Neue Studie belegt: Sturzgefahr durch schlechtes Sehen im Alter

Eine glatte Stufe, ein loser Teppich, ein herumliegendes Kabel und schon passiert´s: Ältere Menschen stolpern leicht und stürzen schnell. Rund fünf Millionen Stürze zählt die Statistik jedes Jahr allein unter deutschen Senioren. Je älter der Patient, desto größer das Sturzrisiko. „Schlechtes Sehen gehört dabei mit zu den häufigsten Sturzursachen“, sagt Augenarzt und Kongresspräsident Dr. Armin Scharrer (Fürth) auf dem 25. Internationalen Kongress der Deutschen Augenchirurgen (DOC 2012), der vom 14. bis 16. Juni in Nürnberg stattfand. „Bei Menschen, die schlecht sehen, ist das Sturzrisiko fast doppelt so hoch. Doch leider wird dieses Risiko immer noch viel zu wenig beachtet.“

Fast die Hälfte der Senioren geht nur unregelmäßig oder gar nicht zum Augenarzt. Dr. Scharrer: „Besonders alarmierend ist, dass nicht ausreichend behandelte Augenkrankheiten wie Grauer Star, Glaukom, diabetische Netzhautschäden oder Altersweitsichtigkeit immer noch zu gefährlichen Stürzen führen, obwohl die moderne Augenchirurgie heute ganz hervorragende Therapien gegen diese Erkrankungen bietet.“

Das möchten die Augenärzte jetzt ändern. Grundlage für ihre Initiative ist die neue Studie „Sehen im Alter“, die von der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke in Auftrag gegeben und auf dem DOC-Kongress erstmals vorgestellt wurde. Unter der Leitung des Gesundheitssystemforschers Prof. Dr. Volker Amelung haben Wissenschaftler des privaten Instituts für angewandte Versorgungsforschung in Berlin jetzt erstmals genauer untersucht, welchen Einfluss schlechtes Sehen auf die Sturzgefahr hat und welche Rolle die augenärztliche Versorgung dabei spielt.

Dazu befragten sie 405 Personen zwischen 60 und 106 Jahren, welche Rolle eine eingeschränkte Sehfähigkeit als Sturzursache spielt und wie oft augenärztliche Untersuchungen und Behandlungen stattfinden.

Bisher ging die Statistik davon aus, dass jeder dritte ältere Mensch mindestens einmal pro Jahr stürzt. Unter den 405 Befragten war das jedoch schon bei 44 Prozent der Fall. 20 Prozent stürzten sogar zweimal oder häufiger. In Alten- und Pflegeheimen traten Stürze vergleichsweise häufiger auf.

Gerade in Verbindung mit Augenkrankheiten waren Stürze besonders häufig. Während von den Befragten ohne Augenerkrankung nur 37 Prozent im letzten Jahr stürzten, waren von den Personen mit Augenerkrankungen mehr als die Hälfte gestürzt.

56 Prozent der gestürzten Senioren gaben an, unter einer Augenerkrankung zu leiden. Am häufigsten wurden Grauer Star, Altersbedingte Makuladegeneration, Glaukom und diabetische Netzhautschäden genannt. Der Zusammenhang zwischen Augenerkrankungen und Sturzrisiko wurde damit in der Studie eindeutig bestätigt.

Über 30 Prozent der Gestürzten gaben an, dass schlechtes Sehen oder damit verbundene Risiken für die Stürze verantwortlich seien. Bei knapp einem Viertel der Befragten spielten zudem Stolperschwellen eine Rolle, die oft zu Stürzen führen, wenn sie nicht erkannt werden.

Alarmierend: Fast jeder Vierte der Gestürzten (23 Prozent) zieht sich bei dem Sturz einen Knochenbruch zu. Sturzbedingte Frakturen gehören jedoch zu den größten Gesundheitsgefahren im Alter. Viele Senioren erholen sich nur teilweise oder gar nicht mehr von den Folgen. Allein beim Schenkelhalsbruch beispielsweise liegt die Mortalität innerhalb des ersten Jahres nach dem Sturz bei fast 25 Prozent. Das heißt, beinahe jeder Vierte stirbt an den Folgen des Sturzes. Nur jeder Zweite wird wieder gesund, ein weiteres Viertel bleibt pflegebedürftig.

Dr. Scharrer: „Grob geschätzt gehen wir davon aus, dass etwa jeder dritte Sturz durch eine nur unzureichend oder gar nicht behandelte Augenerkrankung verursacht wird. Aus anderen Studien wissen wir beispielsweise, dass ein nicht operierter Grauer Star mit einem höheren Sturzrisiko verbunden ist. Die ärztlichen Behandlungsleitlinien empfehlen daher eine rechtzeitige Operation zur Vermeidung möglicherweise folgenschwerer Stürze.“ Der regelmäßige Besuch beim Augenarzt kann also lebensrettend sein.

Auch hier deckt die Studie bedenkliche Defizite auf. Denn 43 Prozent der befragten Senioren gaben an, dass ihre Augen nur unregelmäßig oder gar nicht vom Augenarzt untersucht werden. Besonders bei Heimbewohnern lag diese Zahl noch wesentlich höher. In diesem Zusammenhang warnt Dr. Scharrer: „Wer nur selten zum Augenarzt geht, stürzt öfter.“

Deshalb plädierten die Augenchirurgen auf dem Nürnberger DOC-Kongress dafür, die augenärztliche Versorgung für ältere Menschen zu verbessern. Dr. Scharrer: „Gerade in Alters- und Pflegeheimen ist das besonders wichtig, weil viele Senioren dort nicht mehr selbständig zum Augenarzt gehen können. Viele Pflegewohnheime haben keine oder nur eine unzureichende augenärztliche Versorgung vor Ort. In Städten muss die Anbindung von Pflegeheimen an Ärztehäuser und Augenarztpraxen gefördert werden. Auf dem Land könnten beispielsweise mobile augenärztliche Versorgungseinheiten eine Lösung bringen. Um das alles zu finanzieren, ist jetzt auch die Politik gefragt.“

Quelle:
DOC

Titel der Publikation:
Amelung, Buchholtz, Brümmer, Krauth: Sehen im Alter – Versorgungsstrukturen und –herausforderungen in der Augenheilkunde;
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2012

 

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