehr im Vordergrund. Aktuelle Studien belegen aber auch erhebliche Beeinträchtigungen der Sehfunktionen. Unter Cannabiseinfluss ist demnach die Tiefenwahrnehmung gestört. Räumliches Sehen kommt durch die Zusammenarbeit beider Augen vor allem beim Betrachten naher Gegenstände und durch Verarbeitungsprozesse im Gehirn zustande, was unter THC-Einfluss gestört ist. Im Straßenverkehr bedeutet dies, dass Geschwindigkeiten, Abstände und Entfernungen nicht richtig eingeschätzt werden. In der Folge kommt es zum Beispiel zu Kurvenunfällen durch verspätetes Bremsen oder zu Unfällen mit Entgegenkommenden beim Linksabbiegen. Auch das Kontrastsehen soll gemindert sein, ferner wurde mehr Streulicht in den Augen THC-beeinflusster Studienteilnehmer gemessen. Als Folge ist man bei Gegenlicht stärker geblendet. Beides ist insbesondere bei Nachtfahrten bedeutsam. In einer weiteren Studie wurde belegt, dass die Schwierigkeiten mit der Tiefenwahrnehmung mit Spurhalteproblemen einhergehen. Auch wurde dargelegt, dass bei Cannabiseinfluss Augenbewegungen verzögert einsetzen. So erkennt man unter Cannabiseinfluss deutlich langsamer ein spielendes Kind am Fahrbahnrand oder einen auf die Straße rollenden Ball. Die im Straßenverkehr wichtige Fähigkeit, eine Umgebung schnell und effektiv zu erfassen und unmittelbar darauf zu reagieren, ist damit beeinflusst. Bei regelmäßigen Konsumenten sollen diese Defizite sogar andauern.
Eine Grenzwerterhöhung im Straßenverkehr zeitgleich mit einer Teillegalisierung von Cannabis ist ein falsches Signal und kann zu einer Bagatellisierung der Wirkung führen, so Mußhoff. Nach dem Konsum von Cannabis kann es zu sehr erheblichen verkehrssicherheitsrelevanten Wirkungen kommen, die es als zwingend geboten sehen, zwischen Konsum und Fahren zu trennen. Als ausreichend sind nach Empfehlung des ADAC 24 Stunden anzusehen; regelmäßige Konsumenten mit einer Kumulation von THC können aber auch weitaus länger sogar über dem neuen Grenzwert liegen.
Quelle: DOG