Fehlende Calciumsignale führen zu Nachtblindheit

Die meisten Sinneseindrücke erhält der Mensch über die Augen – auch in der Dunkelheit. Dazu müssen in der Netzhaut des Auges mit Hilfe von Kanalproteinen lang anhaltende Calciumsignale entstehen. Ein Team um Dr. Christian Wahl-Schott am Zentrum für Pharmaforschung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, geleitet von Professor Martin Biel, konnte nun den Mechanismus aufklären, der dies erlaubt.

Nahe verwandte und sehr ähnliche Calciumkanäle in anderem Gewebe des Körpers verfügen über einen Mechanismus, mit dem sie sich selbst Calcium-abhängig abschalten können. Wie die Forscher in der „Early Online Edition“ der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)“ berichteten, könneen die Kanäle der Netzhaut diese negative Rückkopplung aber inhibieren und so lang anhaltende Calciumsignale erzeugen. Fehle die Möglichkeit der Inhibierung, entstehe eine angeborene Form der Nachtblindheit, bei der die Betroffenen bei Dämmerung und Dunkelheit unter erheblichen Sehproblemen leiden.
In der Retina wandeln Photorezeptoren Lichtreize in elektrische Signale um. Diese Signale werden an den Kontaktstellen, den Synapsen, zwischen den Photorezeptoren und den in der Informationskette nachfolgenden Bipolarzellen mit Hilfe des Botenstoffs Glutamat übertragen. Bei dessen Freisetzung spielen die Calciumkanäle in der Retina eine entscheidende Rolle. Denn damit bei Nacht gesehen werden kann, müsse kontinuierlich Calcium aus dem umgebenden Milieu über die Kanäle in die Photorezeptoren einströmen. „Diese Aufgabe leisten die Calciumkanäle, wie wir in einer vorangegangenen Arbeit gezeigt haben“, so Wahl-Schott. „Damit unterscheiden sie sich aber von nahe verwandten Calciumkanälen, den so genannten High Voltage Activated Calcium Channels, wie sie etwa im Herz, im normalen Muskel, den Drüsen und im Gehirn vorkommen. Diese Kanäle können Calcium nicht kontinuierlich transportieren, weil sie über einen Mechanismus verfügen, der ihnen erlaubt, sich selbst abzustellen.“ Dank dieser negativen Rückkopplung, der „Calcium-abhängigen Inaktivierung (CDI)“, werde eine Überladung der Zelle mit Calcium verhindert.
In den Calciumkanälen der Retina gäbe es diesen wichtigen Regulationsweg aber nicht. „Uns hat interessiert, wie die Calciumkanäle der Netzhaut diese negative Rückkopplung unterdrücken können“, berichtet Wahl-Schott. „Wir konnten die dafür verantwortliche regulatorische Domäne am Ende des aus etwa 2000 Bausteinen, so genannten Aminosäuren, bestehenden Calciumkanalproteins identifizieren, die dafür verantwortlich ist. Diese Domäne haben wir ‚Inhibitor der Calcium-abhängigen Inaktivierung (ICDI)‘ genannt.“ Werde diese Domäne entfernt, verhalten sich die Calciumkanäle in der Retina wie ihre nahen Verwandten und zeigten plötzlich den negativen Rückkopplungsmechanismus der Calcium-abhängigen Inaktivierung. „Unser Ergebnis hat auch große pathophysiologische Relevanz“, so Wahl-Schott. Es habe sich gezeigt, dass in den retinalen Calciumkanälen von Patienten mit einer Form der angeborenen Nachtblindheit genau diese Domäne fehle. Jetzt sei verständlich, was dann passiere: Die Betroffenen könnten in der Dunkelheit nichts sehen, weil sich die Kanäle selbst Calcium-abhängig inaktivieren würden. Das habe zur Folge, dass die für den Sehprozess im Dunkeln notwendigen permanenten Calciumsignale nicht entstehen könnten. E-Mail: .(Javascript muss aktiviert sein, um diese Mail-Adresse zu sehen)

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