Tübinger Wissenschaftler identifizieren neues Krankheitsbild
Ein neues Krankheitsbild haben Wissenschaftler des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung (HIH) am Universitätsklinikum Tübingen mit Kollegen der Universitäts-Augenklinik identifiziert. Ursache der Erkrankung sei ein defektes Protein, das in der Signalverarbeitung im vegetativen Nervensystem eine zentrale Rolle spiele (muskarinerger Rezeptor Subtyp 3). Die bei dem Patienten beobachtete Symptomkombination einer Blasenentleerungsstörung, veränderten Pupillenmotorik verminderten Schweißsekretion und Untergewicht habe erstmalig eine präzise Einschätzung der funktionellen Bedeutung dieses Proteins beim Menschen ermöglicht, teilte die Universität mit.
Das neue Krankheitsbild identifizierten die Wissenschaftler bei einem Patienten, der sich mit Schmerzen aufgrund häufiger Blasenentzündungen vorstellte, heißt es in dem Bericht der Universität über die Arbeit der Forschergruppe, bestehend aus dem Tübinger Neurologen Dr. Jörn Pomper sowie Prof. Dr. Thomas Haarmeier vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und ihren Kollegen des Zentrums für Neurologie, der Tübinger Universitäts-Augenklinik, der Universitätsklinik für Urologie, des Helios Klinikums in Wuppertal sowie Pharmakologen der Universität Camerino in Italien.
Die ausführliche Untersuchung des Patienten habe nicht nur eine schwere Blasenentleerungsstörung offenbart, sondern auch extrem weite, auf Licht und Nähe nicht reagierende Pupillen, was eine Systemerkrankung des vegetativen Nervensystems nahelegte. Eine Störung in der Informationsübertragung vom Nerven auf den die Pupillenweite steuernden Muskel, sei dann in der augenärztlichen Untersuchung nachgewiesen worden und habe „den Weg zur Aufklärung der zugrunde liegenden Erkrankung geebnet“. Ergänzt um eine umfangreiche Untersuchung des vegetativen Nervensystems zeigte sich neben der Störung der Blasenentleerung und der Pupillenmotorik eine verminderte Schweißsekretion und ein leichtes Untergewicht. Diese Symptomkombination ließ die Tübinger Forscher um Jörn Pomper auf den Defekt eines spezifischen Rezeptorproteins (muskarinerger Rezeptor Subtyp 3) schließen. Eine verblüffende Übereinstimmung dieses Krankheitsbildes mit den Merkmalen genveränderter Mäuse, die über diesen Rezeptor nicht verfügen, und der Nachweis einer erheblich verminderten Konzentration des Rezeptors hätten bei dem Patienten die Schlussfolgerung gestützt, so der Bericht.
„Die neuen Erkenntnisse zu diesem Protein sind für die pharmakologische Forschung interessant, da der Rezeptor bei verschiedenen Erkrankungen wie zum Beispiel Blasenentleerungsstörungen und Übergewicht als therapeutischer Angriffspunkt geeignet sein dürfte,“ so die Einschätzung von Jörn Pomper. Außerdem könnten Nebenwirkungen von Psychopharmaka, die nicht selten auf den Rezeptor Einfluss nehmen, besser abgeschätzt werden.
Originaltitel der Publikation: “A novel clinical syndrome revealing a deficiency of the muscarinic M3 receptor”. Autoren:
Jörn K. Pomper, MD1,, Helmut Wilhelm, MD2, Seyed Khosrow Tayebati , PharmD, PhD3, Friedrich Asmus, MD1, Rebecca Schüle, MD1, Karl-Dietrich Sievert, MD, PhD4, Carl-Albrecht Haensch, MD5, Arthur Melms, MD1 and Thomas Haarmeier, MD1
1 Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Universität Tübingen
2 Universitäts-Augenklinik, Universität Tübingen
3 Abteilung für experimentelle Medizin und öffentliche Gesundheit, Universität Camerino, Italien
4 Universitätsklinik für Urologie, Universität Tübingen
5 Abteilung für Neurologie, Labor für autonome Funktionsstörungen , Helios Klinikum Wuppertal