12. Berliner Immunologie Seminar (BIS)

Vaskulitis –Vaskulopathie: Vom Befund zur Diagnose
Das Kaiserin-Friedrich-Haus, gestiftet von Berliner Bürgern 1906 für die Ärztliche Fortbildung, blickt in diesem Jahr des 100-jährigen Bestehens auf eine wechselvolle Geschichte zurück: Nach dem 2. Weltkrieg nutzte die russische Militär-Kommandatur das Haus und danach diente es bis zur Wende der Akademie der Künste. Im Mai diesen Jahres war es erneut Tagungsort des nunmehr 12. Berliner Immunologie Seminars BIS, das den interessierten Teilnehmern im bis auf den letzten Platz besetzten Hörsaal praxisrelevante Kenntnisse und Empfehlungen zu Vaskulopathien im weiteren Sinne vermittelte. Ein zusammenfassender Beitrag von Priv.- Doz. Dr. Dieter E. Moeller.

Die Veranstaltung wurde eröffnet mit einem Beitrag von Prof. Dr. Thomas Dörner, Institut für Transfusionsmedizin der Charité, Campus Mitte, zu klinischen und pathogenetischen Aspekten zu Vaskulitis und Antiphospholipidsyndrom mit resultierenden Gerinnungsstörungen. Dörner wies dabei auf neue Erkenntnisse in der Interaktion von aktiviertem Endothel und den resultierenden Veränderungen im Gerinnungssystem hin. Zum therapeutischen Ziel gehören neben der Immunsuppression auch eine Reduktion der Endothelzellaktivierung sowie eine Intervention in das Gerinnungssystem. Mit diesem Beitrag wurde gleichzeitig die Bedeutung interdisziplinärer Diagnostik und Therapie verdeutlicht (Abb. 1).

Vaskulitis als interdisziplinäre Herausforderung

Seinem Vortrag Entzündungen der Orbita fügte Priv.-Doz. Dr. Bernhard Nölle, Universitäts-Augenklinik Kiel, den Untertitel Interdisziplinäre Herausforderung hinzu. Nölle wies auf die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Allgemeinmedizin, Innerer Medizin/Rheumatologie, HNO, MKG, Radiologie, Neurologie, Neurochirurgie und Pathologie mit der Ophthalmologie bei Diagnostik und Therapie der Orbitaentzündungen hin. Diese entstehen entweder primär orbital, per continuitatem aus der Nachbarschaft oder in Assoziation mit Systemerkrankungen wie EO, Systemische Vaskulitiden, Sarkoidose. Im Einzelnen sprach er zu Pseudotumor Orbitae, Orbitaler Myositis, Trochleitis, Dakryoadenitis, Orbitaentzündungen assoziiert mit dem lymphatischen System und sklerosierender Orbitaentzündung. Primär systemische Vaskulitiden nach der Chapel-Hill-Definition 1992 und die Bedeutung der ANCA wurden besprochen und die Häufigkeit okulärer Symptome bei systemischer Vaskulitis genannt. Es folgte eine ausführliche Diskussion von Klinik, Diagnostik und Therapie der Wegenerschen Granulomatose.

Vaskulitis an Hornhaut und Sklera

Der Beitrag des Veranstalters, Prof. Dr. Uwe Pleyer, Augenklinik der Charité, Campus-Virchow-Klinikum war dem Thema Vaskulitis an Hornhaut und Sklera gewidmet. Auch dieser Vortrag war gekennzeichnet von der Bedeutung interdisziplinärer Koordination und Kooperation bei der Diagnostik und Therapie der Vaskulitiden am Auge. Einleitend sprach der Autor zu Gefäßversorgung des Auges und Reaktionsformen der Vaskulitis sowie zur Anatomie der Sklera. Die Diagnostik von Episkleritis und Skleritis basiert auf Anamnese, ophthalmologischer und allgemeiner Untersuchung, Laboruntersuchungen und bildgebender Untersuchungen. Die Ursachen der Skleritis sind nichtinfektiös oder infektiös. Zu ersteren gehören rheumatologische Erkrankungen und Vaskulitiden. Infektiös bedingte Skleritiden können viral, bakteriell oder parasitär, aber auch durch Pilze hervorgerufen werden. Schließlich ist auch ursächlich an Hyperurikämie, seltener an Fremdkörper oder Tumoren zu denken. Zur Klassifikation wurde erwähnt, dass die Episkleritis diffus oder nodulär, die Skleritis sowohl anterior, diffus, nodulär, nekrotisierend oder auch posterior auftreten kann. Die Keratomalazie tritt als Spätstadium einer Systemerkrankung auf, wird uni- oder bilateral beobachtet, schließlich auch als Hornhautulkus. Periphere Hornhautulzera können als Erstmanifestation einer Systemerkrankung auftreten und damit zur deren Diagnose beitragen. Als häufigste Grunderkrankungen muss an rheumatoide Arthritis und Wegenersche Granulomatose gedacht werden, seltener an Panateriitis nodosa und systemischen Lupus Erythematodes. Zu Hautbefunden bei Vaskulitis sprach Dr. Martina Brunner von der Hautklinik des Städtischen Klinikums Dessau. Einleitend erfolgte eine ausführliche Diskussion der Vaskulitiden. Deren Einteilung (aus der Sicht des Rheumatologen) in Vaskulitiden kleiner bis mittlerer Gefäße, Systemvaskulitiden mittelgroßer Gefäße und Systemvaskulitiden großer Gefäße wurde an klinischen Beispielen mit reichem Bildmaterial erläutert.

