Riesenzellarteriitis: Neue Substanz verspricht bessere Therapiemöglichkeiten
Die Riesenzellarteriitis (RZA) ist eine Autoimmunerkrankung und die häufigste Gefäßentzündung von Menschen jenseits des 50. Lebensjahrs. Wird die RZA nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, kann sie bis zur Erblindung führen. Die bisherige Therapie mit Kortison heilt etwa die Hälfte der Patienten. Ein neues Medikament (Wirkstoff: Tocilizumab), das erstmals in einer großen Studie getestet wurde, könnte die Behandlung wesentlich effektiver und nebenwirkungsärmer machen, teilt das Klinikum der Universität München (LMU) mit.
Die Krankheit kann überfallartig ausbrechen: Abends geht man gesund ins Bett, am Morgen hat man starke Kopfschmerzen, man fühlt sich elend und schwach und hat womöglich hohes Fieber. „Wie bei einer Grippe“, sagt Prof. Hendrik Schulze-Koops, „nur dass die Symptome nicht mehr aufhören.“ Im Gegenteil: Es kann alles noch schlimmer werden bis hin zur Erblindung, sofern die „Riesenzellarteriitis“ nicht rechtzeitig erkannt und mit anfangs relativ hohen Dosen Kortison behandelt wird. Doch bei etwa 50 Prozent der Patienten ist die Krankheit so aktiv, dass man die Kortison-Dosen im Verlauf der Therapie nicht reduzieren kann, ohne dass die Symptome wieder aufflammen. Dann allerdings steigt das Risiko schwerer Nebenwirkungen des Medikaments. „Für diese Patienten können wir jetzt eine Alternative anbieten“, erklärt der Leiter der Rheuma-Einheit am Klinikum der Universität München. Die Substanz „Tocilizumab“ bedeutet für Schulze-Koops „eine erhebliche Verbesserung der Therapie.“
Verlauf der Erkrankung mit Symptomen
Die Riesenzellarteriitis (RZA) ist eine Autoimmunerkrankung. Aus nicht wirklich geklärten Gründen bekommt das Immunsystem manchmal Appetit auf gesunde Zellen und Gewebe des eigenen Körpers. Infolge dieses Irrtums unterscheidet es nicht mehr zwischen Eigen und Fremd und zwischen Gut und Böse. Im Falle der RZA greift die Körperabwehr die Zellen der Innenhaut der großen Gefäße an – die Hauptschlagader und die von ihr abzweigenden Arterien. Durch die resultierende Entzündung entstehen Schwellungen an den Gefäßinnenwänden und Narben, die die Gefäße verengen. Da es sich um große Gefäße handelt, kommt es glücklicherweise nur selten zum kompletten Verschluss der Adern. Wohl aber ist die Versorgung von Organen jenseits einer Verengung vermindert. Das bekommen die Patienten zu spüren: Ihre Kiefermuskulatur leidet stark, mit entsprechenden Einschränkungen beim Kauen. Sie haben starke Kopfschmerzen. „Vor allem aber drohen sie zu erblinden“, sagt Hendrik Schulze-Koops.
Bei Früherkennung ist die RZA heilbar
Der Rheumatologe betont allerdings, dass Früherkennung vorausgesetzt, „die Riesenzellarteriitis als eine von wenigen Autoimmunerkrankungen heilbar ist.“ Dafür schlucken die Patienten zu Anfang der Therapie relativ hohe Dosen Kortison, aus der sie sich über einen Zeitraum von einem Jahr bis zwei Jahren sehr langsam herausschleichen. Theoretisch könnte die Behandlung alle Betroffenen kurieren. Aber bei etwa der Hälfte der Patienten kann die Reduktion des Kortisons nicht erfolgen. Grund: Sobald die Kortison-Konzentration im Körper kleiner wird, kehrt die RZA zurück. Dann müssen die Patienten mit Kortison-Dosen behandelt werden, die, so Schulze-Koops, „ein sehr hohes Risiko schwerer Nebenwirkungen mit sich bringen.“ Zum Beispiel: Knochenbrüche, Diabetes, Grauer Star, teils schwere Infekte, Hautveränderungen und so weiter.
Neu getestete Substanz Tocilizumab minimiert Nebenwirkungen
Nun aber hat ein internationales Ärzteteam um Schulze-Koops erstmals in einer großen Studie getestet, ob „Tocilizumab“ diesen Patienten helfen kann. In dieser Studie ging es vor allem um die Frage: Kann durch die Gabe der Substanz die Kortison-Dosis massiv gesenkt werden – und damit das Risiko für Nebenwirkungen. An der Untersuchung beteiligt waren gut 250 RZA-Patienten, bei denen die Krankheit entweder frisch erkannt wurde oder die einen Rückfall trotz laufender Kortison-Therapie hatten. Sie wurden in vier unterschiedliche Gruppen eingeteilt, um den Effekt der Substanz – sie wurde in der Studie einmal wöchentlich oder alle 14 Tage gespritzt – möglichst exakt zu ermitteln.
Die Ergebnisse: „Über ein Jahr lang lässt sich der Verbrauch an Kortison um etwa 50 Prozent senken“, sagt der Rheumatologe. Gleichzeitig „kann man mit Tocilizumab die Remissionsraten mehr als verdreifachen.“ Remission bedeutet in der Medizin vorübergehendes oder dauerhaftes Nachlassen der Symptome. In diesem Fall ist die Remission der Einstieg zur Heilung – und das, im Vergleich zur Kortison-Gabe mit deutlich weniger und schwächeren Nebenwirkungen.
Sollte Tocilizumab, wie erwartet, spätestens Ende 2017 in Europa als zugelassenes Medikament für die Therapie der RZA auf den Markt kommen, „werden sich unsere Behandlungsmöglichkeiten wesentlich verbessern“, erklärt Schulze-Koops. Ob das Medikament in der Therapie der RZA Kortison vollständig ablösen kann, steht noch nicht fest. Entsprechende Studien laufen allerdings.
Originalpublikation:
Trial of Tocilizumab in Giant-Cell Arteritis: Stone JH, Tuckwell K, Dimonaco S, Klearman M, Aringer M, Blockmans D, Brouwer E, Cid MC, Dasgupta B, Rech J, Salvarani C, Schett G, Schulze-Koops H, Spiera R, Unizony SH, Collinson N.
N Engl J Med. 2017 Jul 27;377(4):317-328
DOI: 10.1056/NEJMoa1613849
Quelle:
Klinikum der Universität München (LMU)
http://www.klinikum.uni-muenchen.de