Vollständige Rekonstruktion eines Stücks der Retina einer Maus gelungen

Wissenschaftlern der Max-Planck-Institute (MPI) für medizinische Forschung in Heidelberg und für Neurobiologie in Martinsried bei München und des Massachusetts Institute of Technology ist es nach vier Jahren Datenanalyse und mithilfe von etwa 200 Studenten gelungen, ein exaktes Diagramm zu erstellt, das alle Nervenzellen und ihre Verbindungen in einem Stück der Netzhaut einer Maus zeigt. Bereits dieser vergleichsweise kleine Einblick ins Gehirn brachte sowohl einen neuen Zelltyp ans Licht, als auch Verschaltungen, die bestimmte Reaktionen einzelner Netzhautzellen erklären könnten, berichtet das MPI.

Obwohl der Netzhautwürfel gerade einmal einen Zehntel Millimeter Kantenlänge hatte, kamen darin knapp 1.000 Nervenzellen mit rund einer halben Million Verbindungen vor. „Wir brauchten ungefähr einen Monat um die Daten zu gewinnen und vier Jahre um sie zu analysieren“, sagt Moritz Helmstaedter, Erstautor der Studie, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, und Leiter einer eigenen Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Ein Grund dafür sei die extrem aufwändige Analyse der elektronenmikroskopischen Bilder des Hirngewebes: Die hauchdünnen Fortsätze der Nervenzellen müssen über lange Strecken verfolgt und Verbindungen zwischen ihnen erkannt werden. Heutige Computeralgorithmen seien für diese Aufgabe zwar sehr hilfreich, an vielen Stellen aber doch zu unzuverlässig. Daher müssen immer noch Menschen Entscheidungen über reale und falsche Abzweigungen in den neuronalen „Drähten“” fällen. In der Arbeit hätten allein diese Entscheidungen rund 20.000 menschliche Arbeitsstunden in Anspruch genommen, so Helmstaedter. Um mit denselben Methoden die Verdrahtung eines ganzen Mäusegehirns zu entschlüsseln, wären mehrere Milliarden Arbeitsstunden nötig.

Die Netzhaut wandelt nicht einfach nur Bilder in elektrische Signale um, sondern trennt und filtert die Bildinformationen vor der Weitergabe an das Gehirn. Entsprechend komplex ist das Netzwerk der Nervenzellen in diesem kleinen Neurocomputer. Durch die Kartierung des Netzhautstücks stießen die Wissenschaftler nun auf einen bislang unbekannten Zelltyp, der zur Klasse der Bipolarzellen gehört, aber dessen Funktion zurzeit noch unklar ist. An anderer Stelle enthält das erstellte Verbindungsdiagramm Verschaltungsmuster, die erklären könnten, warum manche Zellen auf eine ganz bestimmte Art auf Reize reagieren. „Diese Ergebnisse zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, obwohl wir mit dieser Arbeit gerade einmal 0,1 Prozent der Netzhaut einer Maus analysiert habe“, so Helmstaedter. Wie viele andere Neurobiologen ist er davon überzeugt, dass die Entschlüsselung des Connectomes die Hirnforschung revolutionieren wird.

Originalveröffentlichung:
Moritz Helmstaedter, Kevin L. Briggman, Srinivas C. Turaga, Viren Jain, H. Sebastian Seung, & Winfried Denk. Connectomic reconstruction of the inner plexiform layer in the mouse retina. Nature, 8. August 2013

Quelle:
http://www.neuro.mpg.de

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