Das differenzialdiagnostische Vorgehen bei retinaler Vaskulitis fasste Priv.-Doz. Dr. Lothar Krause, Univ.-Augenklinik der Charité, Campus Benjamin Franklin, in rechts abgebildetem Schema (Tab. 1) zusammen.

Akute Netzhautnekrose

Die akute Netzhautnekrose verläuft fulminant und kann in 30 Prozent der Fälle beide Augen betreffen, so Dr. Bert Müller, Augenklinik der Charité, Campus-Virchow-Klinikum. Trotz der gegenwärtigen Möglichkeiten intensiver medikamentöser und chirurgischer Therapie sind die Chancen, eine gebrauchsfähige Sehfunktion zu erhalten, gering. Nach Auffassung des Autors ist der schnelle Virusnachweis aus dem Kammerwasser mittels Vorderkammerpunktion eine wichtige differenzialdiagnostische und therapieentscheidende Hilfe. Der Virusnachweis mittels Antikörperanalyse im Serum gelingt nur in einem Drittel der Fälle, dagegen ist der Nachweis einer intraokularen Antikörpersynthese im akuten Stadium innerhalb der ersten zwei Wochen nach Erkrankungsbeginn und besonders im fortgeschrittenen Stadium deutlich höher. Trotz sofort begonnener antiviraler Therapie können direkt zytopathische Effekte, aber auch zirkulierende Immunkomplexe und hämatogen fortgeschwemmte infizierte Endothelzellen die Progression der Netzhautnekrosen fördern. Deshalb empfiehlt der Autor, 48 Stunden nach Beginn der antiviralen Therapie zusätzlich eine systemische Steroidtherapie und zur Verbesserung der Mikrozirkulation die Gabe von Azetylsalizylsäurepräparaten. Die frühzeitige Pars-plana-Vitrektomie und dauerhafte Silikonöl-tamponade können in schweren Fällen die Netzhaut stabilisieren und so eine brauchbare Sehschärfe erhalten. Hauptursachen der Erblindung sind Vaskulopathie und Optikusatrophie.

Alarmzeichen Vaskulitis

Zur Frage „Alarmzeichen Vaskulitis: Was sollte der Ophthalmologe wissen?“ gab Priv.-Doz. Dr. Ina Kötter, Medizinische Klinik des Univ.-Klinikums Tübingen, die Antwort. Nach Diskussion der Chapel-Hill-Klassifikation, der Schilderung aller Möglichkeiten der Organmanifestation sowie der ACR-Kriterien der Vaskulitiden wurden Polymyalgia rheumatica, Arteriitis cranialis, Morbus Wegener und Morbus Behcet besprochen. Es folgte die Empfehlung bei folgenden Augenerkrankungen an eine Vaskulitis zu denken:

• Skleritis/Episkleritis
• Uveitis anterior mit Hypopyon
• Retinale Vaskulitis
• Retinale Gefäßverschlüsse
• Retinale Infiltrate
• Opticus-Neuritis
• Amaurosis fugax
• Keratitis (Cogan Syndrom)

Diese Empfehlung resultiert nicht zuletzt daraus, dass der Augenarzt häufig der erste ist, der einen Patienten mit einer systemischen Vaskulitis sieht. Deshalb sollte bei erhärtetem Verdacht die Überweisung zum Internisten oder Rheumatologen erfolgen.

