NPC-Screening bei vertikaler Blicklähmung, frühem kognitiven Abbau und Ataxie

Morbus Niemann-Pick Typ C (NPC) ist eine häufig tödlich verlaufende, seltene hereditäre Lipidspeicherkrankheit mit schwerem neurodegenerativen Abbau. Die Diagnose erfolgt aufgrund der variablen neurologischen, psychiatrischen und organischen Krankheitszeichen oftmals erst spät. Charakteristische Symptom-Kombinationen, die eine frühzeitige Diagnosestellung mit hoher Sicherheit erlauben, waren bislang noch kaum bekannt. Leiden Jugendliche und Erwachsene mit einer Ataxie auch an einer Lähmung der vertikalen Augenbewegung und frühem kognitivem Abbau, dann ist NPC eine wahrscheinliche Diagnose. Das belegt eine aktuelle Studie von Tübinger Hirnforschern, die im internationalen Fachjournal Neurology erscheint. 24 Studienteilnehmer wurden untersucht, 13 von ihnen mit dieser Symptom-Trias. Bei vier von ihnen war Niemann-Pick Typ C der Auslöser dieser Krankheitszeichen. Die Autoren der Studie empfehlen deshalb eine vorrangige Untersuchung auf NPC bei dieser Symptom-Kombination, teilt das Universitätsklinikum Tübingen mit.

„Bei erwachsenen Patienten mit einer ungeklärten rezessiven oder sporadischen Ataxie liegt die Wahrscheinlichkeit an NPC zu leiden, bei dieser Symptomkonstellation bei rund 40 Prozent“, sagt Dr. med. Matthis Synofzik, Neurowissenschaftler am Hertie Institut für klinische Hirnforschung (HIH), Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort Tübingen. Bei zahlreichen Betroffenen, mit im Erwachsenenalter beginnender Ataxie, bleibt die genaue ursächliche Diagnose oft unklar. Ataxien äußern sich durch eine Gang- und Standunsicherheit sowie eine Ungeschicklichkeit beim Greifen von Gegenständen. Eine medikamentöse Therapie ist nur in seltenen Fällen möglich und die Krankheit, genau wie Niemann-Pick Typ C, bisher nicht heilbar. Für Niemann-Pick-Typ C gibt es mit der Substanz Miglustat jedoch eine Behandlung, die den Krankheitsverlauf verlangsamen kann.

Früher kognitiver Abbau beginnt schleichend

„Bei jugendlichen und erwachsenen Patienten beginnt der kognitive Verfall meist subtil. Erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien entwickelt er sich zu einer Demenz“, sagt Dr. med. Jennifer Müller vom Hagen, Neurowissenschaftlerin am Hertie Institut für klinische Hirnforschung (HIH), Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Tübingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort Tübingen. Erste Anzeichen können ein schulischer Leistungseinbruch, der Abbruch des Studiums oder eine Überforderung am Arbeitsplatz sein. Auch psychiatrische Probleme, wie Wahnvorstellungen oder Halluzinationen können auftreten, so die Studienautoren.

Vertikale Blicklähmung: Schnelle Augenbewegungen testen

Bei der vertikalen Blicklähmung, auch supranukleäre vertikale Blickparese genannt, können Patienten schnelle Augenbewegungen (Sakkaden) nach oben und unten nur noch verlangsamt oder gar nicht mehr durchführen. Ausgelöst wird diese Lähmung der Augenmuskulatur durch neurodegenerative Prozesse im Stammhirnbereich. Bei Nieman-Pick Typ C ist besonders die Abwärtsrichtung der schnellen Augenbewegungen betroffen. „Im Gegensatz zu den schnellen Blickbewegungen sind die langsamen vertikalen Augenfolge-Bewegungen in der Frühphase der Krankheit jedoch oftmals noch möglich. Patienten können somit einem vor die Augen gehaltenen Gegenstand noch langsam aufwärts und abwärts folgen. Darum ist es für die Diagnosestellung wichtig, auch die schnellen vertikalen Blickbewegungen zu testen“, erklären Synofzik und Müller vom Hagen. Diese Untersuchung sollte deshalb Bestandteil einer jeden klinisch-neurologischen Untersuchung bei Patienten mit unklaren neurodegenerativen Erkrankungen sein, so die Empfehlung der Neurologen. „Darüber hinaus zeigt unsere Studie, dass viele Merkmale, die eigentlich als charakteristisch für NPC gelten, bei Patienten mit einem Erkrankungsbeginn im Erwachsenenalter selten auftreten“, sagt Müller vom Hagen. Hierzu gehören eine abnorme Vergrößerung der Leber (Hepatomegalie), eine chronische Vergrößerung der Milz (Splenomegalie) oder der spontane Verlust der Muskelspannung, ausgelöst durch starke emotionale Regungen wie Lachen, Freude oder Ärger (gelastische Kataplexie).

Originaltitel der Publikation
Niemann-pick type c is frequent in adult ataxia with cognitive decline and vertical gaze palsy; Neurology, DOI 10.1212/WNL.0b013e31828869f9, http://www.neurology.org/content/early/2013/02/20/WNL.0b013e31828869f9

Hintergrundinformationen

Morbus Niemann-Pick Typ C (NCP)

Beschreibung
Niemann-Pick ist eine seltene vererbte Stoffwechselkrankheit. Sie gehört zur Gruppe der Lipidstoffwechselkrankheiten. Derzeit unterscheidet man bei Morbus Niemann-Pick Typ A,B und C. Niemann-Pick Typ C (NPC) beruht auf einer pathologischen Überladung von Nervenzellen mit bestimmten Lipiden (Glykosphingolipiden) infolge eines gestörten Lipidtransportes in der Zelle. Als Folge der exzessiven intrazellulären Lipidspeicherung wird die Zellfunktion so erheblich gestört, dass es zum Zelltod kommen kann.

Je nach Auswirkungen auf die betroffenen Organe variiert das Krankheitsbild und der Krankheitsverlauf erheblich: Es gibt eine frühkindliche, eine spätkindliche und eine adulte Form. Zu den typischen Merkmalen des Leidens gehören starke Gelbsucht bei der Geburt, Lernschwierigkeiten, schlaffer Körpertonus, Störungen der Bewegungskoordination (Ataxie), eine vergrößerte Leber und/oder Milz, Augenblinzeln oder unwillkürliche Kopfbewegungen beim Blick nach oben und unten (Blickparese), Sprach-, Hör- und Schluckstörungen sowie psychiatrische Erkrankungen. Die Symptome treten in der Regel nicht gleichzeitig, sondern nacheinander auf. Die Stärke und das Alter beim Auftreten der Merkmale sind nicht voraussehbar. Die lysosomale Stoffwechselkrankheit wird autosomal-rezessiv vererbt. Eine Heilung ist nicht möglich. Medikamente können das Fortschreiten der Krankheit jedoch verlangsamen.

Häufigkeit
Die Häufigkeit der NPC wird auf mindestens eine Erkrankung pro 150.000 Einwohner geschätzt.

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