DOG: Verdacht auf Legasthenie: vom Augenarzt abklären lassen
Nicht jede Lese-Rechtschreib-Schwäche muss eine echte Legasthenie sei, darauf weist die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) hin. Manchmal liegt die Ursache in einer Sehstörung. Eine Brille kann dann häufig helfen. Im Vorfeld ihres Kongresses (29. September bis 2. Oktober in Berlin) rät die DOG deshalb beim Verdacht auf eine Lese-Rechtschreib-Schwäche stets zu einer augenärztlichen Untersuchung. Gleichzeitig warnt die Fachgesellschaft vor wissenschaftlich nicht fundierten Therapien wie der Verordnung von Prismengläsern oder Brillen mit Farbfiltern.
„Eine scharfe Abbildung des Textes auf der Netzhaut ist eine wichtige Voraussetzung für das Erlernen von Lesen und Rechtschreiben“, erläutert Professor Dr. med. Susanne Trauzettel-Klosinski, die an der Universitäts-Augenklinik Tübingen eine Spezialambulanz für Sehbehinderte leitet. Eine Kurz- oder Weitsichtigkeit, ein gestörtes beidäugiges Sehen und eine verminderte Naheinstellungsfähigkeit der Augenlinsen können eine Leseschwäche auslösen oder verstärken. „Die Lösung ist dann häufig eine Brille“, so die Expertin. Doch nicht bei allen Kindern, die eine Brille benötigen, würden sich danach die Probleme beim Lesen und Schreiben bessern. Die Sehstörung ist in diesen Fällen nicht Ursache der Lese-Rechtschreib-Schwäche, sondern tritt parallel zu ihr auf.
Die Ursache der echten Legasthenie ist zwar noch nicht endgültig geklärt, eine Augenerkrankung ist sie nach Einschätzung von Trauzettel-Klosinski jedoch nicht. Eine wissenschaftlich weithin akzeptierte Ursache ist ein phonologisches Verarbeitungsdefizit, also ein Defizit in der Sprachklangverarbeitung, was sich beim Lesen in der Schwierigkeit ausdrückt, Buchstaben in Laute umzuwandeln. Ein zusätzliches visuelles Defizit beim Verarbeiten schnell aufeinanderfolgender Reize wurde beschrieben, betrifft aber wahrscheinlich nur eine Untergruppe der Legastheniker.
Die Expertin warnt ausdrücklich vor einigen Therapien, die auf nicht bewiesenen Hypothesen beruhen und dem Kind schaden können. Dazu gehört die Annahme, die Legasthenie sei Folge einer sogenannten Winkelfehlsichtigkeit, bei der die Bilder in beiden Augen auf leicht versetzte Orte der Netzhaut projiziert werden. Vertreter dieser wissenschaftlich nicht fundierten Theorie empfehlen die Verordnung von Prismengläsern. „Leider ist diese Behandlung nicht nur unwirksam im Hinblick auf die Lese-Rechtschreib-Schwäche“, erläutert Trauzettel-Klosinski. „Sie kann bei einigen Kindern auch zum Schielen führen und eine Operation notwendig machen.“
Eine weitere unbewiesene Theorie führt die Legasthenie auf eine Störung der willentlichen Blicksteuerung zurück. Vertreter dieses Erklärungsansatzes empfehlen ein Training schneller Augenbewegungen – und zwar entgegen der spontanen Blickrichtung. „Dieses Training verbessert zwar die Blickbewegungen, nicht jedoch die Lesefähigkeit“, so Trauzettel-Klosinski. Ohne wissenschaftliche Grundlage ist auch der Versuch, die Lese-Rechtschreib-Schwäche durch Brillen mit getönten Spezialgläsern zu behandeln: Eine positive Wirkung dieser sogenannten Irlen-Filter ist durch Studien nicht belegt.
Die Expertin vermutet die Ursache der Legasthenie vor allem in einer Störung der sprachlichen und möglicherweise gelegentlich zusätzlich der visuellen Informationsverarbeitung im Gehirn. Augenärztliche Therapien könnten sie deshalb nicht lindern. Eine Brille könne aber bei einer vorhandenen Fehlsichtigkeit die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie schaffen.
Quelle: DOG
http://www.dog.org