Retinale Gefäßverschlüsse

Der Beitrag von Prof. Dr. Lutz Hansen, Univ.-Augenklinik Freiburg, befasste sich mit dem Thema Retinale Gefäßverschlüsse – von der Pathogenese zur Therapie. Die Therapie der primären Gefäßverschlüsse ist schwierig, umstritten und nur in geringem Maße evidenzbasiert. Sie ist für arterielle Verschlüsse nicht besonders erfolgreich. Die anteriore ischämische Optikusneuro-pathie ist in die nicht-arteriitische (NAION) und arteriitische AION zu unterscheiden. Für die NAION werden ursächlich Verschlüsse der kleinen Arteriolen vermutet, die zu segmentaler Infarzierung der Papille führen. Die arteriitische AION ist gekennzeichnet durch einen Verschluss der Arteriolen als Folge einer Riesenzellarteriitis. Dabei ist oft der gesamte Sehnervenkopf infarziert und die Sehschärfe gegenüber der NAION stärker herabgesetzt. Wichtigstes Kriterium der Diagnostik ist der Ausschluss einer entzündlichen AION (BSG, CRP, Fibrin, evtl. Arterienbiopsie). Häufig ist das zweite Auge mit betroffen.

Notwendig sind auch Diagnostik bzw. Ausschluss kardiovaskulärer Risikofaktoren. Für die NAION gibt es keine durch klinische Studien sicher nachgewiesene funktionsverbessernde Therapie (Steroide, Hämodilution, Sehnervschlitzung). Azetylsalizylsäure kann zur sekundären Prophylaxe weiterer Gefäßverschlüsse erwogen werden. Die Arteriitis temporalis erfordert eine sofortige hochdosierte Steroidtherapie. Die Arterienbiopsie ist zur Sicherung der Diagnose empfehlenswert. Retinale arterielle Gefäßverschlüsse sind häufig Folge von Embolien, seltener von Thrombosen. Intrazelluläres Ödem führt zu sofortigen Visusverlust nach ein bis zwei Stunden Dauer ist die Retina irreversibel geschädigt. Inkompletter Gefäßverschluss ermöglicht eine Restdurchblutung die die Überlebenszeit der Netzhaut verlängern kann. Die Diagnostik soll Risikofaktoren ausschließen (kardiovaskuläre Erkrankungen mittels Echokardiografie, Dopplersonografie der Karotiden, Hypercholesterinämie, und Nikotinabusus). Die Labordiagnostik umfasst den Nachweis von APC-Resistenz, Protein C und S, Antithrombin 3 und Antiphospholipid Antikörpern. Arterielle Gefäßverschlüsse sind ohne Behandlung der Risikofaktoren von einer hohen Mortalitätsrate begleitet.

Die Behandlung des Gefäßverschlusses sollte innerhalb von 24 Stunden beginnen und besteht vor allem in lokaler Fibrinolyse, dazu Erhöhung des Perfusionsdruckes (Bulbusmassage zu Senkung des Intraokulardruckes, Acetazolamid) und/oder Hämodilution. Der retinale Venenverschluss (ZVV, AVV) ist wahrscheinlich Folge einer partiellen Thrombose, unterstützt durch anatomische Engstellen, nächtliches Absinken des arteriellen Blutdruckes und vor allem kardiovaskuläre Risikofaktoren, aber auch der erhöhte Augeninnendruck spielt eine Rolle. Bei jüngeren Patienten kann eine Thrombophilie (APC-Resistenz, Antiphospholipid-Antikörper) nachgewiesen werden. Zur Diagnostik gehört der Ausschluss assoziierter Erkrankungen. RAD und FAG erleichtern die Zuordnung zum ischämischen oder nicht ischämischen Typ des Verschlusses. Therapeutische Ansatzpunkte ergeben sich aus der Minderung von Risikofaktoren, Fibrinolyse, Gerinnungshemmung, Viskositätssenkung und/oder durch Hämodilution. Die chirurgische Beseitigung von Engstellen (Radiäre Optikoneurotomie, Arteriovenöse Dissektion) könnte zusätzlich sinnvoll sein. Das Therapieziel besteht in Verbesserung oder Erhalt der Sehschärfe sowie Verhinderung schwerer Komplikationen (persistierendes zystoides Makulaödem, Neovaskularisationsglaukom) mittels zusätzlicher intravitrealer Steroidbehandlung, antiangiogenetischer Behandlung und/oder Lasertherapie.

Akute ischämische Optikusneuropathie und AMD

Warum die akute ischämische Optikusneuropathie ein Problem für Patient und Augenarzt darstellt, erläuterte Prof. Dr. Klaus Rüther, Augenklinik der Charité, Campus Virchow Klinikum. Rüther nahm noch einmal ausführlich zu Pathogenese, Klinik, Diagnostik und Therapie der NAION Stellung.

