Wann ist eine Genom-Sequenzierung ratsam?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Broad Institute of MIT and Harvard, der Harvard Medical School sowie der Universitätsmedizin Leipzig haben in zwei voneinander unabhängigen Patientenkohorten gezeigt, unter welchen Umständen die Sequenzierung des gesamten Genoms Vorteile bei der Diagnose genetischer Erkrankungen bietet. Aufgrund ihrer breiten Datenbasis aus Forschung und aus klinischer Anwendung liefert die gemeinsam publizierte Studie wichtige Impulse für die diagnostische Praxis. Ihre Ergebnisse haben die Forscher im „The New England Journal of Medicine“ vorgestellt.
Genmutationen in der DNA des Menschen können dazu führen, dass Proteine für wichtige Funktionen im Körper nicht korrekt gebildet werden. Das Ergebnis können schwere Störungen sein, die zu Erkrankungen oder gar Behinderungen führen. Viele solcher Erkrankungen sind der Wissenschaft bereits bekannt und bestimmten Genen zuzuordnen. Um sie zu diagnostizieren, setzen Ärzte standardmäßig das Verfahren der sogenannten Exom-Sequenzierung ein. Dabei werden Teile jener Abschnitte der menschlichen DNA analysiert, die unmittelbar für die korrekte Bildung von Proteinen zuständig sind. Dieser kodierende Teil, das Exom, macht nur etwa ein Prozent der gesamten DNA aus, ist aber besonders relevant.
„Eine Exom-Analyse führt jedoch in zwei Dritteln der Fälle nicht zu einer Diagnose; dann stellt sich die Frage, was nun?“, sagt Prof. Dr. Rami Abou Jamra. Er ist Professor für Medizinische Genomik an der Universität Leipzig und leitet die Genetische Diagnostik am Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum Leipzig (UKL). „Im Vergleich zu einer Exom-Sequenzierung brachte die Genom-Sequenzierung in zusätzlichen acht Prozent der Fälle Klarheit: Das ist relevant mehr“, erläutert der Mediziner, der die Leipziger Studie leitete.
In der Vergangenheit gab es in der Fachliteratur Unklarheit, wann eine Genom-Sequenzierung geboten ist. Die ermittelte große Datenbasis zeigt nun auch dank des Leipziger Beitrags, dass die Ergebnisse durchaus in der klinischen Anwendung tragfähig seien. Ein weiterer Vorteil der Genom-Sequenzierung, obwohl diese derzeit noch etwa zweieinhalbmal so teuer ist wie eine Exom-Sequenzierung, ist ein langfristiger: Liegen die Daten einmal vor, sei es einfach, diese später noch einmal auf neue Erkenntnisse zu überprüfen, da weltweit neue krankheitsrelevante Gen-Mutationen entdeckt und dokumentiert werden, wie Abou Jamra betont.
Originalpublikation: DOI: 10.1056/NEJMoa2314761
Quelle: Institut für Humangenetik, UKL