Dem Thema „AMD: Bedeutung der Vaskulopathie für Diagnostik und Therapie“ war der Beitrag von Priv.-Doz. Dr. Joachim Wachtlin, Augenklinik der Charité, gewidmet. Die exsudative AMD ist gekennzeichnet durch eine Vaskulopathie mit Ausbildung von (meist choriodalen) pathologischen neovaskulären Gefäßen (CNV), die zu Extravasation mit klinischem Ödem und Leckage in der Angiographie führen. Zur Entstehung einer CNV tragen bei verschiedene Auslöser (wie freie Radikale, Veränderungen der Basalmembran) und Promoter (pro-inflamatorische Zytokine, pro-angiogenetische Faktoren wie Vaskular Endothelial Growth Faktor (VEGF)) sowie andere Mediatoren. Verbesserte Kenntnis der Entstehung von Neovaskularisationen ermöglichen neue spezifische therapeutische Konzepte. Das sind vor allem thermische Laserkoagulation, Photodynamische Therapie (PDT), intravitreale Gabe von Medikamenten (Triamcinolon, spezifische Anti-VEGF-Blockierung mit Pegabtanib, Ranibizumab, Bevacizumab) beziehungsweise die Kombination der Verfahren und die chirurgischen Optionen. Mit der Entwicklung neuer diagnostischer Möglichkeiten (ICG-Angiographie, OCT, Autofluoreszenz) gelang die Differenzierung einer Vielzahl von Unterformen der exsudativen AMD. Dazu gehören die retinale angiomatöse Proliferation (RAP), die polypoidale choriodale Vaskulopathie (PCVP), die chorioretinalen Anastomosen (CRA) und die Differenzierung der Pigmentepithelabhebung. Grundlage aller therapeutischen Erwägungen ist nach wie vor die sichere diagnostische Klärung der Makulopathie mit Analyse und Differenzierung der Neovaskularisation.

Glaukom: eine Vaskulopathie?

Den letzten, keinesfalls jedoch weniger wichtigen Beitrag gab Priv.-Doz. Dr. Carl Erb, Schlosspark-Klinik Berlin, zur Frage „Glaukom – eine Vaskulopathie?“. Das primäre Offenwinkelglaukom (POWG) ist nach Definition der European Glaucoma Society eine Gruppe chronisch progressiver Optikusneuropathien mit dem gemeinsamen Merkmal progressiver Zelltod von retinalen Gang-lienzellen und entsprechendem Gesichtsfeldverlust. Die Ursachen sind noch recht wenig erforscht, die konkreten Verkettungen der verschiedenen pathologischen Abläufe noch unbekannt. Das Interesse gilt deshalb gegenwärtig den Risikofaktoren, die ein POWG ungünstig beeinflussen. Unveränderbare Risikofaktoren sind zunehmendes Lebensalter, Myopie, genetische Vorbelastung und Hornhautdicke. Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren zählen individuell erhöhter Augeninnendruck, Rauchen und vaskuläre Risikofaktoren (arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie, Claudicatio intermittens).Wenn daraus resultiert, dass das POWG keine primäre vaskuläre Erkrankung ist, spielen vaskuläre Faktoren eine erhebliche Rolle beim POWG und können bedeutend in den Krankheitsprozess eingreifen und die Progression beschleunigen.

Dabei sind folgende Faktoren zu beachten: Ungleichmäßig kontrollierte Kreislaufsituation mit zu hohen oder zu niedrigen Blutdruckwerten sowie eine zu hohe Schwankungsbreite der Blutdruckwerte, Neigung zur Vasospastik, eventuelles Vorliegen eines Diabetes mellitus. Rauchen induziert eine erhebliche vaskuläre Belastung durch Vasokonstriktion, auch im Bereich der extraokularen Gefäße, Hypoxie und beschleunigte Atherosklerose. Eine beim POWG-Patienten generell nachgewiesene endotheliale Dysfunktion bedingt ein Ungleichgewicht in der Feinregulation des Gefäßendothels, da Stickoxid vermindert gebildet und Endothelin-1 dadurch im Übergewicht vorliegt. Aus diesen vaskulären Beeinträchtigungen gemeinsam resultieren autoimmunologische Entgleisungen, die zu einem erhöhten oxidativen Stress im Glaukomauge führen und dadurch die apoptotischen Vorgänge in den retinalen Ganglienzellen weiter begünstigen. Aus dem Gesagten resultiert für den praktischen Alltag in der Glaukom-betreuung neben der ausreichenden Augeninnendrucksenkung die Forderung nach korrekter Einstellung von Blutdruck und Blutzucker, Vermeidung vasospastischer Auslöser und unbedingter Vermeidung des Rauchens.

Fazit

Traditionell wurde wieder das Auditorium mittels TED in die differenzialdiagnostische Fragestellung projizierter Krankheitsbilder einbezogen, gleichsam bot eine weitere Auflockerung des Programms auch in diesem Jahr wieder das BIS-Quiz. Schlussfolgernd kann der Dank für das wiederum gelungene Symposium mit dem Wunsch auf weitere Veranstaltungen verbunden werden.

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